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  Systematische Vertuschung

Neues Deutschland
May 28, 2010

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Abschlussbericht: Mindestens 205 Missbrauchsfalle bei den Jesuiten

Der Missbrauchsskandal an Jesuiten-Einrichtungen hat deutlich gro?ere Ausma?e, als bislang angenommen. Insgesamt gehe es um 205 Kinder und Jugendliche, die Opfer von sexuellem Missbrauch und Misshandlungen wurden, hei?t es im am Donnerstag in Munchen vorgestellten Abschlussbericht der vom Jesuitenorden beauftragten Rechtsanwaltin Ursula Raue.

Munchen (Agenturen/ND). Uber Jahrzehnte hinweg hat der Jesuitenorden sexuellen Missbrauch und Gewalt gegen Kinder in seinen Einrichtungen systematisch vertuscht. Das geht aus dem Abschlussbericht hervor, den die Missbrauchsbeauftragte des Ordens, Ursula Raue, am Donnerstag vorstellte. Seit Bekanntwerden von Missbrauchsfallen am Berliner Jesuiten-Kolleg im Januar hatten sich 205 Opfer sexueller Gewalt beim Orden gemeldet, bestatigte die Berliner Rechtsanwaltin.

Die Vorwurfe richteten sich gegen zwolf Patres, von denen bereits sechs verstorben seien, und zwei weltliche Mitarbeiter. Die Ubergriffe hatten sich vor allem zwischen den 60er und 80er Jahren ereignet. Betroffen seien neben der Berliner Einrichtung die Schulen St. Ansgar (Hamburg), St. Blasien (Schwarzwald), das Aloisiuskolleg (Bonn) sowie die ehemalige Jesuiteneinrichtung Immaculata (Buren/Westfalen).

Laut Raue hatten die Schlage gegen die damaligen Schuler meist eine sexuelle Komponente. Die »Taterkarrieren« seien vom Jesuitenorden zwar nicht gefordert, aber auch nicht ordentlich behindert worden. »Man wusste, da ist einer, der fummelt gerne, und der andere hatte den Spitznamen ›Pavian‹.« Die betreffenden Personen seien aber lediglich versetzt und »verschoben« worden, kritisierte Raue. Die verantwortlichen Patres hatten inzwischen zugegeben, die Opfer nicht im Blick gehabt zu haben und wurden dies bedauern. »Sie haben damals einfach nicht hingeguckt«, so die Missbrauchsbeauftragte.

Der Provinzial des Jesuitenordens, Pater Stefan Dartmann, sprach von einer »skandalosen Wirklichkeit«, die dem Orden »zu Scham und Schande gereicht«. Er kritisierte zudem »Geisteshaltungen, die nicht nur bei einzelnen, sondern unbestreitbar in weiten Kreisen des Ordens verbreitet waren und vielleicht noch sind.« Dazu zahle er die nicht vorhandene Opferperspektive sowie die primare Sorge um den Ruf des Mitbruders oder des Ordens.

Der Jesuitenorden soll nach Ansicht von Raue Wiedergutmachung in Form schneller materieller Hilfe und Finanzierung von Therapien sowie Praventions- und Schutzarbeit leisten. Vor allem mussten Pfarrer im Umgang mit der eigenen Sexualitat geschult werden. Es handle sich zwar um unterschiedliche Tatertypen, doch es sei an vielen Stellen erkennbar gewesen, dass sie eine »kindliche Grundstruktur im Umgang mit der der eigenen Sexualitat« aufwiesen, so Raue.

Dartmann widersprach Raues Ausfuhrungen in zwei Punkten: Mit Hilfe von externen Fachpsychologen werde das Feld der Aufklarung und Sexualitat bereits vor dem Eintritt der Kandidaten ausgeleuchtet und finde auch wahrend der Ausbildung genugend Aufmerksamkeit. Von pauschalen Entschadigungszahlungen an die Opfer halte er nichts. Das Geld sei wichtiger fur die Praventionsarbeit. Er sei aber zu einem weiteren Dialog mit den Opfern bereit und wolle sie finanziell bei den »notwendigen Hilfen« unterstutzen.

Den Abschlussbericht bezeichnete Dartmann als »wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Aufklarung« und betonte, dass dieser »kein Schlusspunkt« sei. Erneut bat der Pater die Opfer um Verzeihung und dankte ihnen dafur, »dass sie das Schweigen gebrochen, ihre Stimme erhoben und ihnen zugefugte Unrecht beim Namen genannt, ja bisweilen herausgeschrien haben«.

 
 

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