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  Missbrauchskandal Weitet Sich Aus

By Mechthild Kupper Und Marie Katharina Wagner
FAZ
March 19, 2010

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Auch zwei ehemalige Schuler der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg haben sich gemelde

01. Februar 2010 Der deutsche Chef des Jesuiten-Ordens, Provinzial Stefan Dartmann, hat sich bei Opfern, Lehrern und Eltern fur die Falle sexuellen Missbrauchs am Berliner Canisius-Gymnasium in den siebziger und achtziger Jahren entschuldigt. „Ich bitte um Entschuldigung fur das, was von Verantwortlichen des Ordens damals an notwendigen und genauem Hinschauen und angemessenem Reagieren unterlassen wurde“, hie? es am Montag in einer Erklarung. In einer Pressekonferenz am Montagnachmittag in Berlin dankte er den Opfern, weil sie trotz belastender Erinnerungen ihre Stimme erhoben hatten.

An der Berliner Schule soll es zu rund 20 Missbrauchsfallen durch zwei Jesuiten-Patres gekommen sein. Einer der Beschuldigten, der 69 Jahre alte ehemalige Religionslehrer Peter R., bestreitet samtliche Vorwurfe und gibt keine Stellungnahmen ab. Nach seiner Zeit am Canisius-Kolleg war er in Niedersachsen als Seelsorger fur Jugendliche tatig. Laut Dartmann baute R., der heute in Berlin lebt, in Gottingen von 1982 an die Jugendarbeit auf. Als es dort von Madchen Hinweise auf Ubergriffe gab, so Dartmann, habe die Ordensleitung R. zur Rede gestellt und ihn aus der Jugendarbeit herausgezogen. 1989 beantragte er die Beurlaubung fur drei Jahre, arbeitete aber weiter im Bistum Hildesheim, ohne Jugendarbeit machen zu durfen.

Provinzial Stefan Dartmann steht an der Spitze der Jesuiten in Deutschland

Dartmann Ende 2006 informiert

Der andere Pater, Wolfgang S., gestand 1991 dem Orden seine Taten. Auch in einem Brief vom 20. Januar, aus dem der „Spiegel“ zitiert, gesteht S. seine Schuld ein. Es sei „eine traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopadagogischen Vorwanden missbraucht und misshandelt habe“. Er habe schon 1991 seinen „damaligen deutschen Provinzialoberen eingehend uber meine verbrecherische Vergangenheit informiert“. Dartmann teilte dazu am Montag mit, er sei Ende 2006 vom Rektor des Canisius-Kollegs, Pater Mertes, daruber informiert worden, dass Betroffene sich gemeldet hatten. Sie hatten damals um absolute Diskretion gebeten.

Wolfgang S. hat nach seiner Zeit am Canisius-Kolleg an zwei weiteren katholischen Schulen unterrichtet, von 1979 bis 1982 an der St.-Ansgar-Schule in Hamburg, von 1982 bis 1984 am St.-Blasien-Kolleg im Sudschwarzwald. Von 1996 bis Ende 2009 arbeitete S. in Santiago de Chile fur das Kolpingwerk. Er war dort fur Bildungsarbeit zustandig und spater auch fur ein Studentenwohnheim. Wie ehemalige Mitarbeiter dieser Zeitung sagten, hatte er aber keinen direkten Kontakt zu den Studenten. Im Dezember 2009 sei der nun 65 Jahre alte Mann in Rente gegangen.

Das Canisius-Kolleg in Berlin: 22 Opfer sind hier bekann

Der Geschaftsfuhrer der Sozial- und Entwicklungshilfe des Kolpingwerks, Hans Brolshagen, sagte, er habe S. als kompetenten und zuverlassigen Menschen kennengelernt, der vor seiner Einstellung beim Kolpingwerk mit seiner Frau, die er in Chile kennengelernt hatte, und einer Tochter dort gelebt habe. Der Leiter der St.-Ansgar-Schule, Friedrich Stolze, sagte dieser Zeitung, seit Bekanntwerden der Vorwurfe an Wolfgang S. hatten sich bei ihm bereits drei Missbrauchsopfer gemeldet. Es stehe zu befurchten, dass es mehr wurden. Er habe sie an die mit dem Fall betraute Anwaltin weitergeleitet. An den 21 katholischen Schulen in Hamburg sei ihm kein weiterer Missbrauchsfall bekannt.

