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  Kompass Zeigt Die Richtung

By Heike Allmendinger
Esslinger Zeitung
May 15, 2011

http://www.esslinger-zeitung.de/lokal/esslingen/kreisesslingen/Artikel710386.cfm

Ein Kompass gibt Orientierung und weist den Weg. „Kompass" lautet auch der Name der Psychologischen Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt im Landkreis, die in Kirchheim untergebracht ist. Vier Therapeuten dienen dort als Ansprechpartner für Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Sie begleiten aber auch Angehörige und Freunde sowie Ratsuchende zum Beispiel aus Vereinen oder Kindergärten, die einen Verdacht auf sexuellen Missbrauch haben. Die Beratungsstelle, die vom Landkreis finanziert wird, gibt es seit 20 Jahren.Das Thema sexualisierte Gewalt ist 2010 aufgrund der Vorfälle in kirchlichen Institutionen und Internaten verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. „Das Thema hat Aufwind bekommen", bestätigte Angelika Schönwald-Hutt, Leiterin der Kirchheimer Beratungsstelle, gegenüber der Presse. Viele Menschen seien durch die Vorfälle ermutigt worden, über ihre Erlebnisse zu sprechen und das manchmal über Jahre andauernde Schweigen zu brechen. So verzeichnete die Beratungsstelle im vergangenen Jahr 200 Anfragen. Das sind weit mehr als im Vorjahr. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 457 Betroffene, Bezugspersonen und Fachkräfte, aber auch Beschuldigte therapeutisch unterstützt.

Tabus fallen

Der Hauptanteil der Betroffenen, die das therapeutische Angebot in der Beratungsstelle in Anspruch nehmen, liegt bei den 14- bis 21-Jährigen. „In der Regel sind es mehr Mädchen", informierte Schönwald-Hutt. Aber auch immer mehr Jungs würden sich an die Beratungsstelle wenden. „Im Lauf der Jahre wurden Tabus gebrochen. Früher war es undenkbar, dass ein Junge sagt: Ich bin Opfer", erläuterte sie. Zu diesen Tabus zähle auch, dass es nicht nur männliche, sondern auch weibliche Täter gibt, fügte Angelika Schönwald-Hutt hinzu.

Die meisten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in der Beratungsstelle Hilfe finden, wurden nicht von Fremden belästigt. „Die Täter stammen überwiegend aus der Familie oder aus dem nahen sozialen Umfeld", erläuterte die Leiterin.

Eine Therapie dauert in der Regel zwischen 12 und 24 Monaten. Dabei kommen die Betroffenen und Therapeuten zu Gesprächen zusammen, in denen zunächst ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wird. „Anschließend findet eine Stabilisierung statt. Das heißt, wir arbeiten mit dem Betroffenen aus, wo seine Stärken und Fähigkeiten liegen", erklärte Therapeutin Katja Englert. „Ein Missbrauch geht mit Abwertung und Schuldgefühlen einher. Das Selbstwertgefühl ist schwach ausgeprägt. Deshalb unterstützen wir die Betroffenen darin, sich wieder anders wahrzunehmen."

Missbrauch nicht verdrängen

Notwendig sei in den meisten Fällen zudem die Traumabearbeitung, bei der sich die Opfer mit dem Geschehenen beschäftigen. Aber auch Trauer und Neuorientierung gehören zur Therapie der Beratungsstelle. „Die Betroffenen betrauern das, was sie erlebt haben. Aber sie nehmen auch Abschied von der Erfahrung", sagte Englert. Ziel sei jedoch nicht, den Missbrauch zu verdrängen, ergänzte Schönwald-Hutt. „Das Erlebte ist als eine sehr schmerzliche Erfahrung in das Leben integriert. Es muss die Zukunft aber nicht beeinflussen."

Die Therapeuten betreuen aber auch Täter. Diese besuchen die Beratungsstelle nicht freiwillig, sondern erhalten die Auflage für eine Therapie. Im vergangenen Jahr kümmerten sich die Therapeuten um 25 Beschuldigte, 2009 waren es 24. Sie waren meist zwischen 14 und 18 Jahre alt.

Netzwerk der Hilfen

„Unser Anliegen ist, ein großes Netzwerk innerhalb des Landkreises zu flechten", betonte Schönwald-Hutt. „Denn es gibt keinen Bereich, in dem sexuelle Übergriffe nicht stattfinden können." Die Verantwortlichen in Vereinen, Kindergärten, Schulen, Jugendhilfeeinrichtungen oder kirchlichen Institutionen sollten sich darüber im Klaren sein, wie man mit dem Thema sexualisierte Gewalt umgeht und wo man Hilfe findet. „Wichtig ist zu wissen: Es gibt einen Platz, an dem man darüber sprechen kann."

Kontakt: Tel. 0 70 21/61 32. Telefonische Sprechzeiten sind montags, mittwochs und donnerstags von 9 bis 12 Uhr sowie montags und dienstags von 14 bis 16 Uhr.

 
 

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