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  Neuer Pfarrer, alte Schmerzen

By Lisa Sonnabend
Spiegel
September 23, 2007

http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,507340,00.html

Germany — Die bayerische Gemeinde Riekofen ist erschüttert, seit der Verdacht aufkam, dass ihr Pfarrer jahrelang Kinder missbrauchte. Nun organisieren sich Opferfamilien und bringen Bischof Müller und die katholische Kirche in Bedrängnis.

Riekofen - In dem bayerischen Ort Riekofen ist nichts mehr so wie früher: auf den Straßen nicht, im Wirtshaus nicht und in der Kirche erst recht nicht. Zum Sonntagsgottesdienst in St. Johannes sind heute viele Gläubige und Neugierige gekommen: Der neue Pfarrer Gottfried Dachauer wird eingeführt. Er ist der Nachfolger von Pfarrer Peter K., der seit Ende August in Untersuchungshaft sitzt und gegen den ungeheuerliche Vorwürfe erhoben werden. Der 39-jährige Pfarrer soll jahrelang Ministranten missbraucht haben - und das nicht zum ersten Mal. Die meisten der 800 Einwohner des Dorfes sind schockiert.

Vor acht Jahren hatte sich der Pfarrer an Kindern im etwa 60 Kilometer entfernten Viechtach vergriffen. Nach einer vierjährigen Therapie wurde ihm in einem Gutachten attestiert, geheilt zu sein - obwohl Pädophilie als nicht heilbar gilt. Im Jahr 2004 ernannte ihn der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller zum Pfarrer von Riekofen, ohne dass die arglosen Gemeindemitglieder über seine Vergangenheit informiert wurden.

Die katholische Kirche in Riekofen: Pfarrer K. lud Ministranten zu Wein und Wasserpfeife ein

Vor dem Gotteshaus lauern Kamerateams, sogar ein Polizeiwagen ist da, die letzten freien Sitzplätze in der Barockkirche besetzen Journalisten. Der Gottesdienst vermittelt einen Eindruck, wie schwer es sein wird für die Riekofener, mit den Ereignissen umzugehen. Der ehemalige Pfarrer wird nicht explizit erwähnt, doch das Geschehene ist allgegenwärtig. Rosmarie Meßner vom Pfarrgemeinderat sagt: "Die Ereignisse der letzten Wochen haben Wunden hinterlassen. Die Narben werden lange bleiben." Die Gläubigen blicken versteinert, einigen kommen die Tränen. Pfarrer Dachauer erinnert an die, "die in den vergangenen Wochen eine harte Wirklichkeit zu tragen hatten und zu tragen haben werden". Die Geistlichen mahnen auch, nach vorne zu blicken, sie sprechen von einem Neubeginn. Wenn es nur so einfach wäre.

Ein Schmetterling hat sich in die Kirche verirrt, den Weg nach außen kann er nicht mehr finden, verzweifelt flattert er durch den Raum. Noch ist nicht abzuschätzen, ob und wie die Gemeinde Riekofen es schaffen wird, sich den Weg zu einem Neuanfang zu bahnen.

Das Ordinariat bat sie, keine Anzeige zu erstatten - und zahlte

Auch Johanna Treimer ist an diesem Sonntag in die Gemeinde Riekofen gekommen. Sie ist die Mutter der zwei Jungen, die der Pfarrer im Jahr 1999 in Viechtach missbraucht hat: Während eines Festes berührte der Pfarrer die damals Neun- und Zwölfjährigen am Geschlechtsteil. Die Eltern beschwerten sich, doch das Ordinariat in Regensburg überredete sie, keine Anzeige zu erstatten, sagt Johanna Treimer. Stattdessen unterzeichneten die Eltern eine Stillschweigevereinbarung und bekamen dafür Geld. Eine Bekannte zeigte den Pfarrer wenig später an. Als der Vater der Jungen erfuhr, dass Pfarrer Peter K. wieder aktiv ist, machte er den Fall publik. Eine Psychologin kam in das Dorf, die Ministranten begannen zu reden. Rund hundert Jungen werden derzeit vernommen. Es wird gemutmaßt, dass die Übergriffe in Riekofen noch weitaus schlimmer waren als die vor acht Jahren in Viechtach.

Johanna Treimer ist entschlossen zu kämpfen. "Mit Abstand ist es nicht mehr so schwierig, darüber zu sprechen", sagt die zierliche Frau zu SPIEGEL ONLINE. "Es ist mehr eine Genugtuung, dass das Ganze auf den Tisch kommt, dass der Druck auf die Geistlichen wächst." Sie möchte Opfer ermutigen, über das Geschehene zu sprechen, sich zu wehren. "Ich wünsche mir, dass die Opfer von Riekofen Kontakt zu uns aufnehmen", sagt sie. "Doch noch ist es zu früh, noch können sie nicht darüber sprechen."

