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  „Vertrauen in Die Kirche Steht Auf Dem Spiel“

domradio
February 3, 2010

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Priesterweihe: Mussen die Kandidaten noch starker uberpruft werden?

Reformen beim Umgang der katholischen Kirche mit dem sexuellen Missbrauch durch Priester fordert der emeritierte Pastoraltheologe Hanspeter Heinz. Die 2002 von der Deutschen Bischofskonferenz erlassenen Richtlinien hatten zwar Verbesserungen gebracht, reichten aber nicht aus, sagte er am Mittwoch im Interview.

KNA: Herr Professor Heinz, welche Auswirkungen haben die jetzt bekannt gewordenen Falle sexuellen Missbrauchs auf die katholische Kirche in Deutschland?

Heinz: Auch wenn diese Falle oft schon Jahrzehnte zuruckliegen, stellen sie die Glaubwurdigkeit der Kirche massiv in Frage. Und das Vertrauen zu verlieren, ist das Schlimmste, was einer Firma oder Institution passieren kann. Alle Amtstrager und Mitarbeiter stehen plotzlich unter Verdacht.

KNA: Warum haben Bistumer und Orden in der Vergangenheit so stark vertuscht und solche Falle so wenig geahndet?

Heinz: Weil der Kirche ihr eigener Ruf starker am Herzen lag als das Schicksal der Opfer. Schon seit den 80er Jahren gibt es ja Erkenntnisse, wie stark sexueller Missbrauch die Opfer belastet - oft sogar das ganze Leben lang. Und trotzdem war die Kirche sensibler fur ihr eigenes Image.

KNA: Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das Vorgehen von Pater Mertes, der die Falle am Berliner Canisius-Kolleg offentlich gemacht hat?

Heinz: Pater Mertes macht das auf ganz hervorragende Weise. Manner wie ihn hatten wir schon lange gebraucht. Wichtig bei der Bearbeitung solcher Falle sind namlich nicht nur Entschuldigungen und Hilfen fur die Opfer. Es muss auch darum gehen, dass die katholische Kirche ihre Schuld bearbeitet, die Tater und die Verschweiger benennt und Strukturen aufdeckt, die so etwas ermoglichen.

KNA: Warum ist das so wichtig?

Heinz: Die Wahrheit ist ganz wichtig, weil unbearbeitete Schuld das Leben uber Generationen belastet. Negativ fallt mir in diesem Zusammenhang der Okumenische Kirchentag in Munchen auf. Dort sollte es zusammen mit Vertretern aus Irland, wo zahlreiche kirchliche Missbrauchsfalle in Kinderheimen bekannt geworden sind, eine Veranstaltung zu diesem Thema geben. Die Kirchentagsleitung hat dieses Angebot abgelehnt und stattdessen Caritas und Diakonie mit der Durchfuhrung beauftragt. Die aber sind befangen, weil sie selbst Trager vieler Kinder- und Jugendheime sind. Deshalb sind sie nicht die richtigen Veranstalter fur solch ein Forum.

KNA: 2002 hat die Deutsche Bischofskonferenz Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch verabschiedet. Hat sich die Praxis seitdem verbessert?

Heinz: Es gibt deutliche Verbesserungen, aber auch noch zahlreiche Mangel. Beispielsweise haben alle Diozesen Ansprechpartner benannt, an die die Opfer sich wenden konnen. Gedacht war allerdings daran, dass man unabhangige Fachleute beauftragt, um die Schwellenangst der Opfer abzubauen. Fast in der Halfte der Bistumer sind aber de facto kirchliche Amtspersonen benannt worden. Die aber sind nicht unabhangig genug, um den Opfern die Angst zu nehmen. Das reicht nicht aus.

KNA: Auffallig ist auch der Verschiebebahnhof: Man hat Tater einfach in andere Aufgaben, Gemeinden oder Bistumer geschickt, ohne die neuen Dienststellen uber Vorkommnisse zu informieren. Ist das besser geworden?

Heinz: Es war unverantwortlich, solche Menschen in einem ahnlichen Arbeitsfeld einzusetzen und ihnen erneut die Gelegenheit zu geben, Kinder und Jugendliche zu missbrauchen. Und das, obwohl genau bekannt ist, dass solche sexuellen Pragungen meist nicht mehr korrigierbar sind. Man kann hochstens lernen, damit umzugehen und sie nicht mehr aktiv auszuleben. Meiner Einschatzung nach geht die Kirche inzwischen erheblich vorsichtiger mit solchen Fallen um. Ob das allerdings uberall und in jedem Fall geschieht, kann ich nicht uberblicken.

KNA: Pater Mertes hat erklart, dass auch strukturelle Probleme der katholischen Kirche den sexuellen Missbrauch begunstigen, darunter eine einseitige Verurteilung der Homosexualitat. Sehen Sie das auch so?

Heinz: Ich sehe das ahnlich. Der Vatikan und viele Amtstrager haben in den vergangenen Jahren die Homosexualitat als Krankheit verunglimpft und sie fur die Neigung zum sexuellen Kindesmissbrauch verantwortlich gemacht. Das entspricht in keiner Weise den modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen; manche aktuellen vatikanischen Dokumente verraten nicht die Spur einer Ahnung davon.

KNA: Homosexualitat ist also nicht das eigentliche Problem...

Heinz: Man lenkt mit der Homophobie von den eigentlichen Problemen ab: Ursache von sexuellem Missbrauch ist eine fehlende psycho-sexuelle Reife, eine mangelhafte Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualitat. Und das kann bei Homosexuellen genau so vorkommen wie bei Heterosexuellen.

KNA: Begunstigt der Zolibat solche Praktiken?

Heinz: Die zolibatare Lebensform lockt solche Leute an, die sich nicht ausreichend mit ihrer Sexualitat auseinandergesetzt haben oder die ihre sexuelle Ausrichtung verbergen wollen. Diese Menschen meinen falschlicherweise, sie mussten sich als Zolibatare nicht Rechenschaft uber ihre Neigungen abgeben. Und sie mussen sich ja auch nach au?en hin nicht rechtfertigen, warum sie nicht in einer Partnerschaft leben.

KNA: Was hei?t das fur die Priesterausbildung?

Heinz: Das bedeutet, dass mehr Psychologen und Therapeuten in den Seminaren prasent sein mussen, die solche Probleme erkennen. Eine spirituelle Begleitung reicht nicht. Da gibt es erheblichen Nachholbedarf.

KNA: Hei?t das nicht auch, dass der Zolibat abgeschafft werden sollte?

Heinz: Der Zolibat ist durchaus eine vernunftige Lebensform, wenn man ihn aktiv bejaht und nicht nur in Kauf nimmt. Das gilt naturlich vor allem fur Ordensleute. Etwas anderes ist, ob der Pflichtzolibat fur Weltpriester in der heutigen Situation der Seelsorge noch angemessen ist. Ich halte ihn fur eine pastorale Katastrophe, weil die Priesterzahl in allen westlichen Landern seit Jahrzehnten stark zuruckgeht und damit in den Gemeinden immer seltener Eucharistie gefeiert werden kann. Denn die Ermoglichung der Eucharistiefeier ist weit wichtiger als die kirchliche Tradition des Pflichtzolibats.

 
 

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