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  Versicherer Fürchten Forderungen Gegen Jesuiten

Von Friederike Krieger
Financial Times Deutschland
February 22, 2010

http://www.ftd.de/unternehmen/versicherungen/:missbrauchskandal-versicherer-fuerchten-forderungen-gegen-jesuiten/50078457.html

GERMANY -- In den USA musste der Orden bereits dreistellige Millionensummen zahlen. Angesichts der Missbrauchsfälle rechnen nun auch deutsche Versicherer mit Forderungen. Mehrere Anwälte prüfen bereits Sammelklagen.

Versicherer und Rückversicherer beobachten den Skandal um sexuelle übergriffe an den Jesuitenschulen mit großer Aufmerksamkeit. Schadenersatzansprüche von Opfern könnten bei den Gesellschaften landen - denn die Ausbildungsstätten haben alle eine Betriebshaftpflichtversicherung, die unter bestimmten Umständen zahlen muss. Für einen vergleichbaren Skandal in den USA haben mehr als zehn Versicherer - darunter Allianz und Munich Re - Mitte 2007 mehr als 200 Mio. $ gezahlt.

Rund 120 Missbrauchsopfer haben sich bereits bei der Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue gemeldet, die sich im Auftrag des Jesuitenordens um die Aufarbeitung des Skandals kümmert. Der größte Teil sind ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs und anderer Jesuitenschulen.

Viele Opfer haben mit psychischen Problemen zu kämpfen, die auf den Missbrauch zurückzuführen sind. Deshalb können sie Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen - sowohl von ihrem ehemaligen Peiniger als auch von den Einrichtungen.

Tatort: Eingang des Canisius-Kollegs in Berlin

Die Täter selbst sind nicht versichert. "Für den sexuellen Missbrauch, der etwa einem Pater zur Last gelegt wird, gibt es keinen Versicherungsschutz", sagte ein Sprecher des Versicherungsmaklers Ecclesia, der auf kirchliche Einrichtungen spezialisiert ist. Haftpflichtpolicen, die dann leisten, wenn der Versicherte einem Dritten Schaden zufügt, zahlen zwar bei grober Fahrlässigkeit - nicht aber bei vorsätzlich begangenen Taten. Anders verhält es sich bei Ansprüchen gegen die Ausbildungsstätten. "Sollten Schadensersatzansprüche gegen entsprechende Organisationen geltend gemacht werden, etwa weil Aufsichtspflichten verletzt wurden, werden solche Fälle von der Betriebshaftpflichtversicherung begleitet", sagte der Sprecher. Auch die Jesuitenschulen haben nach Angaben des Ordens Betriebshaftpflichtpolicen abgeschlossen.

In Deutschland betragen Versicherungssummen für solche Betriebshaftpflichtpolicen bis zu 20 Mio. Euro, sehr selten mehr. Anbieter sind Versicherer wie die Allianz , HDI Gerling und Aachen-Münchener. Die Versicherer wissen, dass sexueller Missbrauch teuer werden kann. übergriffe durch Priester in Kalifornien kosteten die Haftpflicht-Versicherer der Erzdiözese von Los Angeles Mitte 2007 rund 227 Mio. $. In einer außergerichtlichen Einigung hatte sich die Erzdiözese verpflichtet, rund 660 Mio. $ an 508 Kläger zu zahlen, davon trugen die Versicherer rund ein Drittel.

In Deutschland können die Missbrauchsopfer allerdings nicht mit so hohen Summen rechnen. "Die Chancen auf strafrechtliche Verfolgung und auf Schadensersatz tendieren gegen Null", sagte der Düsseldorfer Rechtsanwalt Rüdiger Deckers in Bezug auf die jetzt bekannt gewordenen Fälle. Nach dem Bericht der Jesuitenanwältin Raue ereigneten sich die jüngsten bekannten Fälle Mitte der 80er-Jahre. Allerdings kommt es bei solchen Enthüllungen oft zu mehreren Wellen - und es ist nicht ausgemacht, dass in den kommenden Wochen und Monaten nicht auch jüngere Fälle ans Tageslicht kommen. Damit rechnet Raue.