2. Teil: Die katholische Kirche verharmlost den sexuellen Missbrauch

Die "Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen" hat nach dem Sonntagsgottesdienst zu einer Pressekonferenz in den Landgasthof Hartmann in Oberehring geladen, drei Kilometer von der Kirche entfernt. In dem Lokal direkt neben der Kirche speisen schon die Geistlichen. Außer Johanna Treimer sind der Vorsitzende der Initiative, Johannes Heibel, und drei weitere Frauen hier, um vor sexuellem Missbrauch zu warnen und Kritik an der Kirche zu üben.

Ihr Vorwurf: Die katholische Kirche verschweige, vertusche und verharmlose oft, wenn ihnen Fälle von sexuellem Missbrauch gemeldet werden. Dem Ordinariat Regensburg werfen sie sogar System vor. Johanna Treimer sagt: "Bischof Müller hat erneut völlig versagt." Die Kirche wolle auf keinen Fall einen Pfarrer verlieren, an die Kinder denke dabei keiner.

"Ich habe gespürt, dass wir im Ort geschnitten wurden"

Die Opfer würden von der Kirche weitgehend allein gelassen, auf Entschuldigungen und Entschädigungen warten sie meist vergebens. Worte des Bedauerns fehlen bis heute, beklagen die anwesenden Opferfamilien. "Ich habe gespürt, dass wir im Ort geschnitten wurden", sagt Elke Bender, deren Sohn 2002 von einem Pfarrer in Georgenberg missbraucht wurde. "Es wurde uns vorgeworfen, dass unsere Kinder lügen."

Die Initiative will Betroffene ermutigen, sich zusammenzuschließen und "mit uns auf die Barrikaden zu gehen". Heibel sagt, es sei wichtig, dass in Riekofen nun ein offener Umgang gepflegt werde. Das Bistum dürfe nicht zur Ruhe mahnen. "Bischof Müller muss nach Riekofen kommen und sich den Fragen stellen", fordert er.

Doch der Bischof redet nicht. Die Riekofener wünschen sich deutliche Worte von ihm, doch er drückt sich. Eigentlich wollte der 60-Jährige bei der Einführung des neuen Pfarrers dabei sein. Drei Tage davor sagte er ab. Stattdessen berief er für Freitag eine Pressekonferenz ein, auf der er weiterhin eine Teilschuld in dem Fall abstritt. "Die Verantwortung für die Tat trägt der Täter", sagte er deutlich. Er entschuldigte sich nicht dafür, dass er den Priester Peter K. nach Riekofen versetzt hatte - in eine Position, in der er wieder mit Kindern zu tun hatte.

Wie lange der Bischof, der als Nachfolger des Erzbischofs von München-Freising, Kardinal Wetter, gehandelt wird, diese Linie durchhalten kann, ist unklar. Der Druck und die Vorwürfe gegen ihn werden immer größer: Die Deutsche Bischofskonferenz verlangt, dass Geistliche, die einmal als pädophil aufgefallen sind, nicht mehr in Bereichen eingesetzt werden dürfen, in denen sie mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Nach einem Gutachten, das dem Pfarrer K. Ungefährlichkeit attestierte, setzte Bischof Müller ihn wieder ein. Unklar ist weiterhin, wer dieses Gutachten erstellt hat, ob ein objektiver Gutachter herangezogen wurde.

Pfarrer K. lud die Ministranten zu Wein und Wasserpfeife ein

Die Riekofener beschweren sich, dass im Ort keiner über die Vergangenheit des Pfarrers informiert war. In dem Pfarrbrief war aus seiner Vita die Zeit in Viechtach entfernt. Es gab scheinbar niemanden, der ein Auge auf Peter K. warf. Wahrscheinlich wäre ein geschulter Psychologe aufmerksam geworden, wenn Pfarrer K. die männlichen Ministranten zu sich nach Hause einlud, mit ihnen im Keller Rotwein trank und Wasserpfeife rauchte.

Schon früher hatte Bischof Müller in der Vergangenheit einen eher sanften Umgang mit Kinderschändern gepflegt. Im Jahr 2005 wurde in Falkenberg ein Pfarrer wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt - die Bistumsleitung hatte bereits davon gewusst, es aber nicht der Staatsanwaltschaft gemeldet.

Die Initiative von Johannes Heibel fordert, dass Priester, die Kinder sexuell belästigt haben, nie wieder als Seelsorger eingesetzt werden dürfen. Opferschutz gehe vor Täterschutz. Heibel sagt: "Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, hätte sich der Bischof in gleichem Maße schuldig gemacht wie der Täter." Der Bischof verteidigte auf der Pressekonferenz am Freitag jedoch erneut sein Verhalten: "Wenn Jesus auch den schlimmsten Sündern verziehen hat und nach menschlichen Ermessen bei Pfarrer K. kein Übergriff mehr zu erwarten war, wie konnte man ihm eine zweite Chance versagen?" Den Opfern dagegen wurde eine zweite Chance im Leben verwehrt.

 
 

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