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Der Skandal Und Die Konsequenzen

The Deutschlandfunk
November 30, 2011

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1616607/

Blick durch ein Fenster in den Innenhof des Berliner Canisius-Kollegs. (Bild: AP)

Als im vergangenen Jahr zahlreiche Missbrauchsfälle an verschiedenen Schulen ans Tageslicht kamen, reagierte die Bundesregierung mit der Einrichtung eines Runden Tisches. Vorderste Aufgabe: eine bessere Prävention schaffen und die Fälle aufarbeiten. Nun wird die Arbeit eingestellt.

"Ich bin mit mir und der Welt und allem fertig. Ich brauch mir mein Leben nicht mehr nehmen. Das hat mein Stiefvater schon getan. Leider bin ich noch am Leben."

"Ich fühle mich so verloren - ich gehöre nicht dazu."

"Ich habe 22 Heime durchlaufen. Nachts kamen die Pater. Irgendwann hat man ins Bett gemacht, damit sie nicht mehr kommen. Wenn man aufmuckte, galt man als verhaltensauffällig und wurde in ein anderes Heim abgeschoben."

"Ich frage mich, ob ich Schuld bin."

Vier Stimmen von 20.000. 20.000 Anrufe, E-Mails und Briefe sind in den letzten eineinhalb Jahren im Büro der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung eingegangen. Das älteste Opfer, das sich meldete, war 89 Jahre alt - fast ihr ganzes Leben lang hat die Frau den sexuellen Missbrauch tief in ihrem Innern vergraben. An all diejenigen, denen noch der Mut zum Reden fehlte, richtete sich der von der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten in Auftrag gegebene Fernseh- und Kinospot:

"Das bleibt ein Geheimnis zwischen uns, hatte er gesagt, nachdem er mich missbraucht hat. Das Schweigen hat mich ein Leben lang zum Opfer gemacht. Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter. Es ist nie zu spät, über sexuellen Missbrauch zu sprechen. Rufen Sie uns an."

Matthias Katsch hat 30 Jahre gebraucht, um über die Peinigungen zu sprechen, die ihm als Jugendlicher widerfahren sind - damals, als Schüler am Canisius-Kolleg in Berlin, einer Jesuiten-Schule mit Elite-Ruf. Gleich zwei Pater haben ihn drangsaliert, geschlagen, sich dabei selber sexuell erregt.

"Ich hätte damals nicht einmal richtig benennen können, dass es Täter gewesen sind. Weil ich damals keine Worte dafür hatte, um zu beschreiben, worin der Missbrauch bestand. Auch das ist etwas, was zu dem Perfiden dieses Systems dazugehört. Das geschah ja praktisch im Beichtstuhl."

In den 70er-Jahren, der Schulzeit von Matthias Katsch, sind die Jesuitenpater gleich mehrfach unangreifbare Autoritäten - Lehrer, Erzieher und die geistliche Instanz, die die ganze Wucht der katholischen Moral verkörpert. Wie viele andere Missbrauchsopfer spricht der heute 48-jährige Katsch von Schuld- und Schamgefühlen, die ihn sein ganzes Leben begleitet haben.

"Ich habe mich viele, viele Jahre für alles Mögliche geschämt: Im persönlichen Bereich, was die Sexualität angeht, hat das natürlich Auswirkungen gehabt. Dann kommt dazu so ein Gefühl der Traurigkeit und Unfähigkeit etwas zu tun, etwas zu Ende zu bringen. Ja, ein ganz allgemeines Gefühl, ich muss mein Leben bewältigen, mein Leben ist eine Anstrengung. Ich muss mich zwingen, mein Leben zu leben."

Im Januar letzten Jahres besucht Matthias Katsch gemeinsam mit zwei weiteren Betroffenen den Leiter des Canisius-Kollegs. Nachdem es jahrelang Gerüchte und Andeutungen über die beiden Täter und ihre perfiden Handlungen gab, wollen sich die Opfer jetzt offenbaren, dem Jesuitenpater Klaus Mertes endlich die Wahrheit auf den Tisch legen.

"Für mich ist der Januar letzten Jahres mein persönliches 9/11, nichts ist nachher so wie vorher."

