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  Pfarrverband Fassungslos

Von Herbert Reichgruber
Chiemgau
March 14, 2010

http://www.chiemgau-online.de/portal/lokales/trostberg-traunreut_Pfarrverband-fassungslos-_arid,225577.html

GERMANY -- Engelsberg/Garching. Mit Entsetzen hörten am Wochenende die Katholiken im Pfarrverband Engelsberg-Garching die Nachricht, dass ihr bis heute so beliebter, früherer Pfarrer H. (62) vor mehr als zwei Jahrzehnten Buben sexuell missbraucht hat und deshalb auch schon verurteilt worden ist. Auch wenn die Vorfälle schon viele Jahre zurückliegen, wurde der Pfarrer deshalb im Herbst 2008 nach Bad Tölz versetzt. Er soll nicht mehr mit Jugendlichen arbeiten dürfen. In Engelsberg und Garching fragte man sich gestern aber auch, warum die Vorwürfe erst nach so vielen Jahren laut werden.

Pfarrer H.

Der jetzige Pfarrer von Engelsberg und Garching, Günter Eckl, ging bei den Gottesdiensten am Wochenende auf entsprechende Medienberichte ein und verwies zu weiteren Informationen auf die Homepage des Erzbistums München-Freising, wo über die Ereignisse unter der überschrift „Priester trotz Missbrauchsvorwürfen und Verurteilung in der Seelsorge eingesetzt“ detailliert berichtet wird (siehe eigener Bericht auf Seite 2). Tatsache ist, dass die Vorwürfe gegen H. aus den 80er Jahren jetzt durch einen Bericht der Süddeutschen Zeitung am Wochenende ans Licht kamen. Der SZBericht unter dem Titel „Gescheiterte Rehabilitation“ geht vor allem darauf ein, dass H. als junger Kaplan wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Jugendlichen 1980 aus seiner damaligen Pfarrgemeinde im Bistum Essen nach München gekommen war, mit Zustimmung des Ordinariatsrats der Diözese. Besondere Brisanz bekommt die Geschichte, weil der heutige Papst Benedikt XVI. damals Erzbischof in MünchenFreising war.

Der Pressesprecher von Papst Benedikt, Federico Lombardi, nahm am Samstag Papst Benedikt XVI. in Schutz. In den vergangenen Tagen hätten einige „mit einer gewissen Verbissenheit“ Anhaltspunkte gesucht, um den Papst persönlich in Missbrauchsfälle zu verwickeln. „Für jeden objektiven Beobachter ist klar, dass diese Bemühungen gescheitert sind“, erklärte Lombardi in einem Beitrag für Radio Vatikan. Der Sprecher verwies auf die Stellungnahme des Erzbistums München zu H.s Fall. Lombardi betonte, aus der Erklärung des Erzbistums gehe hervor, dass Ratzinger absolut nichts mit den betreffenden Personalentscheidungen zu tun habe, „in deren Folge es später zu den Missbräuchen kommen konnte.

Brisant ist die Geschichte aber auch, weil H. rückfällig wurde. Er war von September 1982 bis Anfang 1985 zur Seelsorgemithilfe in Grafing eingesetzt, wo erneut Vorwürfe sexuellen Missbrauchs bekannt wurden und die Polizei ermittelte. H. sei am 29. Januar 1985 vom Dienst entpflichtet worden. Im Juni 1986 wurde der Kaplan vom Amtsgericht Ebersberg wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 4000 Mark verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf fünf Jahre festgesetzt. Der Verurteilte wurde angewiesen, sich in eine Psychotherapie zu begeben.

Ab November 1986 bis Oktober 1987 sei H. dann als Kurat in einem Altenheim eingesetzt worden. Nach Informationen Ihrer Lokalzeitung war er im Bereich Mühldorf, unter anderem in der Pfarrei Oberneukirchen eingesetzt. Im Herbst 1987 kam H. als Kurat nach Garching, um den damals dort zuständigen Tachertinger Pfarrer Peter Wallner zu unterstützen. Nach Informationen Ihrer Lokalzeitung gab es zwar in seiner Garchinger Anfangszeit Gerüchte über H.s Vergangenheit, erneute Vorfälle wurden aber bis zu seinem Abschied aus dem zwischenzeitlichen Pfarrverband Engelsberg-Garching im September 2008 nicht bekannt.

