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  "Meine Sexualitat Kann Ich Bitte Nirgendwo Abgeben"

Der Standard
December 23, 2010

http://derstandard.at/1292462545011/STANDARD-Interview-Meine-Sexualitaet-kann-ich-bitte-nirgendwo-abgeben

"Ich halte den Zolibat fur eine der am meisten unterschatzten Lebensformen."

Seine Funktion sei "keine leichte Aufgabe" und Homosexualitat im Priesterseminar konne "die Atmosphare zum Kippen bringen", sagt der neue Wiener Generalvikar Nikolaus Krasa

Standard: Missbrauchsskandal, befurchtete 80.000 Kirchenaustritte - es gibt wohl Angenehmeres als in Zeiten wie diesen zum Generalvikar ernannt zu werden, oder?

Krasa: Sicher, da stimme ich Ihnen voll zu. Es ist wahrscheinlich keine leichte Aufgabe, aber ich denke, das gilt fur alle Mitarbeiter in der romisch-katholischen Kirche.

Standard: Haben Sie gehadert, als Kardinal Schonborn Ihnen den Job als "Geschaftsfuhrer" der Erzdiozese Wien angeboten hat?

Krasa: Naturlich erbittet man sich Bedenkzeit und naturlich uberlegt man sich Rahmenbedingungen, wie das funktionieren kann. Es gibt eine gehorige Portion Respekt vor der neuen Aufgabe, auf der anderen Seite kenne ich doch viele Mitarbeiter am Stephansplatz und freu mich daher auf die Zusammenarbeit.

Standard: Sehen Sie die katholische Kirche in einer Existenzkrise?

Krasa: Es ist die Frage, wie man Existenzkrise definiert ...

Standard: Massenweise Austritte, kaum Priesternachwuchs, Missbrauchsfalle in katholischen Einrichtungen ...

Krasa: Gut, auf jeden Fall eine Krise. Aber keine Existenzkrise. So wie ich die romisch-katholische Kirche in unserer Diozese kennengelernt habe, gibt es da viele Hoffnungsorte, wo so gute Arbeit geleistet wird, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass das alles den Bach runtergeht. Aber wir werden sicher noch auf langere Zeit weiter schrumpfen. Vor allem in der Stadt - auch auf Grund der demografischen Entwicklung. Es gibt Prognosen, dass wir etwa in Wien auf die 20 Prozent zuruckschrumpfen werden.

Standard: Nur diese positiven Dinge sieht halt jetzt keiner, da sie von der Missbrauchsdebatte uberlagert werden.

Krasa: Das ist eben das Phanomen unserer Mediengesellschaft: "Only bad news are good news."

Standard: Der mitunter kirchentypische "Wir sind bei Gott nicht schuld"-Mechanismus scheint ja bereits zu funktionieren.

Krasa: So etwas wurde ich nie sagen. Wir haben Fehler gemacht - unbestritten. Nur verkauft sich eben eine funktionierende Pfarrgemeinde nicht so gut wie ein Skandal.

Standard: Was wollen Sie in Ihrer Funktion als kunftiger Wiener Generalvikar tun, um die Kirche wieder glaubwurdiger zu machen?

Krasa: Meine Aufgabe sehe ich eher im Hintergrund. Ich werde versuchen, fur die strukturellen Rahmenbedingungen zu sorgen, dass Kirche leben kann. Ganz grundsatzlich geht es aber darum zu lernen, wie bringt die Kirche besser ihre Botschaften an.

Standard: Kann die Gesellschaft heute uberhaupt noch etwas mit Botschaften der Kirche anfangen?

Krasa: Die Kirche von heute muss up to date sein, was die Kommunikationsfahigkeit betrifft. Sie muss in dieser Welt leben und mit dieser Welt kommunizieren. Auf der anderen Seite ist die Botschaft, die die Kirche zu vermitteln hat, jetzt nicht die neueste Werbebotschaft des Jahres. Aber sie ist deswegen nicht gestrig. Die Kirche muss nicht unbedingt modern sein, aber sie muss heutig sein.

Standard: Verstaubte Sexualmoral, intransparente Strukturen, ein ruckstandiges Gesellschaftsbild - warum sollte sich ein junger Mensch in der Kirche engagieren?

Krasa: Man musste diese Fragen den jungen Menschen stellen, die dabei sind. Und davon gibt es eine ganze Menge. Und das sind keine seltsam verschrobenen, schrulligen Menschen, sondern aufgeschlossene, intelligente junge Menschen. Wir haben au?erdem sicher keine intransparenten Strukturen und auch unsere Sexualmoral ist nicht so verstaubt. Zum Charme der Kirche gehort eben auch ein Widerspruch zum Zeitgeist. Au?erdem sind diese Veranderungs- und Reformvorschlage manchmal sehr naiv formuliert. Frei nach dem Motto: Schafft den Zolibat ab, und alle Probleme sind gelost.

Standard: Wie geht es Ihnen mit dem Zolibat?

Krasa: Ich halte den Zolibat fur eine der am meisten unterschatzten Lebensformen.

Standard: Nie ein Problem damit gehabt?.

Krasa: Jede Lebensform, die man auf Dauer eingeht, bringt auch Schwierigkeiten mit sich.

Standard: In der Diskussion um die Missbrauchsfalle standen im vergangenen Jahr auch die Priesterseminare im Kreuzfeuer der Kritik. Braucht es strengere Auswahlverfahren?

Krasa: Wir haben heute osterreichweit sehr gute Auswahlverfahren. Was zugegeben nicht immer so war.

Standard: Was sich aber nicht geandert hat ist, dass Seminaristen ihre Sexualitat an der Pforte abgeben mussen.

Krasa: Meine Sexualitat kann ich bitte nirgendwo abgeben, sie ist ein Grundteil des Charakters. Richtig ist aber, dass das Seminar eine Vorentscheidung in Richtung Zolibat verlangt. Und ich sollte damit leben konnen. Wie, wird im Zuge der Ausbildung immer wieder thematisiert. Osterreichs Seminare sind gut gerustet.

Standard: Der Diozesanbischof von St. Polten, Klaus Kung, hat sich gegen eine Aufnahme homosexueller Kandidaten ausgesprochen. Habens Sie das als Regens ahnlich gehandhabt?

Krasa: Ich bin gegen ein generelles Verbot. Aber naturlich besteht die Gefahr, dass ein uberprozentuell starker Anteil von homosexuellen Kandidaten die Seminar-Atmosphare zum Kippen bringen kann.

Standard: Also eine Schwulen-Quote im Priesterseminar?

Krasa: Nein. Aber man muss darauf achten. Und es gibt ein vatikanisches Dokument, das besagt, dass ein Kandidat vor dem Seminareintritt drei Jahre in keiner sexuell ausgelebten homosexuellen Beziehung gewesen sein darf. Diese Vorschriften habe ich versucht umzusetzen. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2010)

NIKOLAUS KRASA (50) ist noch bis Jahresende Regens des Wiener Priesterseminars. Mit 1. Janner 2011 tritt der Hobbyfotograf und begeisterte Bergsteiger sein Amt als neuer Generalvikar der Erzdiozese Wien an. Foto: Andy Urban

 
 

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