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  Kirche Bietet Opfern Sexueller Gewalt Entschadigung

The Wochenblatt
March 16, 2011

http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Kirche-bietet-Opfern-sexueller-Gewalt-Entschaedigung;art1172,39010



Das Bistum Regensburg hat am Mittwoch einen Bericht uber den sexuellen Missbrauch von Priestern und Angestellten im kirchlichen Dienst vorgelegt. Mehr als 2.300 Personalakten aus der Zeit zwischen 1945 und 2010 wurden dabei gesichtet. Die Bilanz ist eine schwere Hypothek fur die Kirche von Regensburg: Mindestens 78 Minderjahrige wurden Opfer von zehn Geistlichen, die bereits strafrechtlich belangt wurden. Wie viele Opfer es aber insgesamt sind, das lie? das Bistum im Dunkeln – die Zahl durfte aber deutlich hoher sein.

Die Pforten zum bischoflichen Ordinariat im Schatten der Regensburger Domturme sind keineswegs fur jeden durchlassig. Die Turen sind elektronisch gesichert, erst nach Anmeldung offnet sich der beeindruckende historische Bau. Die Mauern sind hoch, das hat historische Tradition: In der evangelischen Reichsstadt Regensburg hatte der Bischof seit jeher einen schweren Stand. Doch nun, im 21. Jahrhundert? Angesichts von Missbrauchs-Vorwurfen gegen Geistliche ware es Zeit, Mauern niederzurei?en.

Eine denkwurdige Gesprachsrunde fur geladene Journalisten am Mittwochmorgen lasst Zweifel aufkommen, ob die Kirche im Bistum Regensburg zu echter Transparenz findet. Nicht etwa Bischof Gerhard Ludwig Muller, sondern sein Sprecher Clemens Neck und die kirchliche Missbrauchs-Beauftragte Birgit Bohm nannten Zahlen, die erschuttern – und blieben doch im Ungewissen.

Fur den Zeitraum von 1945 bis ins Jahr 2010 sichtete ein Gremium fur die Aufklarung der Vorwurfe im Bistum die Personalakten von 1.460 Geistlichen, etwa 370 Diakonen und Gemeindereferenten sowie von 487 Religionslehrern. Dabei begingen „zehn Geistliche der Diozese Regensburg sexuelle Straftaten gegen 78 Minderjahrige und wurden dafur gerichtlich verurteilt“, sagte Bischofssprecher Clemens Neck. Allein ein Tater, der vor 20 Jahren verstarb, missbrauchte 36 Jugendliche. Auch auf Nachfrage wollte Neck nicht nennen, wo und in welchem Umfeld diese Missbrauche geschahen. Ein zweiter Geistlicher, der noch lebt, verging sich an zwolf Minderjahrigen – er wurde straf- und kirchenrechtlich verurteilt und anschlie?end laisiert. Wie hoch die tatsachliche Zahl der Missbrauchsfalle ist, blieb indes im Dunkeln – denn Neck sprach lediglich von den Minderjahrigen, deren Missbrauchs-Tater strafrechtlich verurteilt wurden. Die Zahl der im Bistum missbrauchten Minderjahrigen durfte also viel hoher liegen.

Auf einzelne Vorwurfe oder gar auf Zahlen, wie viele Opfer sich tatsachlich gemeldet haben, wollte man auch auf Nachfrage nicht eingehen. Allein: Derzeit stehen noch drei Geistliche im Visier von Ermittlungen. Einer wurde bereits strafrechtlich verurteilt, gegen einen anderen wurde das strafrechtliche Verfahren eingestellt, ihm droht nun allein das Kirchenrecht, ein negatives Urteil hat fur den Geistlichen Auswirkungen etwa uber Altersbezuge. Ein dritter Fall ist ebenfalls noch anhangig.

Bemerkenswert ist, dass im Bericht des Bistums kein Wort uber die Ereignisse bei den Regensburger Domspatzen zu lesen ist. Dort hatte der einstige Internats-Leiter Georg Z. zwischen 1953 und 1958 nach Schilderungen von Opfern einen ganzen Harem an minderjahrigen Jungen gehalten, die er missbrauchte. Teilweise unternahm er Urlaubsfahrten mit den ihm anvertrauten. Als Z. aufflog und strafrechtlich verurteilt wurde, hullte die Kirche von Regensburg einen Mantel des Schweigens uber den Fall. Heute sind Opfer von damals noch immer traumatisiert. Als Manfred van Hoven, heute 65, im Sommer 2010 die Domspatzen besuchte, wo er einst als 8jahriger missbraucht wurde, begegnete man ihm freundlich – aber auch mit dem Hinweis, dass das Geschehene doch schon sehr lange her sei.

