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  Vatikan: Verantwortung Liegt Bei Deutschen Jesuiten

By Dieter Hanisch, Hannes Heine Und Claudia Keller
Der Tagesspiegel
February 2, 2010

http://www.tagesspiegel.de/berlin/art270,3019633

Im Licht der Offentlichkeit. Seitdem bekannt geworden ist, dass am Canisius-Kolleg in den 70er und 80er Jahren mehrere Schuler sexuell missbraucht wurden, kommt das Elite-Gymnasium in Tiergarten nicht mehr zur Ruhe.

Neue Missbrauchsvorwurfe in Hildesheim und Hamburg. Katholische Kirche ruft Opfer auf, sich zu melden. Anklager ermitteln in Baden-Wurttemberg

Der Vatikan unterstutzt die Aufklarung der Missbrauchsfalle an deutschen Jesuitenschulen. Der Sprecher der Kirchenfuhrung, Federico Lombardi, sagte aber, dass die katholischen Autoritaten im jeweiligen Land dafur zustandig seien. „Es gibt Gremien in Deutschland, die genau das jetzt tun mussen“, sagte der Pater, selbst Mitglied des Jesuitenordens. „Spezielle Informationen uber Vorfalle wie diese haben wir nicht, der Skandal ist uns durch die Medien bekannt.“

Nach Auskunft von Lombardi betrachtet der Vatikan die Offensive des deutschen Jesuiten-Chefs Stefan Dartmann als richtig. Dieser sagte am Montag in Berlin: „Ich bitte um Entschuldigung fur das, was von Verantwortlichen des Ordens damals an Hinschauen und angemessenem Reagieren unterlassen wurde.“ Vor allem in den 70er Jahren hatten sich zwei Lehrer des Berliner Canisius-Kollegs in Tiergarten an mehreren Schulern vergangen. Die Tater sind spater in andere kirchliche Einrichtungen weitergereicht worden. Sie sollen so fur Missbrauchsfalle in Hamburg und im Schwarzwald, moglicherweise auch in Gottingen, Hildesheim, Chile und Spanien verantwortlich sein.

Gestern teilte der Jesuitenorden mit, dass inzwischen noch ein weiterer dritter Pater wegen mutma?licher Ubergriffe verdachtigt wird. Er soll die Missbrauche von 1972 bis 1975 als Jugendseelsorger in Hannover begangen haben, er hat sich bisher aber nur zu einer Tat bekannt. Zuvor sei der Geistliche von 1970 bis 1971 am Berliner Canisius-Kolleg als Religionslehrer tatig gewesen und spater nach seiner Zeit in Hannover bis 1983 erneut in der Jugendarbeit in Berlin und danach in Hamburg. Der Orden konfrontierte ihn mit den Vorwurfen, nachdem sich in den vergangenen Tagen drei seiner einstigen Schuler als Opfer gemeldet hatten.

Einer der beiden Lehrer, die am Canisius-Kolleg Ubergriffe begingen, wechselte nach seinem Dienst in Berlin ins Bistum Hildesheim, wo er zwischen 1982 und 2003 in verschiedenen Gemeinden als Pfarrer tatig war. Am Dienstag teilte das Bistum mit, dass Peter R. auch wahrend dieser Zeit Jugendliche sexuell belastigte, derzeit seien zwei konkrete Falle bekannt. So habe bereits 1993 eine Mutter den damaligen Hildesheimer Bischof Josef Homeyer informiert, dass R. ihre 14-jahrigeTochter unsittlich beruhrt habe. R. sei daraufhin die Jugendarbeit untersagt, dies Verbot aber nicht konsequent durchgehalten worden. Als R. 1995 den Jesuitenorden verlie?, nahm ihn das Bistum Hildesheim sogar als Priester auf. 1997 folgte seine Versetzung nach Wolfsburg. Der dortige Pralat Heinrich Gunther sagte, die Vorgeschichte des Peter R. sei ihm damals nicht bekannt gewesen.

Hans-Joachim Osseforth, Pfarrer der Gemeinde St. Maximilian Kolbe in Hannover, in der R. von 1999 bis zum Sommer 2003 arbeitete, fragte zwar nach dem Grund fur R.s Versetzung. Die Antwort lautete jedoch, es habe „Unregelma?igkeiten mit den Finanzen gegeben“. Daraufhin habe er ihn vom Geld ferngehalten. Von Ubergriffen auf Kinder sei jedoch keine Rede gewesen. Auch habe sich bis heute niemand uber R. beschwert, der auch in Hannover zwei Jugendfreizeiten organisierte. Osseforth will nun in seiner Predigt am Sonntag die Gemeinde dazu aufrufen, ihm alles bislang moglichweise verschwiegene mitzuteilen.

In Hamburg wirkte am Dienstag der Direktor des St. Ansgar Gymnasiums, Friedrich Stolze, erleichtert, als er die Frage verneinen konnte, ob zu den bereits am Montag bekannt gewordenen drei Fallen von sexuellem Missbrauch durch Wolfgang S., den fruheren Lehrer des Canisius-Kollegs, noch weitere hinzugekommen seien. Stolze thematisierte in einer Ansprache vor der Schulerschaft die Ubergriffe, ein Brief an alle Eltern soll folgen. Je offensiver sein Gymnasium mit dem Problem umgehe, desto eher werde wieder Alltag in die Schule einkehren, sagte er. Stolze erlebte Wolfgang S. selbst noch ein Jahr als Padagoge in Hamburg. Im Kollegium sei er geschatzt worden, Kollegen des damaligen Sportlehrers seien betroffen. Sie versicherten, dass es zu „keinem Zeitpunkt irgendwelche Hinweise“ zu den nun bekannt gewordenen Ubergriffen durch S. gegeben habe. Er unterrichtete von 1979 bis 1982 an der Hamburger Schule. Die 1946 gegrundete Eliteschule wurde bis 1977 nur von Jungen besucht. Geleitet wurde die Schule in diesem Zeitraum von Jesuiten. Der letzte Jesuit verlie? die christliche Schule 1993.

Im Skandal um sexuellen Missbrauch durch den Berliner Ex-Lehrer Wolfgang S. kundigte auch der Rektor des Kolleg Sankt Blasien im Schwarzwald ruckhaltlose Aufklarung an. Auch dort haben sich bereits zwei Opfer gemeldet, mit weiteren Fallen wird gerechnet. Zudem mussten heutige Schuler ermutigt werden, sich offentlich zu beschweren, wenn sie Opfer von Gewalt wurden, teilte das Rektorat mit. Pater Wolfgang S. war von 1982 bis 1984 an dem Kolleg im Schwarzwald tatig. Die baden-wurttembergische Staatsanwaltschaft hat nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Berliner Behorden prufen noch, ob die Falle in Berlin verjahrt sind oder nicht (siehe Text unten).

 
 

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