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  Tater Ohne Namen

By Edith Meinhart
The Profil
November 11, 2011

http://www.profil.at/articles/1143/560/310530/kirche-taeter-namen

Ein Pfarrer, der sich vor 25 Jahren an einem Buben vergangen hat, macht heute normalen Dienst in einer Pfarre. Uber den Umgang der Kirche mit Missbrauchstatern.

Manfred P.* ist ein attraktiver Mann um die 40. Er hat eine Frau furs Leben gefunden und beruflich seinen Weg gemacht. Aber da ist diese Wut. Sie kriecht hoch, wenn er die alte Osterkarte zur Hand nimmt, die ihm der Pfarrer ohne Namen, fur P. schlicht „der Tater“, vor 14 Jahren geschickt hat. „Und nochmals bitte ich dich herzlich – wie es in der Vater-unser-Bitte hei?t –, wenn Gott die Vergebung gibt, dann durfen wir einander vergeben“, hat er geschrieben. P. legt die Karte weg: „Mir wird schlecht.“

Werner S.*, der Verfasser der Zeilen, ist ein beleibter Mann Mitte 60 und Pfarrer in einer kleinen Ortschaft in Oberosterreich, wo ihn Jung und Alt wegen seiner leutseligen und weltoffenen Art schatzen. Aber da ist diese Angst. Nicht einmal seine engsten Vertrauten wissen, dass er „einmal im Leben einen gewaltigen Fehler“ begangen habe, wie er selbst sagt. Wenn sein Name in der Zeitung steht, ist er ruiniert.

Die Wut des Opfers und die Angst des Taters haben eine Vorgeschichte, die lange zuruckreicht. Vor 25 Jahren hat Pfarrer S. den damals dreizehnjahrigen Buben Manfred P. sexuell missbraucht. Der Geistliche, der die Tat gar nicht bestreitet, wurde in eine beschauliche Pfarre versetzt, die von seinem Vorleben nichts ahnt. Nun will sich das Opfer nicht mehr mit gottesfurchtigen Karten kalmieren lassen, und der Tater, fast am Ende seines Berufslebens angekommen, furchtet, von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden.

Manfred P. wuchs in den siebziger Jahren in einem tiefkatholischen Elternhaus in Oberosterreich auf. Seine Kindheit spielte sich in der Pfarre ab. Sein Vater war Mesner, seine Mutter half jedes Jahr bei den Pfingstlagern mit, er selbst wurde als Bub Ministrant, Sternsinger, Mitglied der Jungschar und sang im Kirchenchor.

Werner S. war als junger, vom Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils beseelter Kaplan in die Gemeinde gekommen. Konservativen Kirchenleuten waren seine Gottesdienste zu lang, zu laut und zu rhythmisch. Die Aufgeschlossenen mochten ­seine lockere Art. Es war die Zeit der Jazzmessen, Werner S. spielte Gitarre und hatte einen guten Draht zur Jugend.

Im Sommer pflegte er mit auserlesenen Kindern eine Woche in einer Hutte zu ­verbringen, und Manfred P. empfand es als „Gunst“, als er 1985 erstmals mitfahren durfte. Er war 13 und wehrte sich nicht, als der Kaplan dort anbot, seinem Rucken etwas Gutes zu tun, ihm die Hose herunterzog und den Genitalbereich massierte.

Ein Jahr spater ging es wieder auf die Hutte. Dieses Mal sei Alkohol geflossen, und Werner S. habe standig Raufereien angezettelt und anzugliche Witze gemacht. Die Atmosphare sei den ganzen Tag uber aufgeheizt gewesen, am Abend sei es erneut zu Ubergriffen gekommen, sagt Manfred P. Er sei „ziemlich verstort“ gewesen und habe den Priester auf der Heimfahrt zur Rede gestellt. Dieser habe geantwortet: „Wenn du in der Kirche bleibst und wir einmal streiten, mochte ich, dass du das, was passiert ist, nie erwahnst.“

Manfred P. schwieg. Der „Tater“ habe sich bewusst „weiche Kinder“ ausgesucht, von denen er gewusst habe, „dass sie katholisch-autoritar erzogen sind und sich ihm nicht entgegenstellen“, sagt er. Erst mit 19 habe er, P., versucht, mit Freunden uber das zu reden, woruber er nicht reden durfte. Sie seien uberfordert gewesen. Als sich drei seiner engsten Gefahrten spater von Pfarrer S. trauen lie?en, zog sich sein Opfer aus der Pfarre, die bis dahin auch seine Welt gewesen war, zuruck.