Klaus Mertes setzt sich hin, schreibt einen Brief an die ehemaligen Schülerinnen und Schüler des Kollegs. Er bittet um Entschuldigung, beschönigt nichts. Im Orden und in der Schule gab es Menschen, schreibt der Jesuitenpater, die eigentlich eine Schutzpflicht gegenüber den betroffenen Opfern gehabt hätten, stattdessen haben sie weggeschaut.

"Was bedeutet es für mich persönlich, wenn ich erfahre, dass am Canisius-Kolleg in den 70er-Jahren ein Täter 100 plus X Opfer hatte, das war ja die Schlüsselinformation, die mich zu dem Brief veranlasst hat. Und dann fragt man sich natürlich, haben die Mitbrüder damals nichts gewusst. Manche von denen sind ja ganz wesentlich auch für meine persönliche Motivation gewesen, in den Jesuitenorden einzutreten, also, ich verliere Vorbilder."

Im Zuge der Aufklärung wird sich herausstellen: Es gab nicht nur ein großes Schweigen und Wegschauen, nein, die katholische Kirche wurde zur Täterschutzorganisation - so sehen es zumindest viele Betroffene. Wurden Vergehen bekannt, versetzte der Arbeitgeber - der entsprechende Orden, das Bistum oder andere - den Täter an einen anderen Aufenthaltsort, ohne die dort Verantwortlichen zu informieren. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der katholischen Kirche:

"Das ist eine der wirklich verheerenden Erkenntnisse, die wir gewonnen haben. Die Tatsache ist aber sicher der Situation geschuldet, dass man natürlich vor einigen Jahrzehnten auch das Problem anders eingeschätzt hat, also, dass man irgendwie den Eindruck hatte, ja gut, da hat sich jemand vergangen, dass jemand vielleicht eine Therapie gemacht hat oder hat sich entschuldigt. Dann wurde er an anderer Stelle wieder eingesetzt."

Die Institution Kirche schützte den Täter und vergaß die Opfer. Ein Beispiel dafür ist der geständige, inzwischen laisierte Jesuitenpater Wolfgang S. Nach eigenen Angaben hat er 32 Jahre lang Kinder sexuell missbraucht. Der Jesuitenorden gab ihm immer wieder die Gelegenheit dazu, in dem er ihn wiederholt versetzte: vom Canisius-Kolleg Berlin in die Ansgarschule Hamburg, von dort ins Kolleg St. Blasien im Südschwarzwald, es folgten Sommeraufenthalte in Spanien, von 1986 bis 1990 hielt er sich in Chile auf. Dort arbeitete der Jesuitenpater in einem Armenviertel der Stadt Arica mit Straßenkindern. Später schreibt er in einer E-Mail an einen Betroffenen neben diese Lebensstation: "Häufige Vergehen".

Im Jahr 1991 tritt Wolfgang S. aus dem Jesuitenorden aus, beginnt in Chile eine Arbeit im Kolpingwerk. Im Zuge des Laisierungsverfahrens gibt Wolfgang S. seine Taten zu. Der Orden allerdings schweigt, informiert den neuen Arbeitgeber nicht - so steht es in dem vom Jesuitenorden in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht. Auch Matthias Katsch ist damals am Canisius-Kolleg in die Fänge des pädophilen Paters geraten. Seine Gefühle heute:

"Hass ist das nicht. Das ist Wut eigentlich über die Unverfrorenheit mit der sie damals gehandelt haben und vor allem, mit der sie heute handeln. Er kann heute unbehelligt leben und er kann gegenüber seinen Freunden und Bekannten, seiner Umgebung ein Bild aufrecht erhalten, was es ihm erlaubt, in Ruhe seine Tage zu verbringen."

"Es hat natürlich ganz wesentlich zu tun mit dem Schutz des Images der Institution, dann hat es auch damit zu tun mit einem bestimmten Verständnis von Fürsorgepflicht, und das ist das Hauptproblem, man hat sich auf seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Täter konzentriert und darüber die Opfer vergessen, das ist der eigentliche Skandal."

Klaus Mertes weiß knapp zwei Jahre später, dass nicht nur die Jesuiten am Canisius-Kolleg die Opfer vergaßen. Nachdem die dort Betroffenen Mut gefasst hatten zu sprechen, taten es auch die anderen katholischen Schulen. Sexueller Missbrauch im Kloster Ettal, im Kolleg St. Blasien, im Aloisius-Kolleg Bonn - jede Woche eine neue Enthüllung. Großes Entsetzen, als klar wird, dass im Vorzeigeinternat der Reformpädagogik, der Odenwaldschule, Kinder jahrzehntelang sexuell missbraucht worden sind. Auch Fälle aus evangelischen Heimen und Schulen wurden bekannt.

