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  Wikileaks Und Der Vatikan: Eine Gute Nachricht!

Kath.net
November 29, 2010

http://www.kath.net/detail.php?id=29159

Kein ‚Leck’ im Vatikan. Die amerikanischen Geheimdienste vertippen sich bei Papstwahl 2005 und ergeben sich Allgemeinplatzen und oberflachlichen Wertungen. Von Armin Schwibach

Rom (kath.net/as) Seit gestern Abend ist die Welt der Diplomatie in Aufruhr. Die bekannte Internetplattform „Wikileaks“ veroffentlichte mit der internationalen Hilfe von Zeitungen und Zeitschriften wie „Der Spiegel“, „New York Times“, „The Guardian“, „Le Monde“, „El Pais“ und anderen hei?e Geheimpapiere, in denen die Wertungen der amerikanischen Diplomatie uber Personen und Angelegenheiten des internationalen Parketts zum Ausdruck kommen. Uber 8.000 nun veroffentlichte „Embassy files“ (Telegramme und Anmerkungen: insgesamt 251.287) bewegen die Regierungspalaste der Welt. Laut „Der Spiegel“ handelt es sich beim Gro?teil der Dokumente nicht um Files, die als „Top Secret“ qualifiziert sind, sondern um „vertrauliche“ Mitteilungen der Botschaften auf der Welt an das amerikanische Au?enamt. Weniger als 15.600 Dokumente seien „secret“. Auch der Vatikan und dabei vor allem das Konklave 2005 gehorten zum Interessenbereich der amerikanischen Geheimdienste.

Was den Vatikan betrifft, ergeben sich aus den Dokumenten mit aller Klarheit sofort zwei Aspekte. Zum einen: der Vatikan hat kein „Leck“. Zum anderen: die amerikanische Diplomatie basiert ihre Wertungen auf Elementen und Aussagen, die allgemeinen, in den verschiedenen (vor allem italienischen Zeitungen) geau?erten Spekulationen und Urteilen entsprechen und zum gro?ten Teil irrelevant und oberflachlich sind. Die amerikanischen Diplomaten gingen uber allgemein zugangliche Hypothesen nicht hinaus.

Bereits am gestrigen Sonntag, 28. November, veroffentlichte das italienische Internetportal www.clandestinoweb.com eines der ersten Dokumente, die den Vatikan und dabei das Konklave 2005 betreffen. Fur die amerikanischen Geheimdienste waren die Hauptkandidaten fur die Nachfolge auf dem Stuhl des Petrus die Kardinale Tettamanzi und Daneels als „typische“ Vertreter des liberal-progressistischen Flugels des Kardinalskollegiums. Auch ein „Konservativer“ wie Kardinal Castrillon Hoyos wurde als moglicher Papst gesehen.

Am 14. April 2005 ubermittelte die amerikanische Botschaft beim Heiligen Stuhl ein siebenseitiges Dokument an die damalige Au?enministerin Condoleeza Rice. Die Klassifizierung lautete „sensitive“. Das Dokument fasst die allgemeinen Wertungen der Diplomaten hinsichtlich der Person zusammen, die moglicherweise zum Papst gewahlt werden wird.

Als erster Faktor wir das Alter des Kandidaten betont. Die Kardinale wurden jemanden suchen, der nicht zu alt ist. Gleichzeitig sollte ein langer Pontifikat wie der Pontifikat Johannes Pauls II. verhindert werden. Ein weiteres entscheidendes Element sahen die amerikanischen Diplomaten in den sprachlichen Fahigkeiten des kunftigen Papstes. Dieser musse gut italienisch konnen, da das Italienische die Sprache der Romischen Kurie sei. Vor allem aber wurde uber die geographische Herkunft des neuen Papstes spekuliert: Nach einem Papst aus Osteuropa wurde es fur unwahrscheinlich gehalten, dass dies erneut der Fall sein konnte. Ebenso wenig billigten die Diplomaten einem der 11 amerikanischen Kardinale die Chance zu, gewahlt zu werden, da diese Burger der einzigen verblieben Supermacht der Welt seien. Auch ein Franzose sei unwahrscheinlich – weil Frankreich im 14. Jahrhundert zu starken Druck auf das Papsttum ausgeubt habe, meinten die Diplomaten weiters.

Nach diesen Erwagungen erklart das Dokument, dass ein Kandidat aus Sud- oder Zentralamerika wahrscheinlich sei, dies auch aufgrund der gro?en Zahl von Katholiken, die in diesen Landern leben.

