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  Missbrauchsfall Wirft Fragen Nach Der Rolle Von Zollitsch Auf

Badische Zeitung
March 19, 2010

http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/missbrauchsfall-wirft-fragen-nach-der-rolle-von-zollitsch-auf--28556693.html

Vorwurfe gegen Robert Zollitsch im Missbrauchsskandal.

Hat er oder hat er nicht? Hat der damalige Personalreferent der Erzdiozese Freiburg, Robert Zollitsch, bei der Behandlung eines Missbrauchsfalles durch einen Geistlichen im Einzugsgebiet der Diozese alles richtig gemacht? Oder hat er alles vertuscht?

Und Anfang und Mitte der neunziger Jahre – zumindest zeitweise getan, was der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche in Deutschland, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, heute so beschreibt: "Wo kein wirklicher Aufklarungswille vorhanden war und Tater einfach nur versetzt wurden, mussen wir in einer ganzen Reihe von Fallen gestehen, dass vertuscht worden ist."

Schon die Frage birgt Zundstoff – und sie zu stellen die Gefahr offentlicher Vorverurteilung. Allein, was in der Schwarzwaldgemeinde Oberharmersbach offenbar uber etliche Jahre hinweg passierte, ist so gravierend, dass sich ein Uberma? an Zuruckhaltung und Rucksicht auf Interessen der Kirche und ihrer Reprasentanten schon mit Blick auf die damaligen Opfer verbietet. Festzustehen scheint aus heutiger Sicht, dass der damalige Gemeindepfarrer Franz B. zahlreiche Kinder und Jugendliche, vorwiegend Messdiener, uber einen langen Zeitraum sexuell missbraucht hat.

Fest steht auch, dass dieser Pfarrer – als die Vorgange im Pfarrhaus und zuweilen wohl auch im ortlichen Hallenbad offentlich ruchbar wurden – vom Personalreferenten Zollitsch im Jahr 1991 ziemlich unvermittelt aus der Pfarrei entfernt worden ist. Aber warum blo? entfernt? Warum wurde der Mann in den Ruhestand versetzt, den er die nachsten Jahre als Hausgeistlicher in einem Altenpflegeheim im Schwarzwald verbrachte, anstatt ihn vor den Richter und ins Gefangnis zu bringen?

Zollitsch versetzte den Pfarrer in den Ruhestand

"Die Sache lie? sich damals nicht konkretisieren", sagt dazu heute Robert Eberle, der Pressesprecher des 2003 zum Erzbischof ernannten Robert Zollitsch. Weder habe es Beweise gegeben noch hatten sich Betroffene gemeldet. In einem Gesprach mit dem damaligen Generalvikar Otto Bechthold und Zollitsch stritt Franz B. laut Eberle jeden Verdacht des "angeblich unsittlichen Umgangs mit Kindern" ab, wie es ein fruherer Bewohner eines Nachbarortes zuvor gegenuber dem Ordinariat formuliert hatte. In den Ruhestand versetzen lie? sich Franz B. trotzdem – aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit, um die es seit einer Erkrankung als Kind ohnehin nie gut bestellt war.

Opferverband fordert Papst-Rucktritt

Dublin, 19.03.10: Wegen der Missbrauchsfalle in der katholischen Kirche fordert die irische Opferhilfsorganisation One In Four den Rucktritt des Papstes. Benedikt XVI. publiziert am Samstag einen Hirtenbrief zu den Missbrauchsfallen in Irland.

Suchte die Kirche damals grundlich genug nach Opfern? Recherchierte sie ausreichend intensiv? Und warum lie? sie diese Arbeit zu diesem Zeitpunkt nicht die Staatsanwaltschaft ubernehmen? Immerhin hielt die Kirche offenkundig Eile fur geboten. Vom Bekanntwerden der Ablosung bis zum Wegzug seien nur drei Tage vergangen, erinnert sich der in Oberharmersbach ansassige Lehrer Karl-August Lehmann.

In der offiziellen Stellungnahme der Erzdiozese vom Freitag hei?t es, man habe Franz B. beim Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand auferlegt, sich fortan "jeglichen Kontakts zu Kindern und Jugendlichen zu enthalten". Trifft man solch weitreichende und drastische Vorkehrungen gegenuber einem seit fast einem Vierteljahrhundert in einer Gemeinde amtierenden Pfarrer tatsachlich aufgrund lediglich vager Verdachtsmomente? Im erzbischoflichen Ordinariat Freiburg interpretiert man eben dies im Nachhinein als Beleg fur Zollitschs hartes Durchgreifen schon damals. Ob man heute noch professioneller handeln wurde, "musste man sich anschauen".