Die Bundesregierung reagiert schnell auf die Enthüllungen. Im März letzten Jahres beschließt sie die Einrichtung eines Runden Tisches, im April tagt er zum ersten Mal. Welche Gesetze müssen verändert werden, damit Opfer sexuellen Missbrauchs künftig besser zur ihrem Recht kommen? Wo existieren Wissenslücken, was muss unbedingt erforscht werden? Was muss getan werden, um sexuellen Missbrauch in der Familie und in Institutionen in Zukunft zu verhindern? Sollen Opfer, deren Fälle verjährt sind, entschädigt werden? Wenn ja, wie? Bundesfamilienministerin Kristina Schröder:

"Ich denke, wir sind uns einig, dass es in vielen Fällen ein eklatantes Versagen gab, das der Aufarbeitung bedarf auf der einen Seite. Zum zweiten aber auch präventiver Maßnahmen bedarf, um so etwas künftig weniger wahrscheinlich zu machen."

Die drei Bundesministerinnen Kristina Schröder, Familie, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Justiz, und Annette Schavan, Forschung, leiten den Runden Tisch. Dazu kommen Wissenschaftler, Therapeuten, Vertreter der katholischen Kirche und des Sports, Juristen, Bundestagsabgeordnete, Länderminister, und, und, und. Insgesamt 60 Personen.

Doch diejenigen, um die es geht, sind zunächst nicht eingeladen. Bei der Pressekonferenz nach der zweiten Sitzung des Runden Tisches kommt es deshalb zu einem Eklat. Ein Betroffener steht auf, meldet sich lautstark zu Wort:

"Wir wollen nicht mehr, dass ständig Leute in unserem Namen für uns sprechen. Wir wollen selber sprechen. Wir wollen für uns sprechen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. So sehr ich Ihre Arbeit schätze, wir wollen für uns selber sprechen. Die Betroffenen müssen an den Runden Tisch, so dass sie vernünftig gehört werden. Da müssen wenigstens zehn Betroffenenorganisationen sitzen, das wäre fair."

"Wie wollen Sie bitte einen oder zehn Vertreter der Opfer benennen. Das sind so viele unterschiedliche Schicksale, so viele unterschiedliche Konstellationen, es wäre willkürlich, wenn wir eine Auswahl treffen.2

"Mit Ihrer Einstellung, das sind zu viele, beißen Sie bei uns auf Granit. Sie werden den Runden Tisch wieder aufdröseln müssen."

Familienministerin Kristina Schröder gibt nach. Der Runde Tisch wird zwar nicht aufgedröselt, aber acht zusätzliche Stühle werden herangerückt. An einem darf Matthias Katsch Platz nehmen, der ehemalige Schüler des Berliner Canisius-Kollegs, der gemeinsam mit anderen Betroffenen und dem Jesuitenpater Klaus Mertes alles ins Rollen gebracht hat.

"Der Runde Tisch hat viele gute Ergebnisse zustande gebracht und viele Anregungen entwickelt. Einerseits. Andererseits, dadurch dass der Runde Tisch soweit aufgezogen wurde, ist doch der Auslöser für die ganze Geschichte am Ende doch etwas in den Hintergrund getreten."

Denn am Runden Tisch ist der Missbrauch in staatlichen Heimen der DDR genauso thematisiert worden wie der in Sportvereinen oder in der Familie. Nach wie vor werden die meisten Taten im familiären Umfeld begangen, die allermeisten Opfer sind Mädchen, die den Täter bereits kennen. Diese umfassende Behandlung des Themas hat den Blick geweitet, aber auch abgelenkt von der Verantwortung der katholischen Kirche.

Die leichteste Aufgabe am Runden Tisch hatte die Arbeitsgruppe Forschung unter Leitung von Annette Schavan. 30 Millionen Euro stellt ihr Ministerium für die Erforschung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt zur Verfügung, die Ergebnisse einer repräsentativen Studie zu diesem Thema liegen bereits vor. Ein Forschungsnetz ist im Aufbau, in dem Mediziner, Psychologen und Sozialwissenschaftlicher künftig zusammenarbeiten sollen.

