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  Kollateralschaden in Kloster Ettal

FAZ
March 14, 2010

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Abt Barnabas: Ausgerechnet ihn hat es zuerst getroffen
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„Kollateralschaden“ war das Unwort des Jahres 1999. Es hatte damals zur Verharmlosung der Tatsache gedient, dass die angeblich so „chirurgischen“ Schlage der Nato-Bomber im Jugoslawien-Krieg auch unschuldige Opfer au?erhalb der angezielten militarischen Objekte kosteten. Wie es damals darum ging, schreckliche Verbrechen zu verhindern, so ist jetzt die schonungslose Aufklarung der entsetzlichen Missbrauchsfalle in katholischen Einrichtungen eine gerechte Sache.

Endlich konnen die Opfer zu Wort kommen, endlich werden die Tater mit ihren Verbrechen konfrontiert, endlich konnen auch die zur Verantwortung gezogen werden, die durch Wegschauen, Vertuschen und Verharmlosen die Taten ermoglicht oder gedeckt haben. Doch auch bei dieser gerechten Sache konnen „Kollateralschaden“ vorkommen, die unschuldige Menschen zwar nicht physisch, aber moralisch vernichten oder doch zumindest schwer schadigen. Ein unuberpruftes Gerucht, eine unprofessionelle Recherche, ein fehlinterpretierter Text, sie konnen verheerende Wirkungen haben.

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Zu Unrecht zum Rucktritt gedrangt

Im derzeitigen Missbrauchsskandal ist es inzwischen zu „Kollateralschaden“ gekommen. In Ettal hat es bis in die achtziger Jahre schreckliche Falle sexuellen Missbrauchs und korperlicher Gewalt gegen Jugendliche gegeben. Das muss schonungslos aufgeklart werden. Doch, wie schon der externe Ermittler in seinem erschutternden Bericht in der vergangenen Woche feststellte, ist seit den neunziger Jahren eine grundlegende Anderung eingetreten.

Insbesondere der seit 1997 amtierende Schulleiter Pater Maurus und der seit 2005 amtierende Abt Barnabas werden in diesem Bericht positiv hervorgehoben. Ausgerechnet die hatte es aber zuerst getroffen. Sie mussten auf Drangen des Erzbistums Munchen und Freising von ihren Amtern zurucktreten.

Blattern

Doch mittlerweile liegen schriftliche Beweise vor, dass beide in der Aufregung der ersten Stunden zu Unrecht zum Rucktritt gedrangt wurden. Wie konnte es dazu kommen? Im Jahre 2005 hatte mich der gerade neugewahlte Abt auf einen Pater angesprochen, der grenzuberschreitendes Verhalten gezeigt hatte. Abt und Schulleiter schilderten mir in aller Offenheit und geradezu mit Akribie, dass dieser Pater einen auf dem Bauch im Bett liegenden weinenden Jungen aus der 7. Klasse unter dem T-Shirt auf dem Rucken gestreichelt und massiert hatte. Das war den Jungen aus seiner Internatsgruppe unangenehm aufgefallen, sie hatten sich beim Internatsleiter beschwert, hatten auch von anderen derartigen Grenzuberschreitungen berichtet, und man hatte Pater G. daraufhin sofort von jeder padagogischen Tatigkeit entbunden und alle Eltern der Gruppe informiert.

Es lag noch nicht einmal der Verdacht auf sexuellen Missbrauch vor

Nun stellte sich die Frage, was mit dem Pater geschehen sollte. Es war zwar von keiner Seite der Verdacht auf sexuellen Missbrauch geau?ert worden, doch ich riet zur letzten Sicherheit und angesichts der Brisanz bei einem katholischen Gymnasium zu einem Gutachten bei Professor Friedemann Pfafflin in Ulm. Dieser ist einer der international renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Risikoabschatzung und wird von der Deutschen Bischofskonferenz in entsprechenden Fallen eingeschaltet.

