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  Katholische Kirche: Wenn Schweigen Tradition Hat
Die übergriffe auf Schüler am Berliner Canisius-Kolleg wurden Jahrzehnte von der katholischen Kirche ignoriert. Schweigen hat Tradition.
Hamburger Arbendblatt
February 2, 2010

http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1365404/Katholische-Kirche-Wenn-Schweigen-Tradition-hat.html

GERMANY -- Hamburg. Man hat uns nicht vorgewarnt." "Sie haben uns im Stich gelassen." "Der Erzbischof hat auf unseren Brief nie geantwortet." Es sind solche Sätze, die immer wieder auftauchen, aus denen eine tiefe Desillusionierung spricht. Menschen, deren Kinder oder die selbst von Priestern missbraucht wurden, hatten in ihrer Scham und ihrer Not bei der katholischen Kirche Schutz gesucht, Verständnis erwartet. Aber sie wurden enttäuscht. Immer wieder prallten sie auf eine Mauer des Schweigens.

Das erlebten nicht nur die acht ehemaligen Schüler des Berliner Canisius-Kollegs, die 1981 im Erwachsenenalter endlich den Mut hatten und in einem Brief an das bischöfliche Ordinariat in Berlin von ihren Missbrauchserfahrungen am Kolleg berichteten. "Es kam nie eine Reaktion", sagte einer der Unterzeichner jetzt dem Berliner "Tagesspiegel".

An dem Kolleg in der Hauptstadt sollen zwischen 1975 und 1982 zahlreiche Kinder und Jugendliche missbraucht worden sein.

Das Auftauchen und Verschweigen von Missbrauchsfällen erschüttert die katholische Kirche seit Ende der 1990er-Jahre fast noch tiefer als der Streit um die Abtreibung in den 1970ern. In Irland wurden Tausende Kinder zwischen den 30er- und 90er-Jahren in katholischen Heimen, Anstalten und Werkstätten missbraucht und misshandelt - von Priestern, Mönchen, Nonnen. Eine Kommission unter der Richterin Yvonne Murphy belegte, dass vier Bischöfe beschuldigte Kirchenangehörige systematisch geschützt hatten. So wurden zwischen 1975 und 2004 in Irland mehr als 300 Fälle von Kindesmissbrauch verschleiert.

In Australien gehen zahlreiche Fälle auf die 1960er-Jahre zurück. Erst heute haben sich die inzwischen 40- bis 50-jährigen Opfer organisiert und werden ernst genommen. Bisher wurden 107 Priester und katholische Lehrer wegen Missbrauchs verurteilt.

In den USA erschütterte um das Jahr 2000 eine ganze Serie von Missbrauchsfällen seit den 1940er-Jahren die öffentlichkeit. Landesweit klagten mehr als zehntausend Opfer. Allein die Erzdiözese Los Angeles musste an 500 Kläger 660 Millionen US-Dollar Entschädigung zahlen. Das jahrelange Wegsehen wurde sehr, sehr teuer.

Auch in Deutschland wurden immer wieder Missbrauchsfälle bekannt. Priester wurden versetzt, Bischöfe versprachen interne Klärung, Gemeinden wurden nicht informiert. Die Deutsche Bischofskonferenz gibt heute zu, man habe "häufig unangemessen reagiert". "Es ist immer wieder diese Scham, dieses Verletzt-worden-Sein, dieses Nicht-darüber-reden-Können, was die Leute über viele Jahre verfolgt", sagt die Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue, die jetzt die Fälle am Canisius-Kolleg untersucht.

Laienorganisationen gewannen den Eindruck, dass der Kirche die Unantastbarkeit ihrer Priester mehr wert sei als der Schutz von Opfern. Die amerikanischen Erfahrungen bewirkten aber offenbar ein allgemeines Umdenken.

Das Regular, das die Deutsche Bischofskonferenz 2002 für den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche vorlegte, ist eine eindrückliche Selbstverpflichtung. Jedes Bistum soll eine zentrale Anlaufstelle für Missbrauchsfälle einrichten. Nach einer Voruntersuchung sollen der Vatikan und auch die Polizei informiert werden, Opfer sollen Hilfen bekommen, eine Wiederholung durch den Täter soll ausgeschlossen werden.

Ein Anfang immerhin. Seit Beginn seines Pontifikats hat sich Papst Benedikt XVI. mit Opfern getroffen, in den USA, in Australien und Irland. Er setzt sich für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber sexuellen Straftätern in der Kirche ein.

Aber die Probleme sind geblieben.

"Vorbeugung" hatte die Deutsche Bischofskonferenz angekündigt. Mehr Sorgfalt bei der Auswahl von Priestern hatte Papst Benedikt gefordert. Aber wie vorbeugen, und welche Art von Sorgfalt? Es gibt unter Missbrauchstätern mehr verheiratete Männer als Priester. Aber verleitet der Zölibat und die rigide Sexualmoral der Kirche die Priester immer wieder zu diesen übergriffen?