Was muss passieren, damit sexueller Missbrauch in Zukunft wirksamer verhindert werden kann? Die Arbeitsgruppe "Prävention" unter Leitung von Familienministerin Kristina Schröder erarbeitete Standards zur Vermeidung von sexuellem Missbrauch in Internaten, Sportvereinen, Jugendfreizeiteinrichtungen. Welche besonderen Gefahren gibt es in der Einrichtung? Was ist im Verdachtsfall zu tun? Wer ist der Ansprechpartner? Sind die pädagogischen Mitarbeiter geschult, verfügen sie über ein erweitertes Führungszeugnis? Kristina Schröder:

"Wir wollen die Entwicklung und die Einhaltung solcher Standards zur Voraussetzung machen bei öffentlichen Trägern, dass eine Betriebserlaubnis erteilt wird. Wir wollen außerdem zur Voraussetzung machen, dass die öffentlichen Träger, wenn sie wiederum mit freien Trägern kooperieren, dass die darauf hinwirken, dass solche Standards entwickelt und umgesetzt werden."

All dies ist bereits in Gesetzesform gegossen. Der Bundestag hat das Kinderschutzgesetz verabschiedet, der Bundesrat hat es allerdings am letzten Freitag abgelehnt, den SPD-regierten Ländern gehen die Regelungen nicht weit genug. Nun ist der Vermittlungsausschuss am Zug.

Ein weiteres Vorhaben ist bereits im parlamentarischen Prozess: das Gesetz zur Stärkung der Rechte der Opfer sexuellen Missbrauchs, entwickelt von der Justiz-Arbeitsgruppe unter Leitung von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Stellung der Opfer im Strafprozess wird mit diesem Gesetz verbessert, Schadenersatzansprüche wegen sexuellen Missbrauchs sollen in Zukunft erst nach 30 Jahren verjähren. Denn die Verantwortlichen haben gelernt: Betroffene brauchen Jahre, manchmal Jahrzehnte, um sich zu offenbaren und vielleicht den Täter anzuzeigen.

Die Forschungsvorhaben und Gesetzesinitiativen, das erweiterte Führungszeugnis, der Missbrauchsbeauftragte im Internat - all das sind Maßnahmen, die in die Zukunft gerichtet sind. Aber was ist mit den tausenden Betroffenen, deren Fälle verjährt sind? Denen die Schule vor 30 Jahren das Abitur verweigert hat, weil die ihnen angetane sexuelle Gewalt sie schulunfähig gemacht hat? Denen ein normaler Lebensweg verbaut worden ist, die berufliche Karriere, ein zufriedenes Familienleben?

"Es muss gesagt werden, dass es nicht irgendwie um Sexualität geht, sondern um Seelenmord an den Opfern."

"Missbrauch ist wie eine Bombe im Bauch, die jederzeit losgehen kann."

"Bin ich normal im Kopf? Wie höre ich mich an? Ich habe solche Angst, dass mich alle für verrückt halten."

"Die töten das Leben der Kinder. Das ist schlimmer als Mord, denn die Hülle der Betroffenen bleibt lebenslänglich am Leben."

Die Unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, hat ein Hilfemodell für verjährte Fälle entwickelt, das sich der Runde Tisch weitgehend zu eigen gemacht hat. Es unterscheidet zwischen zum Beispiel der Übernahme von Therapiekosten oder einer finanziellen Entschädigung.

Bei der Übernahme von Therapiekosten sieht der Runde Tisch sowohl die Täterinstitutionen als auch den Staat in der Pflicht, zum Beispiel dann, wenn der Missbrauch in der Familie begangen wurde. Anders bei direkten finanziellen Entschädigungen. Im Abschlussbericht des Runden Tisches, der dem Deutschlandfunk vorliegt, heißt es dazu:

"Zu Recht erwarten die Betroffenen, dass die Institutionen, die ihre Verantwortung in der Vergangenheit nicht wahrgenommen haben, wenigstens heute Verantwortung für die Taten übernehmen. Dazu gehören nach Ansicht des Runden Tisches auch sogenannte Schmerzensgeldzahlungen. Der Runde Tisch betont, dass diese Maßnahmen allein den Institutionen obliegen."