Das Gutachten war eindeutig: Es lag noch nicht einmal der Verdacht auf sexuellen Missbrauch vor, keine Padophilie, auch sonst keine Diagnose und daher keine Notwendigkeit fur eine Therapie. Pater G. habe seine Probleme mit Nahe und Distanz bereits gut reflektiert und konne in der Seelsorge, sogar langfristig in der Jugendarbeit, selbst ohne Teameinbindung eingesetzt werden. Der Pater wurde nach Wechselburg versetzt, dort vor allem in der Verwaltung und spater mit anderen zusammen in der Seelsorge und der Jugendarbeit eingesetzt. Es gibt bis heute aus dieser Zeit keine einzige Klage uber Fehlverhalten.

Die Ereignisse uberschlugen sich

Das war der Stand, als am 23. Februar 2010 das Erzbistum Munchen und Freising eingriff. Die Ereignisse uberschlugen sich. Der Ansprechpartner der Erzdiozese fur Missbrauchsopfer, Monsignore Knei?l, las in der Aufregung offensichtlich das Gutachten falsch. Plotzlich war bei Pater G. von sexuellem Missbrauch die Rede, welcher dem Erzbistum hatte gemeldet werden mussen. Au?erdem habe das Gutachten eine weitere Tatigkeit in der Jugendarbeit nicht zugelassen. Und deswegen mussten der Abt und auch der Prior und Schulleiter Pater Maurus auf Drangen der Erzdiozese umgehend zurucktreten. Der Abt legte sein Amt sofort nieder. Pater Maurus trat erst nach zwei Tagen zuruck, nachdem ihm, wie jetzt der Abtprimas Notker Wolf bekanntgab, andernfalls mit der Schlie?ung der Schule gedroht worden war.

Doch am 1. Marz antwortete Professor Pfafflin auf ein Schreiben des Abts, in dem dieser prazise geschildert hatte, wie er nach dem Gutachten mit Pater G. verfahren war: „Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs war damals von keiner Seite erhoben worden. Auch bei der Begutachtung durch mich fanden sich diesbezuglich keine Anhaltspunkte. Das in Ihrem Fax von gestern geschilderte Vorgehen halte ich, um Ihre Frage zu beantworten, fur angemessen und in Ubereinstimmung mit den Vorschlagen in meinem Gutachten.“

Damit waren die Grunde fur die Rucktritte hinfallig. Denn wenn noch nicht einmal der Verdacht auf sexuellen Missbrauch vorlag, gab es auch keine Meldepflicht, mithin keine Meldepflichtverletzung. Und wenn der Abt dem Gutachten gema? gehandelt hatte, dann gab es auch kein Fehlverhalten. Das gleiche gilt fur den Prior und Schulleiter Pater Maurus. Der hatte sich auch in dem vor der Ubernahme der Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz durch Kloster Ettal aufgetretenen Fall von 2003 korrekt verhalten, als er einen inzwischen verstorbenen Pater wegen 25 Jahre zuruckliegender Anschuldigungen aus dem Unterricht nahm. Es sind bis heute keine anschlie?enden Ubergriffe bekanntgeworden.

Der unbedingte Willen zur Aufklarung hatte Opfer geschaffen

Es ist nicht das erste Mal, dass im Rahmen einer aufgeladenen offentlichen Atmosphare die Falschen getroffen werden. Beruhmt ist der sogenannte Wormser Fall. Eine Gro?familie war beschuldigt worden, ihre Kinder missbraucht zu haben. Die Kinder waren schlagartig in Heime gesteckt worden. Die Ermittlungen zogen sich jahrelang hin. Und schlie?lich erging ein spektakulares Urteil, das auf der Grundlage eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Professor Max Steller aus Berlin zum Ergebnis kam, dass es sich um - unbeabsichtigte - Suggestionen einer tendenziosen Beratungsstelle gehandelt hatte, die dann auf Zeichnungen der Kinder Diagnosen aufgebaut hatte. Mit ernsten Worten entschuldigte sich der Richter und wies darauf hin, dass hier den Kindern schwerer Schaden durch die Heimunterbringung zugefugt worden war. Niemand war in diesem Fall boswillig. Doch gerade der unbedingte Willen zur Aufklarung hatte Opfer geschaffen.

