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  "Er Predigte Wasser und Trank Wein"

By Julia Juttner
Spiegel
March 17, 2010

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,683988,00.html

Franziskanerkirche in Bad Tolz: Hier predigte Pfarrer Peter H. seit Herbst 2008

"Er predigte Wasser und trank Wein"

Ein Missbrauchskandal verstort ein Dorf: Peter H. predigte lange im bayerischen Garching - obwohl er ein verurteilter Kinderschander ist. Viele erinnern nun an Verdachtsmomente gegen den Pfarrer, der unter Joseph Ratzinger ins Erzbistum versetzt wurde. Wirklich verfolgt wurden sie nie.

Hamburg - Seine Eltern wollten, dass er Ministrant wird. Weil sich das einfach gehort in einer Gemeinde wie Garching an der Alz in Oberbayern mit gerade mal 8500 Einwohnern. Wer hier katholisch ist, geht traditionell sonntags in die Kirche, zur Kommunion und zur Beichte, lasst sich firmen. Besonders stolz sind Eltern, wenn die eigenen Kinder auch noch Messdiener werden. Also wurde auch Stefan Angerer* Ministrant - unter den Fittichen von Pfarrer Peter H.

Seine Cousine Andrea Sorg* erinnert sich, wie er dann eines Tages seiner Mutter sagte: "Immer kusst uns der Pfarrer auf den Mund. Ich will das nicht!"

Christine Unger* erzahlt, wie der Sohn ihrer Freundin den Religionsunterricht von H. verlassen und sich mit dem Armel seines Pullovers den Mund abgewischt habe. "Pfui Deifi, jetzt hat mich die Sau schon wieder auf den Mund gekusst!", habe der Junge gesagt.

Peter H. ist jener Pfarrer, durch den der Missbrauchskandal in der katholischen Kirche mit dem Namen Joseph Ratzinger in Verbindung kam. Der geburtige Gelsenkirchener H. war in den achtziger Jahren wegen Missbrauchs ins Erzbistum Munchen-Freising versetzt worden, als der heutige Papst dort noch Erzbischof war - mit offizieller Zustimmung und in Kenntnis der Vorgeschichte. Er verging sich wieder an Kindern, zwischen 1982 und 1985. 1986 wurde er verurteilt. Und dann im November 1987 als Seelsorger nach Garching versetzt.

Dass er vorbestraft war, wurde den Garchingern nicht gesagt. Auch nicht, dass ihm die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen strikt untersagt war. Pfarrer H. hielt sich auch nicht daran. 21 Jahre lang arbeitete er als Religionslehrer, fuhr mit Schulern ins Landschulheim, betreute Ministranten, aktivierte einen Jugendclub. Erst im September 2008 wurde er als Kur- und Tourismuspfarrer eiligst nach Bad Tolz versetzt, weil ihn ein Missbrauchsopfer aufgespurt hatte. Und erst jetzt aufgrund von Recherchen der "Suddeutschen Zeitung" reagierte das Erzbistum Munchen und suspendierte Peter H., weil er sich "nachweislich nicht an die Auflagen gehalten" habe. Das Entsetzen uber die Enthullung war gro? - auch in Garching.

Jedoch nicht bei allen.

"Viele wussten von H.s Vorliebe fur Kinder"

Seit SPIEGEL ONLINE uber den Fall berichtet hat, haben sich in der Redaktion viele Garchinger gemeldet und geschildert, dass sie schon langer einen Verdacht gegen den Pfarrer hegten - in der Gemeinde aber jede Debatte uber ihn abgetan wurde.

"Es war bekannt, dass mit dem was nicht ganz koscher ist", sagt Andrea Sorg aus Garching, die Cousine von Stefan Angerer. Nachdem sie erfuhr, dass sich Pfarrer Peter H. weigerte, auf eine sogenannte Kommunionsfahrt - ein Freizeitlager fur Kommunionskinder - andere Betreuer mitzunehmen, nahm sie ihre Tochter aus der Kirche. "Ich bin davon uberzeugt, dass viele von H.s Vorliebe fur Kinder wussten."

Christine Unger sagt, im Bierzelt habe sich Pfarrer H. immer unter die Jugendlichen gemischt. Im Rahmen des Schulergottesdiensts habe er mittwochs Kindern des Ofteren sein Schlafzimmer gezeigt. Einmal solle er einer alleinerziehenden Mutter samt Kindern den Urlaub spendiert haben - Bedingung: Er reist mit. "Er hat Wasser gepredigt und Wein getrunken." Warum schlug sie nicht Alarm? "Ach, das sagt sich so leicht, wenn man gegen Windmuhlen kampft. Es war so frustrierend."

