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  "Ein Dunkles Gesicht Der Kirche"

Der Spiegel
February 6, 2010

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,676331,00.html

Erzbischofliches Kreuz: Die katholische Kirche wird durch neue Missbrauchsfalle erschuttert

Der Skandal um Kindesmissbrauch erschuttert die katholische Kirche in Deutschland, allein seit 1995 hat es uber 90 Verdachtsfalle gegeben. Der Jesuit Hans Langendorfer, Sekretar der Deutschen Bischofskonferenz, spricht im Interview mit SPIEGEL ONLINE uber Fehler und Verantwortung der Kleriker.

SPIEGEL ONLINE: Nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsfalle an den Jesuitenschulen in Berlin, Hamburg, St. Blasien und an den katholischen Einrichtungen im Bistum Hildesheim sprach Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, vorige Woche davon, dies sei nur die Spitze des Eisbergs - welche Dimension wird der Skandal erreichen?

Langendorfer: Das kann jetzt naturlich noch niemand sagen. Es ware wohl wirklichkeitsfremd anzunehmen, dass nach den jetzigen Enthullungen schon alles offenbar geworden ist. Aber wir wollen ausdrucklich die Aufklarung, damit wir helfen konnen. Die Enthullungen zeigen ein dunkles Gesicht der Kirche, das mich erschreckt.

SPIEGEL ONLINE: Die Jesuiten selbst kritisieren das jahrzehntelange Vertuschen der Missbrauchsfalle. Haben sie recht? Hat man - insbesondere vor 2002 - auch in den katholischen Bistumern viel zu lange weggesehen?

Langendorfer: Vertuschen war immer falsch und leider weit uber die Kirche hinaus allgemein ublich. Das Thema Missbrauch hat die Bischofe immer wieder beschaftigt. Es war ein wichtiger Schritt, dass 2002 Leitlinien der Bischofskonferenz zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjahriger durch Geistliche beschlossen wurden. Wir wollen das Thema offen angehen und tun das spatestens seitdem auch. Mittlerweile hat jedes deutsche Bistum einen Beauftragten fur Opfer und Tater benannt.

SPIEGEL ONLINE: Die Leitlinien zementierten aber auch die Praxis, dass ein Fall zunachst kirchenintern behandelt wird - und womoglich nie offentlich wird.

Langendorfer: Die Leitlinien legen fest, dass jede Anzeige oder Verdachtsau?erung umgehend gepruft wird. Dabei gilt die Sorge der Kirche zuerst dem Opfer. Bei Erhartung des Verdachts wird auch eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet. Wir legen gro?en Wert darauf, dass bei der Aufklarung die Staatsanwaltschaft ihren Pflichten nachkommen kann. Sexueller Missbrauch Minderjahriger ist nicht nur nach staatlichem, sondern auch nach kirchlichem Recht eine Straftat. Die Leitlinien ermoglichen ein einheitliches, konsequentes und transparentes Vorgehen. Dazu gehoren auch menschliche, therapeutische und seelsorgliche Hilfsangebote an die Opfer und ihre Angehorigen. Es ist auch finanzielle Unterstutzung im Einzelfall moglich.

SPIEGEL ONLINE: Konnen Sie zumindest teilweise eine Mitschuld der katholischen Sexualmoral erkennen? Inwieweit haben die strengen Hierarchien, Gehorsams- und Machtstrukturen in der Kirche die Taten und das Schweigen begunstigt?

Langendorfer: Das spezielle Vertrauen, das der Priester oft genie?t, kann fur den verbrecherischen Tater Missbrauch leichter machen. Ich wehre mich aber dagegen, alle Priester unter Generalverdacht zu stellen. Die katholische Moral verlangt die unbedingte Achtung des Anderen, seiner Wurde und Integritat. Wenn besondere kirchliche Strukturen Transparenz verhindert haben, dann muss das aufhoren. Die Voraussetzungen dafur sind geschaffen. Ich denke, dass fruher auch viele einer Tauschung unterlagen, was es mit dem sexuellen Missbrauch Minderjahriger wirklich auf sich hat. Das Wissen uber den Umgang mit padophilen Neigungen, uber die Moglichkeiten und Grenzen einer Therapie und Begleitung gab es nicht wie heute, weder in der Kirche noch in der Gesellschaft.

SPIEGEL ONLINE: Warum kommen solche Falle gerade in der katholischen Kirche so oft vor? Welche Rolle spielen dabei Priestermangel und Zolibat?

Langendorfer: Es stimmt nicht, dass in der katholischen Kirche die Falle "so oft" vorkommen. Ja, Missbrauchsfalle kommen bei uns vor und erschuttern uns. Aber wir wissen alle, dass jeder Ort, wo Erwachsene mit Kindern und Jugendlichen zusammenkommen - angefangen vom Sportverein - ein moglicher Tatort fur Personen mit entsprechenden Neigungen ist. Die Mehrzahl der Missbrauchsfalle ereignet sich im engeren familiaren Umfeld. Falle, in denen Priester beteiligt sind, finden eine besondere Beachtung, zu Recht. Es wird ein spezielles Vertrauen missbraucht. In Bezug auf die Haufigkeit entsteht aber rasch ein falscher Eindruck. Weder Ehelosigkeit noch Priestermangel schaffen Missbrauchstater.

 
 

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