Die Zustände am Priesterseminar im österreichischen St. Pölten 2004 zeigten die Dringlichkeit, diese Fragen zu klären. Die katholischen Studenten hatten Tausende Kinderpornofotos aus dem Internet auf den Seminarcomputer heruntergeladen, außerdem war es unter Mitwirkung der beiden Seminarleiter regelmäßig zu Partys "mit homosexuellen Handlungen" gekommen.

Der zuständige Bischof Kurt Kren spielte das Ganze als "Bubendummheiten" herunter. Er musste gehen und sein Sekretär, einer der "mitwirkenden" Seminarleiter, wurde in ein Altenheim versetzt. Ein Jahr später wurden vom St. Pöltener Bibliothekscomputer aus wieder Pornoseiten angeklickt.

Es ist die Bredouille einer Institution, die zwischen Priestern und Laien einen besonders hohen Zaun zieht: Mit ihrer Weihe stehen Priester in der Nachfolge der Apostel. Sie haben Sonderrechte vor den anderen Gläubigen. Nur sie dürfen deren Privatleben in der Beichte ausforschen, nur sie dürfen die Sakramente austeilen. Die Kirche hat ihre Priester immer als Hüter christlicher Sittlichkeit definiert, und nun muss sie erkennen, dass unter diesen Hirten auch Wölfe sind.

Wie glaubwürdig ist denn noch das Bild vom Priester als einem "heiligen Außenseiter", der sich vom weltlichen Zirkus in eiserner Selbstgenügsamkeit fernhält? Was für eine Sorte Mensch soll dieser Priester sein? Zieht die Lebensform dieses Priesters Menschen an, die ihre Sexualität nicht im Griff haben? Hat jemand, der das Gelübde der Enthaltsamkeit abgelegt hat, deshalb automatisch seine Sexualität im Griff?

Die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg stellen die katholische Kirche vor eine schwierige Herausforderung - weil sie strukturelle Probleme offenbaren. Psychologe Georg Kohaupt arbeitet am Berliner Kinderschutz-Zentrum, er fordert nun eine offenere Diskussion über Nebenwirkungen des Zölibats und mehr Präventionsangebote. "Wenn jemand, der selbst seine Sexualität nicht leben darf, mit Jugendlichen zusammenkommt, für die Sexualität gerade spannend wird, dann ist das eine hochexplosive Mischung."

Die Kirche müsse wissen, dass sie mit dem Gelöbnis des Zölibats auch Menschen anziehe, die vielleicht Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität haben. "Das heißt, es werden oft bestimmte Leute Priester und entschließen sich, zölibatär zu leben." Und zweitens, erklärt Kohaupt weiter, ganz ohne Sexualität könne niemand leben. "Man kann sie nur beiseitepacken oder unterdrücken." Die katholische Kirche müsse nun erkennen, dass das Problem nicht von Einzelnen gemacht wurde, sondern mit der Kirche selbst zu tun habe.

[summary]

People whose children were abused by priests are profoundly disillusioned. They sought protection and understanding from the church but they were disappointed. They were bounced off the wall of silence.

Eight former students at Caniusius College, Berlin, wrote a letter to the Berlin bishop in 1981 about sexual abuse at the school but never got a response.

The appearance and concealment of abuse cases has rocked the Catholic Church since the late 1990s. In Ireland, thousands of children between the 1930s to 1990s were abused in Catholic homes, institutions and workshops by priests, monks and nuns. A commission under Judge Yvonne Murphy showed that bishops systematically protected these people. The church in Ireland concealed 300 abuse cases from 1975 to 2004.

In Australia, many cases go back to the 1960s. To date 107 priests and Catholic teachers have been convicted of abuse.

In the United States, people were shocked to learn of a series of abuse cases dating to the 1940s. There appears to be 10,000 victims nationally. The Los Angeles archdiocese paid out $660 million in U.S. dollars to 500 applicants. The years of looking the other way was expensive.

In Germany communities were not informed of abuse. The Germany Bishops' Conference admits today that it has often responded inappropriately. Lay organization believe that the sanctity of the priests was more important than protections of the victims. The American experience has apparently caused a general change in thnking.

The document presented to the German bishops in 2002 dealing with cases of sexual abuse by priests is an impressive document. It called for every diocese to establish and central contact point It said after a preliminary study by the Vatican that police should be informed, victims should receive aid and there is to be no repetition by the offender.

It was a start anyway. Since the beginning of his pontificate, Pope Benedict XVI has met with victims in the U.S., Australia and Ireland. He advocates a zero-tolerance police for sex offenders in the church.

However, the problems remain. The pope has called for more care in selection of priests. But how to prevent abuse and what kind of care should be used? With celibacy and rigid sexual morality of the church, the priest can abuse again and again.

The situation at the St. Polten seminary in Austria in 2004 showed the urgent need to clarify these issues. The Catholic student had downloaded thousands of child porn pictures from the internet and seminary students and teachers were involved with homosexual acts.

Bishop Kurt Kren called the whole thing as being the work of silly boys. One of the participating seminary leaders was transferred to a nursing home.

The institutional church has a high fence between priests, who are ordained in the succession of the Apostles, and the lay people. The priests have special rights over other believers. The church must recognize that among these shepherd there are also wolves.

 
 

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