Gesprache besorgter Eltern mit Mitgliedern des Pfarrgemeinderats seien abgeblockt und Vorwurfe abgeschmettert worden, sagt Peter Schramm*, ein alteingesessener Garchinger. Dann habe es blo? gehei?en, die alleinerziehende Frau hatte sonst keinen Urlaub machen konnen. Oder die Kinder sollten sehen, wie der Pfarrer so lebt - und dazu gehore auch das Schlafzimmer. Einer Frau, die andere Eltern vor H. warnte, sei von Pfarrgemeinderatsmitgliedern mit Anzeige wegen ubler Nachrede gedroht worden, sagt Schramm. "Die Frau war enttauscht, dass so viele in Garching Augen und Ohren zugesperrt haben."

Der Pfarrgemeinderat weist alle Vorwurfe zuruck

Peter H. hatte eine beeindruckende Art, das sagen alle. Seine Gottesdienste waren gut besucht wie nie, sagen Garchinger, und dass der Pfarrverband gut 5000 Mitglieder habe, sei sein Verdienst. Tatsachlich gab es im September 2008, als H. gehen musste, Tranen und Briefe an das Bistum, man moge den Mann in Garching lassen. Noch heute hangen im Gemeindehaus Fotos, die den Pfarrer inmitten seiner Messdiener zeigen.

Was sagt der Pfarrgemeinderat zu den Vorwurfen, den Mann wegen dieser Erfolge geschont zu haben? Klaus Mittermeier war 16 Jahre lang Mitglied des Gremiums, zwolf davon Vorsitzender. Ja, Geruchte uber "padophile Neigungen" habe es gegeben, das sagt auch er. "Aber Neigungen und ein Urteil wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs, das ist ein Riesenunterschied!"

Er habe "keine Informationen uber H.s Vergangenheit" gehabt - "bis zum vergangenen Samstag, als ich es in der Zeitung las", sagt er. "Wir wussten nicht, ob es Auflagen gegen ihn gab und wer diese kontrolliert hat. Das ist ja das Fatale, dass uns keiner daruber informiert hat, dass unser Pfarrer ein vorbestrafter Padophiler ist." Er sei "besturzt uber das Vorgehen des Ordinariats": "Damit sind auch wir missbraucht worden. Man hat uber die Kopfe einer Gemeinde hinweg entschieden und mit der heimlichen Resozialisierung eines verurteilten Sexualstraftaters ein Experiment gestartet nach dem Motto: Entweder es klappt - oder nicht."

Er habe das Thema im Pfarrgemeinderat durchaus offensiv angesprochen. Aber es seien Geruchte gewesen, keine Informationen oder konkrete Hinweise. "Bei mir hat sich in all den Jahren niemand mit verwertbaren Vorwurfen gemeldet."

"Eine ganze Gemeinde hat mitgeschwiegen und sich mitschuldig gemacht"

Ja, der Pfarrer sei "ein Charismatiker und brillanter Prediger" gewesen, der "Schwung in die Pfarrei" gebracht habe. "Aber ich hatte selbstverstandlich fur Aufklarung gekampft, wenn es Anhaltspunkte gegeben hatte", sagt Mittermeier.

Der Fall Peter H. zeigt, wie schwierig die Abgrenzung zwischen ublen Geruchten und echten Verdachtsmomenten ist, wie gro? das Spannungsverhaltnis zwischen dem guten Ruf eines Mannes, der Angst vor einem Rufmord und der fatalen Verschwiegenheit von Kirchenfuhrern, die einen Verurteilten decken. Jeder in Garching zieht daraus jetzt seine eigenen Schlusse, sortiert seine eigenen Erinnerungen an den Fall Peter H.

Michael Heinrich*, der bis 2006 in Garching lebte, will durchaus gewusst haben, dass Pfarrer H. wegen Missbrauchs an Kindern nach Garching strafversetzt wurde. Das sei auch kein Geheimnis gewesen, an der Kirche habe es Schmierereien gegeben, die darauf angespielt hatten. Einmal habe er mitbekommen, wie eine Frau den Pfarrer offensiv gefragt habe, ob er wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden sei. Heinrich: "Das hat er hartnackig abgestritten."

