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  Er Hat Meine Seele Getötet
Interview Norbert Denef Leidet Heute Noch Unter Den Spätfolgen Des Sexuellen Missbrauchs Durch Einen Priester

By Stuttgarter Zeitung
Stuttgarter Zeitung
February 4, 2010

http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2375168_0_9223_--quot-er-hat-meine-seele-getoetet-quot-.html

GERMANY -- Als Kind wurde Norbert Denef (60) jahrelang von einem Priester und einem Organisten im sächsischen Delitzsch missbraucht. Unter den Spätfolgen leidet er noch heute. Im Gegensatz zu den meisten anderen Opfern hatte er Beweise. Damit konnte er die katholische Kirche drängen, ihn finanziell für seinen Leidensweg zu entschädigen - hierzulande wohl ein einmaliger Fall. Doch dem Familienvater reicht das nicht. Er kämpft weiter - dafür, dass der Gesetzgeber das Strafrecht insofern ändert, als die Opfer auch Jahre später noch Ersatzansprüche geltend machen können. Von der Diskussion über mögliche Konsequenzen aus dem Skandal am Berliner Canisius-Kolleg verspricht sich Norbert Denef Auftrieb.

Herr Denef, Sie konnten erst 35 Jahre nach Ihrem sexuellen Missbrauch öffentlich darüber sprechen. Wundert es Sie, dass der Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin ehemalige Schüler erst jetzt über Missbrauchsfälle aus den siebziger Jahren informiert hat?

Nein, dieses Schema ist typisch. Erst versucht man, die Fälle zu verschweigen. Man geht erst nach draußen, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Dann tut man so, als wäre man um Aufklärung bemüht.

Immerhin ist die Kirche von selbst an die öffentlichkeit getreten. Ein mutiger Schritt?

Nein, mutig war, dass die Opfer schon vor Jahren versucht haben, etwas zu bewegen. Ich verstehe nicht, warum die Schulleitung erst jetzt darauf reagiert hat.

Es heißt, die Opfer hätten um Diskretion gebeten.

Das ist doch Theater. Erst reagiert man nicht. Dann schiebt man die Schuld auch noch den Opfern zu. So versucht man sich reinzuwaschen.

Sie unterstellen den Verantwortlichen, sie hätten auf Zeit gespielt? Ja, die Verjährungsfrist für eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs läuft nach zehn Jahren ab. Die Opfer können jetzt zivilrechtlich keine Ansprüche mehr erheben.

Warum haben Sie selbst 35 Jahre gewartet, bevor sie den Pfarrer mit seinen Taten konfrontiert haben?

Wer so etwas erlebt hat, spaltet die Erinnerung ab, um nicht jedes Mal wieder den Schmerz erleben zu müssen, der damit verbunden ist. Hirnforscher können diesen Prozess sogar neurochemisch erklären: Es fehlen bestimmte Verbindungen im Hirn, die lösen dieses Schweigen aus.

Was geht in einem Kind vor, wenn der Pfarrer nach dem Gottesdienst in seinem Büro plötzlich zudringlich wird?

Ich erinnere mich daran, dass ich als Zehnjähriger auf seinem Sofa lag und seinen Schwanz im Mund hatte. In der Seitenwand des Schreibtisches nebenan war ein Loch. Darin habe ich mit meinen kleinen Fingern herumgebohrt, so lange, bis die Scheiße vorbei war. Es klingt merkwürdig, aber dieses Loch hat mir geholfen, den Missbrauch auszublenden.

Ein Pfarrer gilt als Autorität, vielleicht sogar als Vertrauter eines Kindes . . .

. . . der ist gottgleich, mit dem Papst als Chef. Sehen Sie, meine Mutter war alleinerziehend, fünf Kinder. Ich wurde gezeugt, um die Ehe meiner Eltern zu retten. Die Kirche stand immer an erster Stelle. Ich war für diesen Pfarrer ein dankbares Opfer.

Wenn Sie den Missbrauch damals angezeigt hätten, hätte Ihnen Ihre Mutter geglaubt?

Nein, meine Familie grenzt mich ja heute noch aus, seit ich mit meiner Geschichte an die öffentlichkeit gegangen bin. Der Organist, einer der Täter, stammt aus dem Umfeld meiner Familie. Das macht die Sache kompliziert.

Ihre Brüder waren auch Ministranten. Wurden die ebenfalls missbraucht?

Ich gehe davon aus, dass mehr als 130 Kinder missbraucht wurden. Die meisten schaffen es nicht, sich mit ihrem Leid auseinanderzusetzen. Stattdessen stempeln sie mich als Netzbeschmutzer ab. Deswegen empfinde ich es als Wunder, dass sich gleich 20 ehemalige Opfer des Canisius-Kollegs gemeldet haben.

Im Schutz der katholischen Kirche müssen die Täter offenbar nicht einmal strafrechtliche Konsequenzen befürchten. Oder sind sie in Ihrem Fall verurteilt worden?

Nein, der Priester wurde einige Male strafversetzt. Der Organist wurde prunkvoll in den Ruhestand verabschiedet. Er genießt nach wie vor hohes Ansehen.

Haben sie ihre Taten wenigstens bereut?

Nein, der Priester war sich keiner Schuld bewusst. Als ich ihn zur Rede gestellt habe, hat er gesagt, das sei doch alles nicht so schlimm gewesen. Der Organist sagte: "Die Frage ist doch, wer angefangen hat." Er ist zehn Jahre älter als ich.

