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  DAS Schweigen Des Kardinals

Der Standard
November 24, 2010

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Erst der Druck der Öffentlichkeit hat Kardinal Christoph Schönborn zum Handeln bewegt. Jahrelang war man in Zusammenhang mit den kirchlichen Missbrauchsfällen um Stillschweigen bemüht.

Der Wiener Erzbischof Schönborn sei über die Missbrauchsfällen informiert gewesen, sagt ein ehemaliges Mitglied der Ombudsstelle

Was hat der Wiener Erzbischof von den Missbrauchsfällen gewusst? "Er war stets informiert", sagt ein ehemaliges Mitglied der Ombudsstelle . Eine Studie liefert nun erstmals Zahlen zu den Schattenseiten der Kirche.

Wien - "Er war stets informiert und hatte immer alle Fälle auf dem Schreibtisch" - Holger Eich, Psychologe und ehemaliges Mitglied der Opferschutzkommission der Erzdiözese Wien, erhebt jetzt im Zusammenhang mit Missbrauchfällen in der Kirche schwere Vorwürfe gegen Kardinal Christoph Schönborn. Auch von vielen der im heuer öffentlich gewordenen Fälle habe der Kardinal "mit Sicherheit" gewusst. Eich: "Natürlich ist man nicht ganz untätig gewesen und hat in verschiedenen Fällen Therapien gezahlt. Aber in zahlreichen Fällen ist halt gar nichts passiert - Schönborn ist immer informiert, aber letztlich eben entscheidungsschwach gewesen. Es war ihm einfach unangenehm, Konsequenzen zu ziehen."

Eine Weisung, Missbrauchsfälle zu vertuschen, habe es aber nie gegeben: "Obwohl man natürlich nie Transparenz wollte." Die Ombudsstellen seien generell ein "zahnloses Element". Eich: "Die Opfer reden mit der Ombudsstelle, diese leitet an den Bischof eine Empfehlung weiter. Der Bischof wird von einer Diözesankommission beraten. Mit den Opfern gibt es keinen Kontakt mehr. Das ist, wie wenn ein Richter nicht mit dem Opfer redet, den Täter aber kennt." Daran habe sich auch durch den jüngsten Beschluss der Bischöfe, die Ombudsstellen besser zu vernetzen, "rein gar nichts geändert".

Zum ersten Mal seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche gibt es nun auch eine detaillierte Studie zu Tätern und Opfern. Die unabhängige "Hotline für Betroffene kirchlicher Gewalt" hat die Berichte von 325 Betroffenen ausgewertet und am Mittwoch Bilanz gezogen. "Es scheint, dass gerade die geweihten Priester das größte Gefahrenpotenzial für Kinder darstellen. Und die Kirche scheint die einzige Institution in Österreich zu sein, in der Kinderschänder eine Jobgarantie haben", zieht der Psychologe Philipp Schwärzler, Verfasser des Berichts, ein ernüchterndes Resümee.

Schweigen oder Prügel

Laut Studie sind etwa die Mehrheit der Täter geweihte Priester, konkret 264 von 422 ( 63 Prozent). Zusammengefasst sind dabei die Welt- und Ordenspriester. Die häufigsten Tatorte mit 55,8 Prozent waren katholische Internate und Heime. "Dort waren die Kinder den Tätern besonders ausgeliefert. Häufig handelte es sich um Kinder aus sozial schwachen Schichten. Wenn ein Kind sich seinen Eltern anvertraute, bezog es meist Prügel von diesen oder auch von den Kirchenvertretern und wurde so zum Schweigen gebracht", erläutert Schwärzler.

Vom Zeitpunkt her betreffen mit 59,7 Prozent die meisten Fälle die 60er- und 70er-Jahre, 18 Betroffene wurden innerhalb der letzten 20 Jahre misshandelt. Die Mehrzahl der Betroffenen (43,3 Prozent) gibt an, dass sich die Misshandlungen über zwei bis fünf Jahre erstreckten. 17,6 Prozent der Mädchen nannten einen Handlungszeitraum von acht Jahren oder länger, neun Prozent der Buben wurden acht Jahre oder länger misshandelt. Zwölf Prozent der Anrufer waren zu Beginn der Übergriffe sechs Jahre oder jünger.

Der Großteil der Misshandlungen (79,5 Prozent) ereignete sich zwischen dem siebenten und dem 14. Lebensjahr. Schwärzler: "Die vergleichende Darstellung des Alters bei Buben und Mädchen zeigt, dass die Mädchen zwischen dem sechsten und achten Lebensjahr besonders gefährdet schienen, Opfer von Gewalt zu werden, während dies bei den Buben zwischen dem zehnten und zwölftem Lebensjahr der Fall war."

Im Bundesländervergleich liegt Oberösterreich mit gesamt 73 Meldungen bei der Plattform Opfer kirchlicher Gewalt an der Spitze. Dicht gefolgt von Wien mit 72 und Niederösterreich mit 68 Meldungen. Konkrete Ursachen für den Missbrauch sieht der Psychologe vor allem in der "grundsätzlichen Haltung" der katholischen Kirche zur Sexualität. Diese sei "per se eine Basis für Perversion". Als Grund für Gewalt ortet Schwärzler den Ausschluss der Frauen von Leitungsfunktionen in der Kirche. Diese wären nämlich ein Korrektiv zur männerdominierten Gewalt. Die autoritäre Grundstruktur der Kirche habe das bisherige Vertuschen möglich gemacht. (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 25. November 2010)

 
 

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