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  Ein Fonds Als Kartenhausmodell

By Reinhard Bingener
Frankfurter Allgemeine
December 13, 2010

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Die zwei Sichtweisen auf das Ergebnis des „Runden Tisches Heimerziehung“ prallen im Foyer der Bundespressekonferenz aufeinander: Wahrend die eintreffenden Emissare aus Politik und Kirchen mit Jackett und Krawatte die Treppe die Stufen zu den wartenden Kameras hinaufsteigen, lassen unten fruhere Heimkinder ihrem Unmut uber das aus ihrer Meinung nach magere Ergebnis freien Lauf. Es sind Manner und Frauen um die Sechzig, manche tragen T-Shirts, auf denen ein weinendes Kind abgebildet ist, andere Winterjacken in grellen Farben, gekauft augenscheinlich in Laden, in denen man vergeblich nach Herrenanzugen sucht.

Oben, vor den Kameras, lobt die fruhere Bundestagsvizeprasidentin Antje Vollmer (Grune), die den runden Tisch in den vergangenen Jahren moderiert hat, das Verhandlungsergebnis: 120 Millionen Euro soll es fur die Heimkinder geben, die unter der „schwarzen Padagogik“ im Westen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg leiden mussten – einer Padagogik, die unter den Erziehern in den Kinderheimen, den Beamten in den Jugendamtern und den Richtern an Vormundschaftsgerichten sehr weit verbreitet war und die nicht selten derjenigen glich, die auch in den Jahren zuvor als systemkonform galt. Die Heimkinder sollen nun – jeweils nach einer Einzelfallprufung – fur die von ihnen in den Heimen geleistete Arbeit Einmalzahlungen von rund 4000 Euro erhalten. Auch sollen ihnen Therapien finanziert werden und ein Mietzuschuss gewahrt werden, wenn sie es ablehnen, im Alter abermals in ein Heim verbracht zu werden.

„Bevollmerung“ am runden Tisch

120 Millionen Euro soll es fur die Heimkinder geben: Antje Vollmer lobt das Verhandlungsergebnis

Frau Vollmer hebt hervor, dass Heimkinder, gerade weil die Bundesrepublik ein Rechtsstaat sei, ihre Entschadigungsanspruche auf rechtlichem Wege nicht mehr geltend machen konnten, da alles verjahrt sei. Auch, rechtfertigt sie das Ergebnis der Verhandlungen, mussten in Deutschland Entschadigungen in einem angemessenen Verhaltnis zu den Zahlungen an Opfer des Nationalsozialismus gesehen werden – etwa zu denjenigen an die Zwangsarbeiter, die zwischen 2500 und 7500 Euro erhalten hatten. In Zeiten, in denen die Parteien im Regierungsviertel um funf Euro Hartz IV mehr streiten, habe man das „zur Zeit Menschenmogliche“ fur die einstigen Heimkinder erreicht.

Auf turbulenten „Gegenpressekonferenz“ des Vereins Ehemaliger Heimkinder (VEH) wird wenig spater freilich eine andere Rechnung aufgemacht: Wenn Banken vom Staat mit Milliardensummen gerettet wurde, musse fur geschundene Heimkinder mehr abfallen als „Brosamen“. Vom VEH haben sich die Heimkinder, die am runden Tisch mitverhandelten, im vergangenen Jahr losgesagt, nachdem dieser Entschadigungen in Hohe von 25 Milliarden Euro gefordert hatte. Hatten sie dessen Forderung ubernommen, hatten Bund, Kirchen und Lander sogleich den Verhandlungstisch verlassen. Die Heimkinder am runden Tisch waren zu diesem Schritt gezwungen. Doch der Bruch mit dem VEH hatte fur sie einen hohen Preis: Im Internet und auf Versammlungen mussten sie sich fur ihre ehrenamtliches Engagement seither aus den eigenen Reihen als Verrater beschimpfen lassen. Auch Antje Vollmer wird vom VEH angefeindet: Von „Bevollmerung“ am runden Tisch ist dort die Rede.

Aber nicht nur deshalb bezeichnet sie ihre Aufgabe am runden Tisch als die harteste ihres Lebens. Denn die abschlie?enden Verhandlungen drohten am Donnerstag fur kurze Zeit in einem Eklat zu enden, als die Vertreter der Heimkinder den runden Tisch demonstrativ verlie?en und erst nach zahem Ringen zuruckkehrten.

Zudem gleicht die Empfehlung, die der runde Tisch ausspricht, einem Kartenhaus, in dem jedes Element nur durch den Druck eines anderen gestutzt ist. Sowohl Bund und Lander haben der Abschlusserklarung Protokollnotizen beigefugt, in denen sie zum Ausdruck bringen, dass die Einzahlung in den geplanten bundesweiten Fonds einzig von den Landerparlamenten und dem Bundestag beschlossen werden konne. Besonders an der Zahlungswilligkeit mancher von der Union regierten Lander, etwa Bayerns und Hessens, werden hinter vorgehaltener Hand Zweifel geau?ert. Sollte auch nur ein Land nicht zustimmen, kame das ganze Gebaude ins Wanken. So halt der Bund etwa in seiner Protokollnotiz fest, dass man sich an einer Losung nur beteilige, „wenn die anderen offentlichen und freien Trager ihrer Verantwortung gerecht werden“.

Einzig die Kirchen haben auf eine Protokollnotiz verzichtet, wofur sie von den Heimkindern am runden Tisch ausdrucklich gelobt werden. Sie haben ihre Zusage bereits gegeben – allerdings auch mit der Einschrankung, dass die Zahlungen in der „Verantwortungsgemeinschaft“ geleistet werden mussten. Antje Vollmer scheint dieser Schritt der Kirchen allerdings nicht ganzlich ungelegen kommen, denn so erhoht sich der Druck auf die Lander abermals: Wenn sie nicht zustimmen, tragen sie die Verantwortung, dass die Heimkinder nicht nur weniger, sondern gar nichts bekommen.

 
 

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