ärzte haben Ihnen attestiert, dass Sie zu 60 Prozent schwerbeschädigt sind. Was hat der Missbrauch mit Ihnen angerichtet?

Er hat meine Seele getötet. Nach außen hin habe ich bis zum 40. Geburtstag unauffällig gelebt. Ich habe geheiratet und zwei Kinder gezeugt. Ich war technischer Leiter an einem Theater, süchtig nach Arbeit. Aber innerlich fühlte ich nichts. Ich muss noch heute in kochend heißem Wasser baden, um mich zu spüren.

Nun sind Sie seit einem Jahr arbeitsunfähig. Mit welcher Diagnose wurden Sie krankgeschrieben?

Posttraumatische Belastungsstörung. Ich leide unter Panikattacken und Albträumen. Der Gedanke an Selbstmord ist mein ständiger Begleiter.

Das Bistum Magdeburg hat Ihnen 25 000 Euro Entschädigung gezahlt. Wie haben Sie das erreicht?

Indem ich dafür gesorgt habe, dass mir beide Täter ihr Geständnis schriftlich gegeben haben. Ich hatte das Glück, dass mir ein ranghoher Mitarbeiter der Kirche Einblick in die Personalakten gegeben hat. Damit konnte ich das Bistum Magdeburg unter Druck setzen. In den Akten stand, dass meine Geschichte kein Einzelfall war.

Die Entschädigung haben Sie unter der Bedingung bekommen, dass Sie öffentlich schweigen. Wie hat die Kirche reagiert, als Ihr Buch erschienen ist?

Gar nicht. Allerdings hatte ich nach zähem Ringen erreicht, dass sie die Schweigeklausel vorher zurückgenommen hat.

Sie kämpfen jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dafür, dass die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch abgeschafft wird. Der Bundestag hat eine entsprechende Petition 2008 schon abgelehnt. Mit welcher Begründung?

Verjährungsfristen seien zur Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit unabdingbar.

Glauben Sie, dass die Diskussion um den Skandal am Canisius-Kolleg zu einer Neubewertung Ihrer Petition führen könnte?

Ich hoffe es. Dieser Skandal hat mir die Tür zu den Medien geöffnet. Dafür habe ich jahrelang gekämpft.

Das Gespräch führte Antje Hildebrandt.

[summary]

"He Killed My Soul"

Norbert Denef, 60, was abused as a child by a priest and an organist in the Saxony town of Delitzch. He still suffers from the effects today. Unlike most victims of abuse he had evidence and urged the Catholic Church to compensate him financially for the ordeal. In this country, this is unique.

But this is not enough. He continues to fight for legislation of amend the criminal law to extended the statute of limitations of sexual abuse since it can take years for a victim to report the abuse. Revelation of abuse at Canisius College in Berlin has encouraged Mr. Denef.

Mr. Denef said he is not surprised that abuse at Canius has taken 35 years to become public. This pattern his typical, he said. They first tried to conceal the cases and it only becomes public when their backs are to the wall. Then they talk as if they were trying to explain.

He was asked if he thought it was a bold move that the church made public the accusations. He said it wasn't. The victims tried years ago to make a difference and he said he does not understand why the church is making this public now.

The interviewer said the victims originally had asked for confidentiality. He described this as "theater." They first would not respond and then they pushed blame onto the victims and they try to redeem themselves.

He was asked if he thought they played for time. He said they did play for time since the statute of limitations expired after 10 years. Victims can no longer bring civil claims.

He was asked why they waited 35 years to confront the priest with the accusations.

Anyone who has experienced such a thing knows there is a process in the brain so the victim does not have to relive the pain all the time. Brain researchers can use this neurochemical process to explain. There is a lack of certain compounds in the brain that triggers the silence.

Mr. Denef said a pastor is an authority figure or even a confident of the child. His mother was a single parent of five children. He said he was conceived to save his parents marriage. The church was paramount in the family.

He was asked if his brothers, who also were altar boys, were abused. He said he assumes more than 130 children were abused. Most cannot deal with their suffering and said he finds it surprising that there are 20 victims at Caniusius who have come forward.

Under protection of the Catholic Church, perpetrators apparently have not feared criminal prosecution. Were they convicted in your case? No, Mr. Denef answered. The priest was exiled several times and the organist, who had connections to his family, retired.

Did they regret their actions? No. The priest had no guilt. The priest said it was not all that bad and the organist said the question was who started it. The organist was 10 years older than him.

Doctors have certified you as being 60 percent damaged by the abuse. What has the abuse done to you? It killed his soul, he said. Outwardly, he lived quietly until his 40th birthday. He got married and fathered two children. He was a technical director at a theater and was addicted to work. But inside he felt nothing. He said he still needs a boiling water bath "to feel myself."

Mr. Denef has not worked a year because he has been on sick leave for post-traumatic stress disorder. He said he suffers from panic attacks and nightmares. He said he often feels suicidal.

The Magdeburg diocese paid him 25 000 euros compensation. He was asked how he achieved this. Mr. Denef said he had confessions in writing from the priest and the organist. Mr. Denef published a book on his abuse although the diocese had made confidentiality a requirement in settling his case. He was asked if the church has responded to his going public. He said they have not responded but he negotiated to strike the confidentiality requirement.

He is now fighting in the European Court of Human Rights to end the statute of limitations for sexual abuse. The Bundestag (the national German legislature) rejected a similar petition in 2008.

He was asked if he thought the scandal at Canisius would lead to reassessment of his petition. He said he hoped so. The scandal has opened doors to the media.

 
 

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