Auch in diesem Fall ist der gute Wille zur Aufklarung unbestreitbar. Der zustandige Monsignore Knei?l ist vom Leid der Opfer glaubhaft tief beruhrt. Doch er zieht daraus Schlusse, die unter professionellem Aspekt zumindest problematisch sind. Im Fernsehen sagte er, dass er den Satz „Das kann ich mir bei dem gar nicht vorstellen“ aus seinem Wortschatz streichen wurde. Diesen aus der Emotion geborenen Satz konsequent zu Ende gedacht, kann man eigentlich niemanden mehr heiraten. Gewiss muss man mit Opfern in einer Atmosphare der Akzeptanz sprechen. Aber gerade Opfer, denen es ja um Gerechtigkeit geht, haben in der Regel keine Probleme, sich bei einer anstehenden rechtlichen Auseinandersetzung an einer nuchternen wissenschaftlichen Wahrheitsfindung konstruktiv zu beteiligen.

Pater G. ausweislich des Gutachtens heterosexuell

Es ist beruhigend, dass sich nach neuerdings aufgetretenen Geruchten jetzt die Staatsanwaltschaft des Falls Pater G. angenommen hat. Wie auch der externe Ermittler andeutete, ist neuerdings von zwei Schulern behauptet worden, zwei andere Schuler seien von Pater G. unter der Unterhose an den Genitalien beruhrt worden. Da der Ermittler zugleich mitteilte, dass Pater G. ausweislich des Gutachtens heterosexuell sei, erscheint allein deshalb die Beschuldigung nicht wahrscheinlich. Man wird die Ergebnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungen abwarten mussen. Schon jetzt ist klar, dass die offentliche Vorverurteilung des kaum anonymisierten Pater G. als Sexualstraftater ein Unrecht ist.

Im Nachhinein zeigt sich, dass wohl gerade die Gewissenhaftigkeit des Schulleiters und des Abts, die sich beide hochsten Ansehens erfreuen - der Abt ist Prases der Bayerischen Benediktinerkongregation, der Schulleiter war lange Jahre stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der Schulen aus Ordenstradition -, ihnen zum Verhangnis geworden ist. Doch diese beiden verantwortungsbewussten Leitungsfiguren, denen Ettal seinen guten Ruf wesentlich zu verdanken hat, werden wichtig sein, um einen glaubwurdigen Neuaufbruch zu bewirken.

Welche Konsequenzen sind zu ziehen? Schon vor der jetzigen Debatte war eine intensivere Fortbildung der Ansprechpartner der Diozesen geplant. Das soll jetzt zugig organisiert werden. Die Beratungskommissionen mussen auch mit au?erkirchlichem Sachverstand angereichert werden. Nicht ob ein Experte katholisch ist, darf entscheidend sein, sondern ob er personlich geeignet und fachlich kompetent ist. Auf diesem brisanten Feld reicht nicht der gute Wille, auch die Ausfuhrung muss gut sein.

Das begru?enswerte Engagement des Erzbistums Munchen und Freising hat einen aufruttelnden Effekt erzielt. Das ist verdienstvoll. Aber es hat auch ganz unbeabsichtigt „Kollateralschaden“ produziert, aus denen man gewiss fur die Zukunft lernen wird. Denn hinter dem zynischen Ausdruck Kollateralschaden verbergen sich verletzliche Menschen, deren Wurde zu schutzen Ziel der staatlichen und der kirchlichen Rechtsordnung ist.

Der Autor ist Psychiater und Psychotherapeut und berat die deutsche Bischofskonferenz in Fragen des Missbrauchs.

 
 

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