1995 kam der Fall Groer an die Offentlichkeit, und Manfred P. ertrug sein Geheimnis nicht mehr – und das Bild, das sich von seinem Vater eingepragt hatte: der Mesner, auf den Knien vor dem Pfarrer, um ihm den Saum des Messgewands zu richten. Er erzahlte seinen Eltern, was der Mann im Priesterrock ihm angetan hatte, und an einem Vormittag im Marz 1997 suchte er Manfred P. im Pfarrhof auf, um es auch ihm, „dem Tater“, ins Gesicht zu schleudern. Noch heute erinnert er sich grollend, wie er S. in dessen Kanzlei gegenuberstand: „Er hat so getan, als ware er das Opfer, und hat gewinselt, dass ich ihm bei Gott vergeben und ja nicht an die Offentlichkeit gehen soll.“ Doch Manfred P. war 25 und schon lange kein Ministrant mehr. „Lass blo? Gott aus dem Spiel“, sagte er.

Der Pfarrer schrieb an P.s Eltern, besuchte sie zu Hause und flehte um Vergebung fur seinen „ganz gro?en Fehler“. Ihr Sohn weilte gerade auf Osterurlaub. Der Pfarrer schickte ihm die erwahnte Karte und einen Schilling-Tausender – „als Beitrag furs Tanken und kleines Ostergeschenk“. Manfred P. sagt, er habe das Geld in ein Kuvert gesteckt und in den Pfarrhof gebracht: „Gebt das dem Pfarrer, er wei? schon, von wem.“ Kurz danach hatten seine Eltern die Ombudsstelle in Linz von dem sexuellen Missbrauch informiert. Doch dort habe man sie kalt abgewiesen: „Das konnen wir dem Bischof nicht sagen“, und ihnen einen Rat mitgegeben: „Schreiben Sie dem Pfarrer einen Brief, dass er das nicht mehr tun soll.“

2008 beginnt Manfred P. eine Psychotherapie. Als zwei Jahre spater die Debatte uber Missbrauch in der Kirche ausbricht, wird er erneut bei der Ombudsstelle vorstellig. Dieses Mal leitet sie die Missbrauchsvorwurfe an die Staatsanwaltschaft weiter, die das Verfahren „aufgrund von Verjahrung“ einstellt. Nun drangt Manfred P. darauf, dass Werner S. aus der Pfarre abgezogen wird. Doch um die Frage, ob der beliebte Pfarrer weiter in einer Gemeinde arbeiten kann, wo er jeden Tag von Kindern und Jugendlichen umgeben ist, druckt sich die Ombudsstelle herum.

Man verspricht, den Priester mit den Vorwurfen zu konfrontieren, bittet im Mai „wegen der Sommerpause“ um Geduld. Es wird Oktober, bis sich die Ombudsstelle das nachste Mal meldet. Manfred P. beschleicht das Gefuhl, „dass die Oberosterreicher auf Zeit spielen“. Er wendet sich an die Klasnic-Kommission, die ihm 9000 Euro zuspricht, und bittet den grunen Justizsprecher Albert Steinhauser um Unterstutzung: „In diesem Fall hat die Kirche formal korrekt gehandelt und die Vorwurfe angezeigt. Aber dann hat man sofort wieder die Decke darubergebreitet und so getan, als ware nichts, statt zu schauen, ob es weitere Opfer gibt.“

Mit der Frage, ob von Pfarrer S. noch eine Gefahr ausgeht, muss nun Severin Lederhilger ringen. Der studierte Jurist ist Generalvikar und in dieser Funktion der Personalchef der Diozese Oberosterreich. Er residiert in einem gro?en, lichtdurchfluteten Buro im Diozesanhaus in der ­Linzer City. „Es geht um einen Ausnahmefall“, glaubt er. Pfarrer S. habe sich mit der Tat, dem Opfer und dessen Familie „intensiv auseinandergesetzt“. Er habe 1997 eine Therapie gemacht, sich selbst Kontrollen und Supervision auferlegt und den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen eingeschrankt. Die Auseinandersetzung mit seiner Schuld sei „deutlich zu spuren“.

Lederhilger hat ein Gutachten vor sich auf dem Tisch liegen, das ihm Recht gibt. Der forensische Psychiater Patrick Frottier, den die Diozese mit einer Risikoprognose betraute, halt die Gefahr weiterer sexueller Ubergriffe fur „au?erst gering“. Krankheitswertige Storungen lagen – „unter der glaubhaften Annahme, dass es sich um einen einmaligen Ubergriff gehandelt hat“ – nicht vor. Der Priester erkenne, dass er ein unauflosbares Problem fur sich und das Opfer geschaffen habe. Die Angst vor Aufdeckung in seiner Gemeinde sei kunftig „Grenze genug“.