Offiziell wurde der Verdacht nicht

Anzuschauen, geschweige denn zu uberprufen gab es 1991 in Oberharmersbach nichts. Offiziell publik wurde der Missbrauchsverdacht um Pfarrer Franz B. nicht. Im Gegenteil. Am 23. Juni des Jahres – laut Auskunft der Gemeindeverwaltung nach dessen Abschied – wurde Franz B. sogar zum Ehrenburger ernannt. Erst vier Jahre spater kochten die Missbrauchsvorwurfe wieder hoch – diesmal allerdings aufgrund der Aussage mindestens eines Betroffenen.

Was danach im Einzelnen geschah, lasst sich aus heutiger Sicht kaum mehr zweifelsfrei nachzeichnen. Laut Stellungnahme des Ordinariats wurde der nunmehr fast 65-jahrige B. in seinem Alterssitz in Neustadt mit der Aussage konfrontiert. Dabei sei er zusammengebrochen, habe allerdings weder geleugnet noch gestanden. Karl-August Lehmann, der in Oberharmersbach unter anderem als eine Art Gemeinde-Chronist wirkt, berichtet davon, dass zwei Abgesandte aus dem Ort nach Neustadt gefahren und den Ruhestandler aufgesucht hatten, ein Pfarrgemeinderat und der damalige Burgermeister. Bei dem Treffen habe Franz B. "unter Tranen gestanden".

Der Beschuldigte nimmt sich das Leben

Voneinander abweichende Darstellungen gibt es auch daruber, was dann geschah. Standen nach Bekanntwerden der Aussage des Opfers Ermittlungen blo? im Raum oder waren sie sogleich eingeleitet worden? Erstattete ein Opfer Anzeige oder die Kirche? Dem Geistlichen "wurde klar gemacht, dass nun die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft bevorstehe", hei?t es in der Stellungnahme des Ordinariats allgemein.

Unstreitig ist, dass sich der Beschuldigte kurze Zeit spater das Leben nahm. Der zustandige Dekan Friedrich Winkler habe daraufhin die Gemeinde Oberharmersbach im Rahmen eines Gottesdienstes informiert, um Entschuldigung fur das Fehlverhalten des Geistlichen gebeten und die Opfer eingeladen, sich der Kirche zu offenbaren, erklart das Ordinariat im Ruckblick. 17 Betroffene hatten sich gemeldet. Wer von den Opfern eine Therapie notig gehabt und diese auch gewunscht habe, sei vom Ordinariat finanziell unterstutzt worden.

Der besagte Gottesdienst fand zweifellos statt, allerdings erst am 15. Oktober, knapp zweieinhalb Monate nach Franz B.’s Suizid. In der Zwischenzeit erschien ein Nachruf im Konradsblatt, der Wochenzeitung des Erzbistums. Dessen Inhalt war fur Eingeweihte offenbar schwer ertraglich. "Es gab mehrere Anrufer hinterher", erinnert sich Redakteur Michael Winter bis heute. Einer davon war Karl-August Lehmann. Bei ihm hatten sich, wie er erzahlt, fast zeitgleich mehrere Opfer gemeldet und um Rat und Hilfe gebeten. Lehmann wandte sich an den Personalreferenten in Freiburg. Kein glucklicher Gedanke, wenn man seiner Darstellung Glauben schenkt.

Von einem heiklen Telefonat will das Bistum nichts wissen

"Was wollen Sie eigentlich, Herr Lehmann?", so habe ihm Robert Zollitsch entgegengeschleudert. Pfarrer B. sei tot, und die Staatsanwaltschaft ermittele nicht gegen einen Toten. Hohepunkt und Abschluss des Telefonats soll dann folgende Bemerkung gewesen sein: "Fur uns ist die Sache erledigt."

Das war sie nachweislich nicht. Allerdings lasst sich bis heute anhand der zuganglichen Informationen nicht entscheiden, ob das Ordinariat damals intern langst dabei war, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen oder ob die kirchliche Burokratie erst unter dem Druck kritischer Kopfe vom Schlage Lehmanns ihre Tragheit und den Hang zur Diskretion uberwand.

Von dem fraglichen Telefonat will man in der Pressestelle von Erzbischof Zollitsch, inzwischen bekanntlich auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, jedenfalls nichts wissen. "Dass es im Jahre 1995 in dieser Sache ein Telefonat mit einem `Karl August Lehmann? gegeben haben soll, kann des Bischofliche Ordinariat Freiburg nicht bestatigen", hei?t es lapidar.

Wer mochte, konnte ubrigens schon aus dem Nachruf auf Franz B. Anderes herauslesen als Lob und Preis. Zitiert wurde darin aus einem Abschiedswort des Toten. Darin bat er alle "von Herzen um Verzeihung, wem auch immer und wodurch auch immer er jemandem Leid oder Unrecht zugefugt habe".

 
 

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