Daniela Rettermayr*, die in Garching aufgewachsen ist, wirft der ganzen Stadt kollektive Verdrangung vor. "Wir wussten, was im Argen lag. Wir haben es aber nicht weiter verfolgt - und somit hat eine ganze Gemeinde mitgeschwiegen und sich mitschuldig gemacht." Ein beliebter Pfarrer sei offenbar wichtiger gewesen.

"Meinst nicht, dass der Trieb im Alter nachlasst?"

Das Bistum hat keine Hinweise darauf, dass Peter H. wahrend seiner Zeit in Garching noch einmal ruckfallig wurde. Fur die Zeit in Bad Tolz soll eine eidesstattliche Versicherung des Pfarrers vorliegen, dass er sich an niemandem vergangen hat. Auch Andrea Sorg glaubt nicht, dass sich H. in den vergangenen 25 Jahren "mehr als Kussen" zuschulden hat kommen lassen. "Schlimm genug ist es trotzdem", sagt sie.

Garchings Burgermeister Wolfgang Reichenwallner bleibt bei seiner Haltung: "Ich wusste von nichts. An mich wurde auch nichts herangetragen - vielleicht wegen meiner freundschaftlichen Nahe zum Pfarrer." Es ware jedoch "verwerflich" gewesen, dass "diejenigen, die eventuell in dieser Richtung etwas mitbekommen hatten, nichts unternommen haben". Eine besorgte Mutter wirft Reichenwallner vor, er habe ihr auf eine Beschwerde uber Pfarrer H. einmal gesagt: "Meinst nicht, dass der Trieb im Alter nachlasst?" Der Burgermeister weist das von sich.

Peter H. selbst war fur SPIEGEL ONLINE nicht erreichbar. Reichenwallner zufolge hat sich der Pfarrer "in diesem Fall" eine bayerische Verhaltensweise angewohnt: Der 62-Jahrige wolle die Situation "schweigend aussitzen".

Der ehemalige Pfarrgemeinderatsvorsitzende Mittermeier sieht das dagegen ganz unbayerisch. "Wenn in den zwei Jahrzehnten in Garching tatsachlich etwas vorgefallen ist, wird das ein harter Prozess - fur uns alle."

[summary]

The priest Peter H. had long preached in Bavarian Garching although he was a convicted child molester. Many now recall suspicions against the pastor who was transferred to the archdiocese under Joseph Ratzinger.

Garching an der Alz has just 8,500 inhabitants. Most were Catholic and traditon on Sundays was going to church, communion and confession.

One person said he remembered one day when he said to his mother that they were always being required to kiss the priest on the mouth and he did not want to do that. One young man wiped the sleeve of his sweater and said the he was kissing the pig again on the mouth.

A native of Gelsenkirchen, H. had been transferred in the 1980s into the Archdiocese of Munich and Freising. The transfer was made with official approval of the archbishop, now Pope Benedict, and with knowledge of his history of abuse. He abused again and was convicted in 1986. He was made pastor of Garching in 1987.

The people of Garching were not told of the conviction. They also were not told that he was strictly prohibited from working with children and young people. For 21 years he worked as a religion teacher with student ins the country boarding school, supervised altar boys and activated a youth club. Only in Septmber 2008 was he appointed spa and tourism minister and hastily moved to Bad Tolz because he had tracked down an abuse victim. Only then because of research by the Suddeutsche Zeitung was Peter H. suspended. The horror of the revelation was great, even in Garching.

However, not all.

Many were aware of H.'s preference for children, one person said. Many said they have long harbored suspicion of the minster but within the community any debate about him was dismissed.

One woman said it was known that things with this priest were not quite right. She took her daughter from the church. Discussion among parents was blocked by members of the parish council and they rejected all the allegations.

Peter H.'s services were well-attended as never before and the parish community had more than 5,000 members. When H. had to leave in 2008 there were tears and letters to the diocese saying he should remain in Garching. Still hanging in town are photos showing the priest among his acolytes.

One man, who served on the parish council for 16 years -- 12 as president -- said there were rumors of pedophia tendencies but a sentence for multiple child abuse made a huge difference in his mind. He said he knew nothing of H.'s past until last Saturday when he read about it in the newspaper. The case shows how difficult it is to distinguish between nasty rumors and suspicions and how great is the tension between the good reputation of a man, fear of fatal character assassination and the secrecy which church leader used to cover a condemned man. Everyone in Garching now draws their own conclusions based on their own memories.

One man, who lived in Garching until 2006, said people certainly should have known about H. There was graffiti that alluded to it, he said. He once saw a woman confronting the priest and asked if he had been convicted of sexual abuse. The priest adamantly denied it.

 
 

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