Dass sich der Pfarrer, der in der Diozese als Figur der Jugendseelsorge herausragt, Mitte der achtziger Jahre an einem Buben vergangen hat, will Lederhilger erst 2010 erfahren haben. Und dass man die Familie des Opfers vor dreizehn Jahren bei der Ombudsstelle abgewiesen habe, hore er uberhaupt zum ersten Mal: „Das ist unprofessionell und wurde heute sicher nicht mehr passieren. Mit heutigen Ohren hort man alles anders.“ Es klingt ein wenig, als wollte er sagen: „Lassen wir die Vergangenheit ruhen.“

Manfred P. sagt, er wisse von zwei Freunden, an denen sich Pfarrer S. ebenfalls vergangen habe. Daruber reden wollten die beiden bisher nicht: „Der eine tut so, als konnte er es wegstecken. Dem anderen geht es so schlecht, dass er sich nicht damit auseinandersetzen kann.“

Der Mann, der viele offene Fragen be­antworten konnte, sa? vergangene Woche zusammengesunken in einem Besprechungsraum der Diozese, als erwarte er ­jeden Moment den Schlag des Damoklesschwerts. Im Pfarrhof zu Hause wollte Priester S. nicht uber das „Vorkommnis“ reden, fur das er schwer Worte findet: „Ich habe eine Landwoche gehabt, und ich glaube, ich habe Nahe gesucht und wahrscheinlich einen Blodsinn gemacht. Wenn der Manfred sagt, dass es so war, wird es stimmen. Ich bestreite ja da gar nichts.“ In seiner Erinnerung habe es „nur dieses eine Vorkommnis gegeben, sonst wei? ich nichts“.

Werner S. sagt, er konne sich vorstellen, wie schlimm es fur Manfred P. gewesen sein muss, sich niemandem anvertrauen zu konnen: „Da sind wir fast in einem Boot gesessen.“ 1997, als der junge Mann plotzlich in seiner Kanzlei stand, habe er langst nach einem ruhigeren Dienstort Ausschau gehalten gehabt. 25 Jahre lang war er in seiner alten Pfarre „voll im Geschirr“ gewesen. Er war gesundheitlich angeschlagen. P.s Auftauchen habe ihn nur darin bestarkt, „dass ich hier weg und mit mir wieder auf gleich kommen muss“.

Ein paar Monate spater las Manfred P. in der Zeitung, Pfarrer S. habe eine kleinere Gemeinde ubernommen. Plotzlich seien im Ort die wildesten Geruchte weitergetuschelt worden: „Alle, die vorher nie den Mund aufgemacht haben, wussten plotzlich alles Mogliche zu erzahlen. Aber immer nur hinter vorgehaltener Hand.“

Pfarrer S. sagt, er habe 1997 neu angefangen, eine Therapie gemacht und erstmals uber sein Problem geredet, „dass man irgendwo einen Schwachen sucht, und dann passiert so etwas“. Er habe ein Netz von Mitarbeitern aufgebaut und unauffallig dafur gesorgt, dass er mit Jugendlichen nicht mehr alleine zusammenkam. „Ich sperre die Kirche auf, begru?e die Leute, mit den Kindern arbeiten, das machen andere. Es ist alles kontrolliert“, sagt er.

2010, als der Pfarrer schon das Gefuhl hatte, er ware „fast durch“, kam P.s Anzeige. Er sei ihm nicht „bose“, sagt Werner S., er sei „sogar froh, dass alles herau?en ist. Hatte mich der Manfred nicht konfrontiert, hatte ich es vielleicht mit ins Grab genommen.“ Nun musse er irgendwie weitermachen. Da ist sie wieder, die Angst: „Wenn Sie meinen Namen nennen, ist mein Leben in der Pfarre vorbei.“

Fur seinen Vorgesetzten, Generalvikar Lederhilger, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Er sei „selbst noch nicht ganz entschieden“, ob die Kirche im Fall S. ein Zeichen setzen muss, sprich der Pfarrer seinen Dienst quittieren muss, oder ob er als Seelsorger weiterarbeiten kann. Die Diozese erwagt sogar ein zweites Gutachten, um „wirklich sicherzugehen“. Manfred P. wartet noch immer auf Nachricht, wie es um die Versetzung des Pfarrers steht: „Mir geht es nicht um Rache, sondern darum, dass nichts mehr passiert.“

 
 

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