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  Missbrauch-skandal Entfacht Neue Zolibat-debatte

By G. Facius Und L. Wiegelmann
Welt
February 1, 2010

http://www.welt.de/politik/deutschland/article6210412/Missbrauch-Skandal-entfacht-neue-Zoelibat-Debatte.html

Der Provinzial der deutschen Jesuiten, Stefan Dartmann (links), mit Canisius-Direktor Klaus Mertes bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin

Der Skandal um Kindesmissbrauch bei den Jesuiten weitet sich aus. Auch in Hamburg, Hildesheim und Gottingen melden sich Opfer. Jahr fur Jahr werden aus Pfarreien, Seminaren und Schulen ahnliche Vorkommnisse gemeldet. Die Debatte uber den Zolibat wird neu entfacht.

Nach Berlin melden sich nun auch drei ehemalige Schuler der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule und gaben an, vom Jesuitenpater Wolfgang S. (65) sexuell missbraucht worden zu sein. Sie sagten auch, dass es noch weitere Opfer gebe. S., der derzeit in Chile lebt, war von 1979 bis 1982 Sportlehrer in Hamburg, davor hatte er am Canisius-Kolleg in Berlin Religion und Deutsch unterrichtet.

Auch an einer anderen fruheren Station des Priesters, dem Jesuiten-Kolleg St. Blasien im Sudschwarzwald, haben sich inzwischen missbrauchte Schuler gemeldet. Der Provinzial der Jesuiten in Deutschland, Stefan Dartmann, sagte, au?erdem gebe es Verdachtsfalle in Gottingen und Hildesheim sowie Spanien und Chile. Insgesamt seien ihm bislang 25 Opfer bekannt, so Dartmann.

Ist der Zolibat schuld?

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass mindestens zwei Berliner Jesuitenpatres in den 70er- und 80er-Jahren Dutzende Jugendliche sexuell missbraucht hatten. Rektor Pater Klaus Mertes war damit an die Offentlichkeit gegangen, nachdem ihm mehrere ehemalige Schuler von den Ubergriffen berichtet hatten. Allerdings waren Mertes und auch die deutsche Leitung der Jesuiten bereits seit Jahren uber Missbrauchsfalle informiert. Pater Wolfgang S. hat die Berliner Taten zugegeben, zu seiner Zeit in Hamburg und St. Blasien schweigt er. Der andere Pater, Peter R., bestreitet die Vorwurfe.

Die Staatsanwaltschaft Berlin pruft noch, ob die Falle verjahrt sind; sexueller Missbrauch kann je nach Schwere hochstens 20 Jahre nach der Tat bestraft werden. Die Deutsche Kinderhilfe forderte, die Verjahrungsfrist zu verlangern. „Das Fatale an der Verjahrungsfrist zeigt sich hier in seiner ganzen Tragik“, sagte der Vorsitzende Georg Ehrmann WELT ONLINE.

„Gerade weil es so typisch fur Sexualstraftaten an Kindern ist, dass die Opfer oft erst nach Jahrzehnten daruber sprechen konnen, durfen solche Straftaten wie andere Delikte erst nach 30 Jahren verjahren“, sagte Ehrmann. Die Jesuiten haben nach Bekanntwerden des Sex-Skandals eine Schlichterin eingesetzt, die mit Opfern und mutma?lichen Tatern spricht. Sie sagt, dass fruhere Schuler noch weitere Namen als diese beiden Patres genannt hatten.

Die mutma?liche Missbrauchsserie in Berlin ist der vorlaufige Hohepunkt einschlagiger Sex-Skandale in der katholischen Kirche: Jahr fur Jahr werden aus Pfarreien, Seminaren und Schulen ahnliche Vorkommnisse gemeldet.

Nun ruckt wieder die Frage in den Fokus: Ist der Zolibat an allem schuld? Der Augsburger Autor und Theologieprofessor Hanspeter Heinz sagt, das Problem sei die sexuelle Unreife, die bei Priestern und Seminaristen besonders haufig sei. „Wer eine Freundin hat, muss mit ihr partnerschaftlich zurechtkommen und reift dabei leichter“, sagte Heinz WELT ONLINE.

Im Klartext: Das Problem bei sexuellen Verfehlungen ist nicht unbedingt der Zolibat, sondern die sexuelle Unreife. Allerdings schafft der Zolibat in Verbindung mit einer hierarchischen Struktur Risikozonen. Von den rund 18.000 katholischen Geistlichen, so schatzte 2005 der Essener Weihbischof Franz Grave, hatten zwei Prozent padophile Neigungen.

Wegschauen oder Wegversetzen, das war viele Jahre lang eine Methode in den Diozesen. Zerknirscht gestand 2002 der Hildesheimer Domkapitular Werner Holst Fehler ein: „Auch ich dachte, wenn man die Tater in ein Kloster bringt, wo sie Bu?e tun, sei das genug. Das war falsch.“

Heute hat die Kirche in Deutschland genaue Richtlinien: Es soll nichts mehr vertuscht werden, die Staatsanwaltschaft soll eingeschaltet werden, und den Opfern wird Hilfe zugesagt. Doch noch immer wirken im Gedachtnis der Menschen alte kirchliche Sunden nach.

"Meine Kirche leidet an Homophobie"

Im Fall Irland erinnerte man sich: 1962 verschickte der damalige Chef der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Alfredo Ottaviani, einen bis heute umstrittenen Brief an die Bischofskonferenzen. Missbrauchsfalle sollten geheim gehalten und lediglich dem zustandigen Bischof gemeldet werden. Auf die Opfer wurde eingewirkt, Stillschweigen zu bewahren – unter Androhung der Exkommunikation. 2002 hat Kardinal Joseph Ratzinger erklart, das Dokument sei noch gultig. Der Vorwurf der Vertuschung wurde deshalb auch gegen ihn erhoben.

Die jungsten Missbrauchsfalle beleben nun auch die Diskussion uber den kirchlichen Umgang mit der Homosexualitat. Rektor Klaus Mertes vom Canisius-Kolleg stellte die These auf: „Meine Kirche leidet an Homophobie.“ Nach Schatzungen gelten etwa 20 Prozent der romisch-katholischen Priester als homosexuell. In der katholischen Kirche gibt es seit Jahren einen vorsichtigen Wandel in ihrer generellen Haltung gegenuber gleichgeschlechtlich Veranlagten.

Der Katechismus von 1992 sagt zwar, homosexuelle Handlungen verstie?en gegen das „naturliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen“.

Dennoch fragen immer mehr katholische Theologen, ob sich Sexualitat auf die Moglichkeit der Fortpflanzung reduzieren lasse. Auch das katholische „Lexikon fur Theologie und Kirche“ kommt zu einer anderen Auffassung. Es halt eine grundsatzliche Ablehnung homosexuellen Verhaltens dort fur problematisch, „wo die Betroffenen ihre Homosexualitat in eine dauerhafte, auf personale Bindung gerichtete partnerschaftliche Beziehung integrieren“.

 
 

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