Das heißt: Anders als von den Betroffenen gefordert wird es keinen gemeinsamen Fonds geben, in den Staat, Kirchen und andere verantwortliche Institutionen einzahlen und der dann das Geld nach bestimmten Kriterien an die Missbrauchsopfer vergibt. Der Runde Tisch nennt auch keine Summen. Zur Höhe einer finanziellen Entschädigung heißt es im Abschlussbericht lediglich, man könne sich an der in der Rechtssprechung üblichen Schmerzensgeldtabelle orientieren. Der frühere Canisius-Schüler Matthias Katsch ist enttäuscht:

"Was ich vermisse, was ich nicht gut finde, dass es keine verbindlichen Regeln gibt für Institutionen, wie sie Menschen, die in ihren Institutionen zu Opfern von sexueller Gewalt werden, wie sie denen mit Entschädigungen und Hilfen begegnen sollen. Also, es bleibt nach wie vor dieses Missverhältnis zwischen der mächtigen Institution und dem ohnmächtigen Opfer. Auch der Frage der Höhe der Entschädigung, der ist man letztlich ausgewichen."

Die katholische Kirche hat sich allerdings in punkto Schmerzensgeld anders entschieden. Seit März können Missbrauchsopfer entsprechende Anträge stellen, sie erhalten eine finanzielle Entschädigung in Höhe von bis zu 5000 Euro. Außerdem erklärt sich die katholische Kirche bereit, Therapiekosten zu begleichen, die von den Krankenkassen nicht übernommen werden. Bislang haben 820 Betroffene einen entsprechenden Antrag gestellt, weniger als erwartet. In diesem Punkt ist die katholische Kirche also in Vorleistung gegangen.

Weitaus zögerlicher agieren die Verantwortlichen allerdings beim Thema Aufarbeitung. Kurz nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle haben einige betroffene Einrichtungen und Diözesen Untersuchungsberichte in Auftrag gegeben, so das Aloisius-Kolleg in Bonn, das Canisius-Kolleg Berlin und auch die Benedektiner, die die Klosterschule Ettal betreiben. Doch wer momentan auf den Internetseiten der entsprechenden Einrichtungen diese Berichte sucht, wird nur selten fündig.

Auf der Internet-Präsenz des Canisus-Kollegs heißt es dazu knapp: "Informationen zu den Missbrauchsfällen werden in Kürze zur Verfügung stehen." Auch der Untersuchungsbericht zum Kloster Ettal findet sich nicht auf den Internetseiten der Einrichtung. Unter dem sehr zurückhaltenden Stichwort "Ettaler Hilfskonzept" finden Interessierte einen Ansprechpartner und eine Pressemitteilung zu den Entschädigungszahlungen.

Knapp zwei Jahre nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle am Canisius-Kolleg existieren keine Zahlen zum Umfang des sexuellen Missbrauchs in Einrichtungen der katholischen Kirche. Wie viele Kinder waren betroffen? Wie viele Täter gab es mutmaßlich? In wie vielen Einrichtungen gab es solche Fälle? Der Missbrauchsbeauftragte Bischof Stephan Ackermann verweist auf die laufende wissenschaftliche Untersuchung, deren Ergebnisse in etwa zwei bis drei Jahren vorliegen sollen.

"Weil das Feld natürlich so differenziert ist, haben wir gesagt, wir brauchen wirklich verlässliche und vergleichbare Daten, und das braucht natürlich auch eine längere Zeit, dieses Projekt mit dem Forschungsinstitut Niedersachsen ist auf drei Jahre angelegt, weil es ja auch darum geht, wirklich in die Vergangenheit zu schauen und das auch nach allen Regeln der Kunst auch wissenschaftlich redlich ausgewertet wird, das braucht eben seine Zeit."

Morgen legt der Runde Tisch gegen sexuellen Kindesmissbrauch seinen Abschlussbericht vor. Ob alle Empfehlungen umgesetzt werden, werden die nächsten Monate zeigen. Einiges ist bereits auf dem Weg. Schwierig wird die Etablierung des Hilfesystems für diejenigen, deren Fälle verjährt sind. Der Abschlussbericht des Runden Tisches endet bewusst mit einem Appell an alle:

"Heute kann niemand, der Verantwortung für Kinder und Jugendliche trägt, die Problematik ignorieren oder behaupten, er wisse nicht, was zu tun sei. Wir alle sind verantwortlich dafür, dass die weiteren Schritte folgen."


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