Das bestätigte gestern auch Garchings Bürgermeister Wolfgang Reichenwallner, der mit H. auch privat befreundet ist: „Meines Wissens hat er sich in der Zeit bei uns nichts zuschulden kommen lassen. Er hat die Chance zur Rehabilitation bekommen und diese auch genutzt. Er hat damals seine Strafe bekommen, verbüßt und aus seinen Verfehlungen gelernt.“ Reichenwallener erinnerte gestern gegenüber Ihrer Lokalzeitung auch daran, dass H. zu einem allseits beliebten Pfarrer wurde, der nicht zuletzt wegen seiner Predigten auch Gottesdienstbesucher aus Nachbargemeinden anlockte: „Er hat die Kirchen wieder gefüllt und den Pfarrverband nach vorne gebracht.“ Der Garchinger Bürgermeister kann deshalb auch nicht verstehen, warum man die Ereignisse vor über zwei Jahrzehnten jetzt „wieder ausgräbt“. Dass H. nach bisherigen Erkenntnissen nicht mehr rückfällig geworden ist, bestätigte am Wochenende auch das Erzbistum: „Seit dem Gerichtsurteil im Jahr 1986 wurden dem Ordinariat keine weiteren Vorfälle mehr bekannt.“

Offenbar holte H. aber seine Vergangenheit in Essen wieder ein. Laut Süddeutscher Zeitung hat sich Ende 2006 das Missbrauchsopfer Wilfried F. aus dem Ruhrgebiet per E-Mail an H. gewandt haben. 1979 soll der damals elfjährige Wilfried F. von dem Pfarrer nach einer Ferienfreizeit in der Eifel sexuell missbraucht worden sein. Erst Ende 2006, schreibt Wilfried F. laut „SZ“, habe er aufgehört, das Geschehene zu verdrängen. Er habe herausgefunden, dass der Mann weiter als Pfarrer auch mit Jugendlichen arbeite. Wilfried F. habe ihm daraufhin E-Mails geschrieben und ihn gefragt, ob er ein schlechtes Gewissen habe und eine Entschädigung gefordert. Die E-Mail habe der Beauftragte für Missbrauchsvorwürfe des Münchner Erzbistums, Siegfried Kneißl, beantwortet. In einer E-Mail hat laut „SZ“ Kneißl den Absender gebeten, seine Anonymität aufzugeben, damit er den Vorwürfen nachgehen könne. F. habe dies nicht getan. Wenige Tage später sei die Polizei , so sagt Wilfried F., bei ihm vor der Tür gestanden. Er soll den Pfarrer erpresst haben. „Das Ordinariat wollte mich zum Schweigen bringen“, sagte F. laut SZ. Das Verfahren gegen ihn sei im Mai 2008 eingestellt worden, eine Erpressung sei nicht nachzuweisen gewesen. H. aber wurde versetzt, über die wahren Gründe wurde damals im Pfarrverband nichts bekannt. Das Ordinariat begründete die Versetzung jetzt mit einer Rückfallgefahr: „Ein auf Wunsch des neuen Erzbischofs Reinhard Marx erstelltes forensisches Gutachten rechtfertigte aus Sicht des Ordinariats nicht den Verbleib des Mannes in der Pfarrseelsorge.“ Ihm wurde laut Ordinariat auferlegt, keine Kinder-, Jugend- und Ministrantenarbeit mehr zu machen.

H. wechselte nach Bad Tölz, wo er bis heute als Kur- und Tourismusseelsorger arbeitet und mehrfach Besuch aus seinem ehemaligen Pfarrverband bekam. Sein Nachfolger, der sichtlich mitgenommene Pfarrer Günter Eckl, bat gestern unter anderem im Gottesdienst in Engelsberg, auch bei Pfarrer H. nicht die schönen Seiten zu vergessen und nicht in Generalverurteilung zu verfallen. Man müsse ganz klar auch die Opfer sehen: „Aber es ist wichtig, nicht jemanden zu kreuzigen.“ Pfarrer Peter H. war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

 
 

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