Strafrechtlich können Täter wegen sexuellem Missbrauch noch zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag des Opfers belangt werden. "Bei Vergewaltigung endet die Verjährung mit dem 38. Lebensjahr der Opfer", sagte Deckers. Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche verfallen schon drei Jahre nach Vollendung des 21. Lebensjahrs.

Leicht wird es für die Opfer nicht werden, Forderungen durchzusetzen. "Es ist extrem schwierig, einer Organisation wie den Jesuiten Verletzungen der Aufsichtspflicht nachzuweisen", sagte der Frankfurter Rechtsanwalt Knut Höra, der auf Haftpflichtversicherungsrecht spezialisiert ist.

Doch zwei Berliner Juristen prüfen den Klageweg. Die Rechtsanwältin Manuela Groll, bei der sich rund zehn Opfer gemeldet haben, prüft derzeit die Möglichkeit, Schmerzensgeldansprüche in Deutschland durchzusetzen. Der Rechtsanwalt Lukas Kawka, der Missbrauchsopfer des Berliner Canisius-Gymnasiums vertritt, erwog zudem eine Sammelklage gegen den Jesuitenorden in den USA, sollte sich herausstellen, dass ein Schüler die amerikanische Staatsbürgerschaft hat.

Insolvenz in den USA

Mittlerweile bezeichnet Kawka solche Forderungen jedoch als aussichtslos und verweist auf eine Insolvenz der US-Jesuiten. Bereits vor einem Jahr hatte die Oregon Province of the Society of Jesus nach Chapter 11 ihre Zahlungsunfähígkeit erklärt. Nach eigenen Angaben hatten die Jesuiten im Nordwesten der USA zuvor bereits rund 25 Mio. $ an Entschädigungen aus eigener Tasche bezahlt - vor allem für Missbrauchsfälle in Alaska. Der weltweit größte Rückversicherer Munich Re schließt nicht aus, dass es auch in Deutschland versicherte Schäden gibt. "Die Versicherungswirtschaft und auch die Munich Re könnten von den Missbrauchsfällen tangiert werden", sagte ein Sprecher. Immer mehr Fälle von sexuellem übergriffen an Schulen kämen derzeit ans Licht. "Grundsätzlich können da Schäden auf die Assekuranz zukommen", so der Sprecher.

Rechtsanwalt Höra glaubt, dass zumindest die Jesuiten von sich aus Schadensersatz zahlen werden, ohne die Haftpflichtversicherung einzuschalten. "Würden die Jesuiten ihre Haftpflichtversicherung einschalten, wären sie permanent in den Medien", sagt er. "Das werden sie nicht wollen."

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Insurers fear claims against Jesuits

In the United States, the Jesuit order has already paid out three-digit millions for sexual abuse claims and now it could go higher with Germany insurance companies paying out on claims. Several attorneys have already examined a class action lawsuit.

Insurers and reinsurers are observing the sexual assault scandal at Jesuit schools with great attention. Compensation claims to victims could end up with the insurance companies because the religious order has public liability insurance which must be paid in certain circumstances. In the United States more than 10 insurance companies -- including Allianz and Munich Re -- have paid out more than $200 million.

Some 120 victims of abuse have been reported by Berlin attorney Ursula Raue who is working for the Jesuits to investigate the scandal in Jesuit schools. The majority are former students of Canisius College and other Jesuit schools. Many victims are struggling with mental health problems that result from the abuse. Therefore, they can claim damages and compensation by both their former tormentor and the institutions.

The offenders are not insured. Therefore the sexual abuse by a priest is not covered by insurance, said a spokesman for the insurance broker Ecclesia, which specializes in service to churches. It is different for claims against schools. Claims can be made if the organization's supervisory duties were violated and those cases fell under the employer's liability insurance. The insurers know that claims of sexual abuse can be expensive. Assaults by priests in the Archdiocese of Los Angeles cost the insurance companies about $227 million. In a court settlement, the archdiocese was obliged to pay about $660 million to 508 applicants. The insurers contributed about a third of the amount.

In Germany, however, victims cannot expect such high amounts. Chances of criminal prosecution are zero, said Dusseldorf lawyer Ruediger Deckers. According to Raue, the earliest known cases are in the mid-1980s. However, such revelations often come in several waves and it is not certain how many more cases will be known in coming weeks and months.

 
 

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