Weitere Charakteristiken wurden als notwendig erkannt: der kunftige Papst musse pastorale Erfahrung haben, um seine menschlichen Qualitaten zu zeigen; dann musse er auch eine Erfahrung auf dem internationalen Parkett besitzen und seine Botschaft gut kommunizieren konnen, was eine Vertrautheit mit den neuen elektronischen Medien voraussetze.

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Am 18. April 2005, einen Tag vor der Wahl Benedikts XVI., ubermittelt die amerikanische Botschaft beim Heiligen Stuhl ein Verzeichnis von 16 Kardinalen, die als „papabile“ erwagt werden. Das Verzeichnis ist in die geographischen Gebiete „Italien, restliches Europas, Lateinamerika und Asien“ unterteilt und fuhrt die Kardinale in alphabetischer Ordnung an. Als eines der Ergebnisse wird festgehalten, dass der Mailander Kardinal Dionigi Tettamanzi „die Menschen aufgrund seiner Offenheit fur die Jugend und seiner Fahigkeit, in einem modernen Kontext zu wirken, sehr fur sich eingenommen hat“. Zusammen mit Godfried Daneels (Belgien: „Er versteht es, den Computer zu benutzen, ist ein scharfsinniger Theologe und reprasentiert den besten Kompromiss zwischen katholischer Lehre und sprachlichm Liberalismus") und dem Kolumbier Dario Castrillon Hoyos (dieser habe „das richtige Alter“ und sei „der perfekte Kandidat fur alle jene, die einen Sudamerikaner wollen, der die Kurie kennt“) ist Tettamanzi der Favorit der Amerikaner. Kardinal Christoph Schonborn wird als „zu jung“ eingestuft. Gleichzeitig habe ihn die Unfahigkeit, die Anti-Papst-Revolte in Osterreich einzudammen, geschwacht.

Doch es kam anderes: Einen Tag spater wurde Joseph Ratzinger als der 265. Nachfolger der Petrus gewahlt. Das Telegramm, mit dem die Botschaft in Rom die Wahl Benedikts XVI. nach Washington meldet, gibt zu, dass die am 14. und 18. April geau?erten Angaben auf falschen Vorhersagen seitens vatikanischer Quellen beruhten. Noch einen Tag vorher hatte ein Vertreter der Botschaft mit einer „vatikanischen Quelle“ gesprochen, die sich uber die Wahl Ratzinger ironisch geau?ert hatte. Trotz der Spekulationen vieler Medien uber die Moglichkeiten Ratzingers sei dessen Wahl fur viele eine Uberraschung gewesen.

Die amerikanischen Diplomaten gaben somit zu, dass sie nicht den Stimmen vertraut hatten, die Ratzinger als einen Favoriten meldeten (darunter einige italienische Vatikanisten sowie die deutsche katholische Zeitung „Die Tagespost“). Sie hatten vielmehr an die Hypothese eines Papstes aus einem der Entwicklungslander geglaubt. Nichtsdestoweniger definierten sie Ratzinger als einen „machtigen Kardinal“, der im Ruf stehe, ein „Huter der theologischen Rechtglaubigkeit“ zu sein.

Die unmittelbar nach der Wahl Benedikts XVI. geau?erten Vorhersagen erklaren: der neue Papst werde den bisher eingeschlagenen Kurs fortsetzen; Zentrum der Interessen werde Europa sein; es konne sein, dass er ein „Ubergangspapst“ ist.

Am 29. April 2005 setzt sich eine Note der amerikanischen Botschaft in Berlin mit den Folgen der Wahl Papst Benedikts XVI. auseinander. Die Note ist mit „Cloud“ unterzeichnet und tragt den Titel „Die Achse Rom-Koln? Deutschland und Benedikt XVI.“.

„Cloud“ beschreibt, „wie Deutschland und der deutsche Katholizismus die Wahl Benedikts XVI. mit einem Gemisch aus Stolz, Reserven und Skeptizismus“ begru?t hatten. Laut der Note habe ein „einflussreicher deutscher Jesuit“ erklart, Ratzingers konservative Zuge mussten nicht unbedingt bestimmend fur seine Amtsfuhrung als Papst werden. Benedikt XVI. konne durchaus „zu den reformerischen Positionen seiner Anfange zuruckkehren“. Im deutschen Klerus herrsche Skeptizismus hinsichtlich der Moglichkeit, dass die Wahl Ratzingers langfristig der deutschen Kirche Vorteile bringe.