Bischof Gerhard Ludwig, der sich zuletzt gegen das Magazin Der Spiegel wehrte, das uber eine Geldzahlung an Opfer eines verurteilten und spater ruckfalligen padophilen Pfarrers als „Schweigegeld“ berichtet hatte, hat bislang noch keinen Gesprachskontakt zu Opfern gesucht. „Der Bischof hat mir gegenuber aber klar gemacht, dass er sich solchen Gesprachen nicht verweigern wurde“, sagte die Beauftragte des Bistums fur sexuellen Missbrauch, Birgit Bohmer. Einen abschlie?enden Gottesdienst mit der Bitte um Vergebung schloss Sprecher Neck allerdings erst einmal aus: „Wir wollen ja gerade nicht, dass es einen Schlusspunkt gibt, sondern wir wollen, dass sich auch nachstes Jahr oder spater Opfer bei uns melden konnen“.

Die Vergangenheits-Bewaltigung der Kirche von Regensburg scheint noch keine erheblichen Fortschritte gemacht zu haben. Zwar habe „der Bischof in vielen Gesprachen und Messen vor Ort immer wieder sein Bedauern und seine tiefe Betroffenheit uber das Geschehene zum Ausdruck gebracht“, wie ein Sprecher am Mittwoch sagte. Doch gleichzeitig hatte Gerhard Ludwig immer wieder relativiert, dass die Missbrauche in der Kirche ja nur einen Bruchteil aller Taten ausmachten. Fur viele Opfer war aber genau dies ein Schlag ins Gesicht, denn die Kirche ist eben kein Sportverein, sondern eine Institution, die sich auf hohere Machte beruft – eine andere Moral-Messlatte scheint hier angebracht.

Ganz anders sieht es aber mit der Kirche der Gegenwart aus. „Um soetwas zu verhindern, ist es notig, dass kirchliche Einrichtungen transparent sind und der Umgang mit Menschen dadurch gekennzeichnet ist, dass nicht gemauert wird“, sagte Birgit Bohmer, und Clemens Neck legte nach: „Ein niedrigschwelliges Beschwerdesystem ist wichtig – es muss immer klar sein, an wen ich mich wenden kann und wer mir weiter hilft“. Das nimmt man der Kirche von Regensburg ab: Die Hausaufgaben in der Gegenwart scheint sie gemacht zu haben. Verdachtsfalle werden sofort der Polizei und der Staatsanwaltschaft gemeldet, „der auch der Erstkontakt zu dem mutma?lichen Tater vorbehalten bleibt“, so Neck. Jetzt hat man also Sicherheits-Systeme installiert, die Tater schnell uberfuhren sollen – oder es erst gar nicht zur Tat kommen lassen. Aber etwa eine Dokumentation der Missbrauche bei den Domspatzen fehlt. Der Name des einstigen Internats-Leiters Georg Z. wurde einfach von der Internet-Seite geloscht, statt zu dem Geschehenen zu stehen.

Das gro?e Mea Culpa uber die Vergangenheit fehlte am Mittwoch. Uber die Jahre bei den Domspatzen, wo Jungen in einem Harem gehalten wurden, Mitschuler Selbstmord begingen, ein „sadistisches System von Strafe und sexueller Lust“ geherrscht habe, wie ein Opfer seine Jahre im Internat schildert. Zumindest gibt es einen Zwischenbericht und die Opfer sollen entschadigt werden – immer dort, wo der Tater nicht mehr greifbar ist, etwa weil er schon gestorben ist.

Neck machte am Mittwoch auch klar, warum man so lange mit dem Bericht uber die Missbrauchs-Opfer gewartet habe. „Wir wollten, dass die Opfer auf jeden Fall eine Option haben, wo sie sich hinwenden konnen und wo ihnen geholfen wird". Die Deutsche Bischofskonferenz hat angekundigt, jedes Missbrauchs-Opfer mit 5.000 Euro fur erlittenes Leid zu entschadigen. Bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch sagte Neck, es habe bereits Opfer gegeben, die Anspruche geltend gemacht hatten.

Der Bischofs-Sprecher reagierte auf Kritik, wonach das Erzbistum Munchen-Freising viel offener mit Missbrauchs-Fallen umgegangen sei, verhalten. „Ich bin nicht derjenige, der die Haltung von Kardinal Marx zu beurteilen hat", sagte Neck auf Nachfrage des Wochenblatts. Reinhard Marx hatte sich offentlich tief erschuttert uber die Missbrauchsfalle in seinem Erzbistum gezeigt.

Ubrigens gab es im Vorfeld zur Messe in Paderborn, wo sich die 27 deutschen Bischofe kollektiv entschuldigten, angeblich Arger uber die Geste. Wahrend die einen sich wie der Osnabrucker Bischof Franz-Josef Bode zu Boden werfen wollten, pladierte die Mehrheit nur fur einen Kniefall, wie ja auch geschehen am Montag. Zu welcher Fraktion Bischof Gerhard Ludwig gehorte, daruber lasst sich nur spekulieren.

 
 

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