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  Glaube, Triebe, Vergessen

Spiegel
July 16, 2010

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,706974,00.html



"Ohne Ehrlichkeit hatte ich meinen Dienst nicht tun konnen", sagt die Hamburger Bischofin Maria Jepsen - und tritt nach dem Missbrauchsskandal der Evangelischen Kirche zuruck. Es ist ein Schritt, der Hochachtung verdient, aber auch langst uberfallig war.

Eine Konferenz vor elf Jahren, in der Hansestadt Lubeck, es geht um sexuelle Gewalt zwischen Mannern und Frauen, und die Bischofin Maria Jepsen ist die Schirmherrin und spricht das Gru?wort. Sie ist eine Vertreterin des feministischen Flugels in der Evangelischen Kirche Deutschland - sexuelle Gewalt ist ein Thema, das ihr daher besonders nahegeht oder nahegehen sollte.

Nach ihrer Ansprache schreitet die Bischofin Jepsen durch den Mittelgang Richtung Ausgang, und plotzlich steht eine junge, blonde Frau vor ihr, tritt ihr in den Weg. Die junge Frau hat namlich eine Schwester, und diese Schwester wurde offenbar jahrelang missbraucht, als Minderjahrige, von einem Pastor aus Ahrensburg bei Hamburg - im Sprengel der Bischofin, ihrem Amtsbereich.

Die junge, blonde Frau steht also vor Jepsen, und sinngema? sagt sie zu ihr: Frau Bischofin, in Ahrensburg missbraucht Pastor K. Kinder und Jugendliche sexuell.

Was ware die angemessene Reaktion einer feministischen Bischofin auf diese Information? Frau Jepsen sagt nicht: WAS sagen Sie da? Das mussen Sie mir bitte alles ganz genau erzahlen! Frau Jepsen fahrt nicht gleich am nachsten Tag nach Ahrensburg und spricht mit allen, derer sie habhaft werden kann, uber das Thema. Frau Jepsen setzt nicht alle Hebel in Bewegung, um herauszufinden, was es mit diesem Missbrauchsvorwurf auf sich hat.

Nein, sie sagt wohl blo?, sie werde sich darum kummern, und dann ist sie auch schon verschwunden.

So jedenfalls stellt es jene blonde Frau dar, die sich an solche Einzelheiten immer noch erinnern kann. Fur die Bischofin aber war dieser Hinweis offensichtlich weniger bedeutsam: Bis heute kann Jepsen sich auf jene Situation nicht besinnen, wie sie sagt.

Kaum zu glauben

Spatestens an diesem Freitag aber muss Jepsen klargeworden sein, dass ihre Vergesslichkeit kaum zu glauben ist, und dass damit auch ihre Glaubwurdigkeit als Bischofin angeschlagen war. Jepsen hat die Konsequenzen gezogen. Ihr Rucktritt ist respektabel, doch das andert nichts daran, dass er uberfallig war.

Denn selbst wenn sie 1999 nichts erfahren hatte von den erschreckenden Vorwurfen und Vorgangen in der Ahrensburger Gemeinde, so hat sie doch versagt im Krisenmanagement, seit Marz dieses Jahres. Zwar ist die Bischofin nicht die direkte Dienst- und Disziplinarvorgesetzte eines Pfarrers; diese Aufgabe haben das Kirchenamt und die ortliche Propstin. Aber die Bischofin ist die moralische Instanz ihrer Landeskirche. Sie ist verantwortlich fur das Bild dieser Kirche.

Zweimal nicht nachgehakt

Schon 1999 hatte sie mehr wissen konnen, als sie moglicherweise wissen wollte. Denn Jepsen hat damals gleich zweimal nicht nachgehakt: nicht bei der jungen Frau, auf der Konferenz in Lubeck, und auch nicht bei der zustandigen Ahrensburger Propstin, Heide Emse, der direkten Vorgesetzten jenes Pastoren.

Emse hatte die Bischofin laut eigener Aussage ebenfalls informiert. Ein Pastor musse aus der Gemeinde herausgenommen werden, Begrundung: sexuelle Ubergriffe. Die Vorwurfe seien glaubwurdig, manche konne sie allerdings nicht verifizieren. Wie heute bekannt ist, war der Hintergrund dieser Vorwurfe sexueller Missbrauch minderjahrigen Jungen.

Und was macht die Bischofin?

Sie fragt nicht nach, warum genau der Pfarrer aus der Gemeine genommen werden muss? Und welche Vorwurfe sich da nicht verifizieren lie?en?

Sie setzt nicht alle Hebel in Bewegung, um diese Vorwurfe ruckhaltlos aufzuklaren.

Einmal, so ist belegt, bringt Jepsen bei einer Runde von Bischofen und hohen Kirchenbeamten, die Vorgange zur Sprache. Und sie lasst sich damit abspeisen, dass "den Anwesenden daruber nichts Naheres bekannt ist". So steht es im Protokoll dieser Sitzung. Und dann geht man auch schon uber zum nachsten Tagesordnungspunkt. Das Image der Evangelischen Kirche bleibt intakt, die Seele der Opfer nicht.

Eine zweite Chance

Im Marz dieses Jahres aber bekam die Bischofin eine zweite Chance: Sie erhielt einen Brief, ausfuhrlich, mit allen Vorwurfen, unmissverstandlich. Und diesmal konnte es keinen Zweifel geben, wie wichtig dieses Thema in der Gesellschaft war - die Skandale in der Katholischen Kirche brachten diese gerade enorm in Bedrangnis.

Im Mai machte Jepsens Kirche das Thema offentlich, zu einem Zeitpunkt, als klar war, dass die Opfer - denn nun gab es mehrere - nicht mehr schweigen wurden. Spatestens jetzt hatte Bischofin Jepsen ihre Rolle begreifen, das Thema besetzen mussen. Sie hatte mit den Opfern reden, offentliche Diskussionen initiieren mussen, sie hatte ihre Kirche fuhren mussen. Nichts davon geschah.

Nur zur Einweihung einer Wildblumenwiese auf dem Friedhof von Ahrensburg lie? sich Jepsen blicken, und nur am Rande erwahnte sie den gro?ten Missbrauchsskandal in der Evangelischen Kirche - mitten in ihrem Amtsbereich. Und als der SPIEGEL mit ihr uber die Vorwurfe sprechen wollte, verweigerte sie zunachst ein Gesprach, dann setzte sie 45 Minuten dafur an - fur das wichtigste Thema ihrer Amtszeit.

Nachdem der SPIEGEL an diesem Montag Hinweise veroffentlicht hatte, wonach Jepsen schon 1999 hatte genugend wissen konnen, beharrte sie darauf, nicht schriftlich und vollstandig von ihrer Propstin ins Bild gesetzt worden zu sein. Doch am Donnerstag folgte eine eidesstattliche Versicherung jener jungen Frau. Vielleicht wurde ihr in dem Moment klar, dass der Rucktritt unausweichlich war.

"Ich habe mein Bischofsamt angetreten mit dem mir aus Kindertagen vertrauten Psalmwort 'Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Geschwister eintrachtig beieinander wohnen''', sagte Jepsen auf einer Pressekonferenz an diesem Freitag.

Offenbar missbraucht wurden in Ahrensburg ubrigens unter anderem drei Bruder.

 
 

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