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  "DAS War Alles Nur Ein Erster Schritt"

By Susanne Holl
Sueddeutsche
October 28, 2011

http://www.sueddeutsche.de/politik/kampf-gegen-missbrauch-das-war-alles-nur-ein-erster-schritt-1.1170730

Opfer sexuellen Missbrauchs sollen einen Rechtsanspruch auf Beratung haben, fordert die scheidende Bundesbeauftragte Christine Bergmann. Das Fazit ihrer Amtszeit: Viele Menschen fuhlen sich endlich ermutigt, ihr Schweigen zu brechen - doch es gibt weiterhin gro?e Probleme.

Nach eineinhalb Jahren gibt Christine Bergmann, 72, ihr Amt als Regierungsbeauftragte zum Kampf gegen Missbrauch auf. Mit der Berufung der fruheren SPD-Bundesfamilienministerin hatte die Bundesregierung auf den damals bekannt gewordenen massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen reagiert.

Die Bundesbeauftragte Christine Bergmann gibt nach eineinhalb Jahren ihr Amt ab. (© dpa)

Bergmann: Es ist vieles gelungen in dieser Zeit. Sexueller Missbrauch ist ein offentliches Thema geworden, man erkennt endlich das Schicksal der Betroffenen an. Die Menschen fuhlen sich ermutigt, ihr Schweigen zu brechen, uber ihr Leid zu reden. Das alles ist ein Stuck Befreiung. Und man respektiert die Betroffenen als Expertinnen und Experten bei der Aufklarung der Offentlichkeit. Aber das war alles nur ein erster Schritt. Die Arbeit muss jetzt weitergehen. Missbrauch ist keineswegs ein Thema der Vergangenheit.

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SZ: Sie haben einen langen Katalog mit Wunschen und Empfehlungen vorgelegt, uber den erst der runde Tisch gegen Missbrauch und dann die Politik entscheiden muss. Welche Forderungen halten Sie personlich fur unverzichtbar?

Bergmann: Mir liegt vor allem eines am Herzen: Das Thema Missbrauch darf nicht in Vergessenheit geraten. Es ist doch oft so, dass gerade schwierige Fragen zeitweise Konjunktur haben, dann erlahmt das Interesse und die Leute sagen, daruber wollten sie nun nichts mehr horen.

SZ: Ihre Behorde hat ma?geblich dafur gesorgt, dass der Missbrauch ein gesellschaftliches Thema blieb. Was passiert nun mit dem Amt?

Bergmann: Es wird auch in Zukunft die staatliche bundesweite Anlaufstelle geben, an die sich Betroffene weiterhin wenden und Rat erhalten. Ich habe au?erdem das Versprechen aus der Bundesregierung, dass es nach meiner Amtszeit nahtlos eine unabhangige Nachfolgestelle geben wird. Wer die Leitung ubernimmt, entscheidet das Bundesfamilienministerium. Die Unabhangigkeit dieser Stelle ist ungemein wichtig. Nicht nur fur Betroffene, die Hilfe suchen. Diese Stelle wird in den nachsten Jahren auch kontrollieren mussen, ob und wie Empfehlungen des runden Tisches im Kampf gegen Missbrauch in die Tat umgesetzt werden.

SZ: Wichtige Finanzfragen sind noch offen. Sie schlagen als Hilfe fur verjahrte Falle vor, dass Bund und Lander sowie kirchliche und weltliche Einrichtungen Kosten etwa fur Therapien ubernehmen. Der runde Tisch schlagt eine Hochstgrenze von 10.000 Euro vor. Wer garantiert, dass das tatsachlich passiert?

Bergmann: Die Institutionen am runden Tisch haben sich damit einverstanden erklart. Ich setze fest darauf, dass sie es auch tun werden.

SZ: Und wer bezahlt die Therapien derer, die in der Familie Opfer wurden?

Bergmann: Der Bund hat bereits erklart, dass er dafur die Verantwortung ubernimmt.

SZ: Es ist Ihrem Einsatz zu verdanken, wenn Opfer familiaren Missbrauchs Anspruch auf zusatzliche staatlich finanzierte Therapiehilfe bekommen. Warum war ihnen dieser Punkt so wichtig?

Bergmann: Es war mein Auftrag, einen Katalog von Hilfen fur alle Betroffen zu erarbeiten. Soll ich denen, die in der Familie Leid erfuhren sagen, schade, fur Euch fuhlt sich niemand verantwortlich. Das ware untragbar.

SZ: Neben Therapien fehlt immer noch ein ausreichendes Angebot an Beratungsstellen fur die Opfer sexuellen Missbrauchs.

Bergmann: Das ist ein immens wichtiges Thema. Da gibt es gro?e Lucken, es fehlen etwa Anlaufstellen fur erwachsene Manner, fur Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Migrationshintergrund. Auch auf dem Land fehlen Angebote. Und alle Organisationen mussen jedes Jahr neu um Geld betteln, sie brauchen aber dringend eine gesicherte Finanzierung.

SZ: Aber bislang ist niemand bereit, die Kosten fur eine bessere Ausstattung der Beratungsstellen zu ubernehmen.

Bergmann: Stimmt. Es fehlen noch konkrete Aussagen zur Finanzierung. Hier mussen sich alle beteiligen - Bund, Lander und Kommunen. Wir brauchen einen Rechtsanspruch Betroffener auf Beratung, so wie im Bundeskinderschutzgesetz vorgeschlagen oder bei der Schwangeren-Konfliktberatung. Nur dann kann es eine verbindliche und solide Finanzierung geben.

SZ: Sie hatten ursprunglich uber einen gemeinsamen Fonds der Institutionen und des Staates nachgedacht, aus dem Therapien und Schmerzensgeld fur alle Opfer bezahlt werden sollten. Das scheiterte am Widerstand von Kirchen und anderen Organisationen, aber auch der Politik. Sind Sie daruber traurig?

Bergmann: Mir ist es wichtig, dass wir eine einigerma?en vernunftige und praktikable Losung erreichen, auch wenn nicht alle Betroffenen begeistert sind. Die haben wir bei dem Hilfsmodell fur Therapien erreicht. Beim Thema Entschadigungen setzte sich der Grundsatz durch, dass jede beteiligte Institution fur die Missbrauchsfalle aufkommen soll, fur die sie eine jeweils eigene Verantwortung tragt.

SZ: Mehr konnten Sie nicht durchsetzen? Etwa Schmerzensgeld fur Opfer familiarer Gewalt?

Bergmann: Nach meinen Kenntnissen haben sich Mitglieder des runden Tisches das nicht zu eigen gemacht.

SZ: Wie offen waren die kirchlichen und weltlichen Organisationen fur ihre Forderungen nach Hilfen fur die Missbrauchsopfer?

Bergmann: Die Einsicht mancher Vertreterinnen und Vertreter der Einrichtungen ist im Lauf der Zeit gewachsen.

SZ: Bei vielen Missbrauchten gibt es Enttauschung uber Ihre Vorschlage. Konnen Sie diese Menschen verstehen?

Bergmann: Wenn man erfahren hat, was Missbrauch im Leben eines Menschen bedeutet, ist klar: Dass kann man mit keiner Hilfe, keiner Summe gutmachen. Deswegen ist es jetzt wichtig, die Folgeschaden zu mildern. Und, ganz wichtig: Man darf das Thema Missbrauch nicht vergessen.

 
 

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