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  Wie Die Kirche Ihr Missbrauchsproblem Verdrangt

By Von Gernot Facius
Welt
February 6, 2010

http://www.welt.de/politik/deutschland/article6281037/Wie-die-Kirche-ihr-Missbrauchsproblem-verdraengt.html

Priester im Beichtstuhl ? viele Missbrauchsfalle wurden in der Katholischen Kirche verdrangt

Kindesmissbrauch gibt es nicht nur in der Katholischen Kirche. Doch hier sind die Widerstande besonders gro?, wenn es um Aufklarung und Opferhilfe geht. Nachdem nun immer neue Falle bekannt werden, ist das Bestreben gro?, das Problem endlich konsequent anzugehen. Doch die Kritiker bleiben skeptisch.

Der Richter war emport. Vor Karl Iglhaut sa? im Regensburger Landgericht als Ruckfalltater der Priester Peter K., 40, der wegen sexuellen Missbrauchs eines Messdieners eine dreijahrige Haftstrafe erhielt. Scharf kritisierte der Richter die Leitung der Diozese Regensburg: Sie habe den Padophilen schon wahrend seiner Bewahrungszeit nach dem ersten Missbrauchsfall wieder in einer Gemeinde eingesetzt und ihn so in eine „Versuchungssituation“ gebracht. Der Jurist verglich das mit einer Bank, die jemanden anstelle, der „wegen Untreue oder Unterschlagung vorbestraft ist“.

Der Fall, 2008 verhandelt, steht exemplarisch fur lasches kirchliches Handeln, wie es sich nun auch beim Skandal am Berliner Canisius-Kolleg der Jesuiten gezeigt hat. Dabei hatte es die Regensburger Affare gar nicht geben konnen, wenn damals die bereits 2002 von der Deutschen Bischofskonferenz verabschiedeten Leitlinien zum „Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjahriger in der katholischen Kirche“ konsequent angewandt worden waren. Klipp und klar hei?t es darin: „Heute steht fest, dass Padophilie eine sexuelle Storung ist, die von der Neigung her strukturell nicht abanderbar ist.“

Doch im Fall Peter K. hatte sich der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Muller mit einem 2003 abgegebenen Gutachten verteidigt, wonach bei Peter K. ein Ruckfall sehr unwahrscheinlich sei. Hinzu kam, dass das Bistum lediglich einen Dekan beauftragt hatte, er solle „ein Auge haben“ auf den Priester.

"Taterorientierte" Leitlinien?

Wegschauen oder wegversetzen war die Methode, mit auffallig gewordenen Geistlichen umzugehen. Bis 2002 die katholische Kirche in Deutschland erstmals seit langer Zeit mit einer Welle von Priester-Skandalen konfrontiert wurde.

So kam es nach zaher Debatte zu den Aufklarungsleitlinien. Doch rachte sich, dass sie den Diozesen viel Spielraum lassen. Erst jetzt, nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsfalle am Berliner Canisius-Kolleg und in mehreren Bistumern, will die Bischofskonferenz wieder uber die Leitlinien reden und sie gegebenenfalls „nachbessern“.

Reicht es aus, fragen Kritiker seit Jahren, dass in jeder der 27 Diozesen nur ein Ansprechpartner, oft ein Personalreferent oder ein Domkapitular, den Opfern zur Verfugung steht? Muss es nicht endlich uberall ein „niedrigschwelliges Angebot“ geben, mit unabhangigen Fachleuten?

„Wenn ich Schuler bin, werde ich doch nicht den Personalreferenten anrufen, der moglicherweise mit dem Tater im selben Jahr zum Priester geweiht worden ist“, begrundet Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ seine Zweifel.

„Das geht so nicht“, sagt auch der Leipziger Jesuit und Pastoraltheologe Hermann Kugler der „Welt am Sonntag“. „Da mussen Leute von au?erhalb ran.“ Nach Erkenntnissen des Augsburger Pastoraltheologen Hanspeter Heinz sind in fast der Halfte aller deutschen Diozesen kirchliche Amtspersonen als Ansprechpartner benannt worden: „Die aber sind nicht unabhangig genug, um den Opfern die Angst zu nehmen.“

„Taterorientiert“ seien die Leitlinien, meint man bei „Kirche von unten“, sie ermoglichten noch immer Strafvereitelung nach dem Motto: Verfehlungen in unseren Reihen regeln wir selber, ohne sie an die gro?e Glocke zu hangen. Dabei sollte Opferschutz vor Taterschutz gehen.

"Mit dem Willen Gottes geht das irgendwie"

Die Vorgange am Canisius-Kolleg, sie liegen 30 Jahre zuruck, sind eine vergrabene Zeitbombe. Der Jesuiten-Orden wusste von den Fallen, hat aber geschwiegen. Ihm war offenbar der eigene Ruf wichtiger als das Schicksal der Opfer.

Indes war damals die heute geforderte „Kultur des Hinschauens“ in der gesamten Gesellschaft unterentwickelt, erst allmahlich ist die Sensibilitat gegenuber Gewalt und Missbrauch in Schule, Familie und eben Kirche gewachsen. Und die kirchliche Abschottung hatte ihren Grund auch darin, dass die Nazis einzelne Missstande in Klostern und Pfarreien herausgegriffen hatten, um die Kirche zu diskreditieren.