Missbrauch auch in St. Blasien

Der Leiter des St.-Blasien-Kollegs, Pater Johannes Siebner, wollte sich nicht dazu au?ern, ob bereits Missbrauchsfalle an seiner Schule bekannt seien. Er werde selbst nichts fur eine weitere Aufklarung unternehmen, weil er „die Opfer nicht instrumentalisieren wolle, um gut dazustehen“. Der „Spiegel“ zitiert den ehemaligen Schuldirektor des St.-Blasien-Kollegs, Pater Hans Joachim Martin, mit den Worten, ihm sei das „innige, vaterliche Verhalten“ des Lehrers Wolfgang S. zu einigen Schulern aufgefallen. Der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte Martin daruber hinaus, mehrere Schuler hatten sich in den siebziger Jahren an ihn gewandt, weil sie von drei Erziehern des Internats sexuell missbraucht worden seien. Er habe die Mitglieder des Ordens daraufhin aus dem Kolleg entlassen.

Martin wirft der Ordensleitung vor, der Schulleitung von St. Blasien die Vorfalle um Wolfgang S. in Berlin verschwiegen zu haben. Dann sei es auch in St. Blasien zu Missbrauch gekommen. Wolfgang S. habe ihm gegenuber die Vergehen zugegeben. Daraufhin habe er die Ordensleitung informiert, und Wolfgang S. habe die Schule 1984 verlassen. Dartmann bestatigte, dass Wolfgang S. auch Ubergriffe in St. Blasien gestanden habe. S. habe an seinem Problem gearbeitet und habe nach seiner Berliner Zeit viermal in der Woche eine Psychoanalyse in Hamburg absolviert. Von St. Blasien aus sei er regelma?ig nach Freiburg zur Gruppentherapie gefahren.

Klaus Mertes, der jetzige Direktor des Kollegs, spricht vom "Versagen der Ordensleitung"

Kein direkter sexueller Verkehr

Bei beiden Beschuldigten, sagte Dartmann, habe es keinen direkten sexuellen Verkehr gegeben. Die Ermittlungen uber den Missbrauch hat man der Anwaltin Ursula Raue ubertragen, sie war Vorsitzende der deutschen Sektion von „Innocence in Danger“. Bis Mitte Februar soll sie Dartmann einen Zwischenbericht abgeben. Raue sagte am Montag im Deutschlandfunk, sie konne es sich nach der ihr bislang bekannten Aktenlage nicht erklaren, warum es auf einen entsprechenden Brief, den acht Schuler an die Schulleitung und das Bischofliche Ordinariat schon 1981 gerichtet hatten, nie eine Antwort gab.

Die Jesuiten

Sie tragen keine Ordenstracht und leben nicht zuruckgezogen im Kloster. Sie unterrichten an Hochschulen und sind bekannt fur anspruchsvolle Predigten: Die Jesuiten gelten als intellektuelle Speerspitze der katholischen Kirche. 1534 grundete der Spanier Ignatius von Loyola die „Societas Jesu“ (Gesellschaft Jesu), wie der Orden ursprunglich hie?. Bildung, Missionierung, Spiritualitat und Sorge um die Armen gehoren zu den Aufgaben des Ordens, der an seine Mitglieder hohe Anforderungen stellt: Jesuiten absolvieren eine theologische und philosophische Ausbildung.

In der Gegenreformation spielten die Jesuiten eine wichtige Rolle und grundeten zahlreiche Ordenshauser in protestantisch gewordenen Regionen. Zwischenzeitlich war der Jesuitenorden mehrfach verboten - vielen Herrschern war er zu machtig geworden. Im Deutschen Reich etwa wurden die Jesuiten ab 1872 als Reichsfeinde verfolgt.

Wie in vielen katholischen Ordensgemeinschaften mangelt es auch den Jesuiten in Deutschland an Nachwuchs: 1967 waren es noch 1200 Manner, heute zahlt der Orden rund 400. Zu den bekanntesten Jesuiten des 20. Jahrhunderts gehoren der Konzilstheologe Karl Rahner und Hugo Lassalle, der den Zen-Buddhismus mit der christlichen Mystik verbinden wollte. (dpa)

 
 

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