Laut einem Mitarbeiter der deutschen Bischofskonferenz, so „Cloud“, stehe man vor der Tatsache, „dass heutzutage die jungen Menschen konservativer sind als ihre Eltern“; doch auch wenn sie einerseits an den Kritiken des neuen Papstes an der bestehenden sozialen Ordnung interessiert seien, so wurden sie dennoch nur schwer eine Moral akzeptieren, die die individuellen Freiheiten einschranke, in deren Genuss sie seien. „Es ist somit klar, dass die deutsche katholische Kirche, der Ratzinger seit 20 Jahren fernsteht, keine besonderen Privilegien und Rollen wahrend dieses Pontifikats haben wird.“

In diesen Zusammenhang, so „Cloud“, wurden einige katholische Laien daran erinnern, dass Ratzinger nach dem Jahr 1990 den Versuch unternommen habe, den Zusammenschluss eines Seminars aus der Zeit der DDR mit der Universitat Erfurt zu verhindern, da er der Uberzeugung gewesen sei, dass die finanziellen, politischen und institutionellen Verbindungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland die Unabhangigkeit und die moralische Autoritat der Kirche beeintrachtigen wurden.

Auf den 12. Mai 2005 sind die ersten Analsyen zu den Perspektiven datiert, die sich aus dem neuen Pontifikat ergeben. Das Dokument tragt den Titel: „Benedict XVI: Looking Ahead to the New Pontificate“. Auf sieben Seiten setzt sich die amerikanische Diplomatie mit den Folgen der Wahl Benedikts XVI. auseinander.

Das Dokument gibt zu, dass die Kardinale nicht uber Details des Konklaves sprechen konnen. Dennoch gehe hervor, dass im Mittelpunkt die Kontinuitat mit dem Pontifikat Johannes Pauls II., die theologische Orthodoxie sowie die Tatsache gestanden hatten, dass ein Papst gewahlt worden sei, der nicht so lange regieren wurde wie sein Vorganger.

Fur Ratzinger hatte gesprochen, dass er in den 23 Jahren an der Romischen Kurie Tausenden von Bischofen und Kardinalen aus der ganzen Welt begegnet sei, diese ihn somit kannten und er Kenntnis von deren Problemen hatte. Die Wahl Ratzingers sei auch dadurch begunstigt worden, dass es zwischen den italienischen und sudamerikanischen Kardinalen zu Spaltungen gekommen sei, was die Wahl eines Kandidaten aus einem Entwicklungsland verhindert hatte.

Erfolgreich sei die Strategie der Anhanger Ratzingers gewesen, die auf der Uberzeugung gegrundet habe, dass sich die Kirche in Zeiten der Krise auf ihre europaische Identitat zuruckziehen musse. Daraus ergibt sich fur das Dokument der Geheimdienste das Szenarium eines Pontifikats, das „auf Europa konzentriert ist“ und sich durch die Kritik Ratzingers „an einem Beitritt der Turkei zur Europaische Union“ auszeichne.

Was den Rest der Welt betrifft, so erwarte sich das Umfeld des neuen Papstes einen entschlossenen Einsatz gegen den Sakularismus in den Vereinigten Staaten sowie in anderen Landern des Westens, verbunden mit einer besonderen Aufmerksamkeit gegenuber den Entwicklungslandern und vor allem Lateinamerika, dies aufgrund der vielen, die uber die verfehlte Wahl eines sudamerikanischen Kardinals enttauscht gewesen sein.

Fazit: eine aufmerksame Lekture der Dokumente ergibt die fast komische Tatsache, dass professionelle Diplomaten keine weitergehende Arbeit geleistet hatten als eine Vielzahl von Journalisten, die seit dem 2. April 2005 das gerade in Italien sehr beliebte „Papst-Toto“ gespielt hatten. Die sich aus den Dokumenten ergebenden Wertungen bilden eine Reihe von Allgemeinplatzen, die an keiner Stelle uber die Oberflache des Geschehens hinausgehen. Zudem wird deutlich: Der Vatikan „leckt“ nicht. Keiner hat sich zu rei?erischen oder vermeintlich sicheren Hypothesen hinrei?en oder gar den amerikanischen Geheimdiensten besondere und fundierte Nachrichten zukommen lassen.

Eine Papstwahl, so die denkwurdige Lehre, kann nicht mit weltlichen Kategorien verstanden oder gar vorausgesagt werden. Das Bild der bisherigen Geschichte des Pontifikats Benedikts XVI. ist ein anderes, als das von Diplomaten oder vielen Journalisten vorhergesagte oder erzahlte.

 
 

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