Dennoch spricht der Jesuit Bernd Hagenkord, neuer Chef des deutschen Programms von Radio Vatikan, von einem „Kartell des Wegduckens, des Sich-nicht-darum-Kummerns“. In der Hoffnung, „Mit dem Willen Gottes geht das irgendwie“, habe man sich nicht gefragt, ob es bei einem Mitbruder ein Problem gibt.

Ein solches Kartell konnte gebrochen werden, meint Pater Kugler, wenn man den „Systemfehler“ korrigiere, die Beauftragten fur die Aufklarung aus den eigenen Reihen zu nehmen. Die Kirche, eine „hermetische Institution ohne Transparenz“, geubt im Aufbau von Schweigemauern, sei immer bemuht gewesen, die Falle intern zu regeln und den Staatsanwalt drau?en zu halten. „Da stecken die Probleme.“

"Nicht gelernt, intime Beziehungen aufzubauen"

Diese Probleme sind nicht so sehr allein beim Zolibat zu finden, denn Missbrauch gibt es auch bei Amtstragern der reformatorischen Kirchen und zumal in Familien, in denen sich 90 Prozent aller solcher Falle ereignen. Eine Partnerschaft allein kann Missbrauch nicht verhindern. Bei Priestern, da sind sich Fachleute einig, seien Missbrauchsneigungen primar Folge sexueller Unreife.

Wunibald Muller im unterfrankischen Munsterschwarzach, der sich seit Jahren in kirchlichem Auftrag mit dem Problem auffallig gewordener Geistlicher befasst, sagt: „Viele Priester, die zu Sexualstraftatern werden, haben nie gelernt, innige und intime Beziehungen aufzubauen.“ Sonst wussten sie Grenzen zu respektieren.

Nach Pater Kuglers Ansicht war das katholische Priesteramt stets attraktiv fur Menschen, die in ihrer sexuellen Entwicklung auf einer kindlichen oder pubertaren Stufe stehen geblieben sind. Viele seien dem Irrtum erlegen, dass sie sich mit ihrer psychosexuellen Entwicklung nicht auseinandersetzen mussten, da sie ja ein zolibatares Amt anstrebten.

Dass in der Priesterausbildung mehr Wert auf die Forderung der emotionalen Reife der Kandidaten gelegt werden muss, auf ihre Emanzipation, hat die Bischofskonferenz erkannt und erstmals 1978, dann wieder 1988 in ihren Richtlinien festgelegt. In der Personlichkeitsbildung sei inzwischen manches besser geworden, bestatigen Pater Kugler und der Pastoraltheologe Heinz.

Indes bescheinigt Kugler seiner Kirche eine jahrtausendealte Erfahrung in der Trennung eines au?eren Bereichs der Disziplin, der Prufung und Uberprufung, und eines inneren Bereichs des Gewissens. Das spiegele sich in den Priesterseminaren wider, in den getrennten Amtern des Rektors und des Spirituals, „vergleichbar Indianerstammen, bei denen es einen Hauptling und einen Schamanen gibt“.

"Beten und Vorlesungen, das allein bringt es nicht"

Der geistliche Begleiter im Priesterseminar darf keinen Bericht an den Bischof geben. Doch spirituelle Begleitung, gibt Hanspeter Heinz zu bedenken, reiche nicht aus. Es mussten mehr Psychologen und Therapeuten in die Seminare. Mit den Kandidaten musse auch uber ihre Bedurfnisse gesprochen werden, fordert Kugler: „Beten und Vorlesungen, das allein bringt es nicht.“

Drucken Bischofe angesichts des Priestermangels ein Auge zu bei der Auswahl der Kandidaten? Wer den Munchner Regens und Vorsitzenden der Regentenkonferenz der deutschen Priesterseminare, Franz Joseph Baur, befragt, hort ein deutliches Nein: „Die Bischofe halten sogar eher dazu an, keine faulen Kompromisse zu schlie?en.“

Risikozonen gibt es dennoch. Ein Problem liegt in der streng hierarchischen romischen Kirchenstruktur und dem uberhohten Priesterbild. Dies verleiht dem geweihten Mann Macht uber andere. „Hochwurden“ ist, da er nach katholischem Verstandnis Christus reprasentiert, herausgehoben aus der Masse der Glaubigen, gilt als etwas Besonderes. Der Mann in der Soutane erfahrt das taglich, ein labiler Mensch kann leicht in Versuchung geraten, Sexualitat kann ein Mittel zur Durchsetzung von Macht sein. Aus dem Seelsorger wird dann ein Seelenzerstorer.

Der ehemalige Ministrant Norbert Denef sammelt im Internet Unterschriften mit dem Ziel, beim Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte eine Aufhebung der deutschen Verjahrungsfristen bei sexuellem Missbrauch zu erreichen. Dann konnten Opfer auf eine Entschadigung hoffen. Denef war selbst ein Opfer. Jahrelang hat er mit dem Bistum Magdeburg um angemessenes Scherzensgeld gekampft. Uber sein Leben nach dem Missbrauch durch einen Geistlichen sagt er: „Man idealisiert die Tater. Nur so kann man uberleben. Als ich plante, mein Schweigen zu brechen, habe ich mich wie ein Selbstmordattentater gefuhlt, der sich unter die Menschen wirft und die Bombe zundet.“

 
 

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