BishopAccountability.org
 
  Report Uber Kindesmissbrauch Schockiert Die Niederlande

The Zeit
December 23, 2011

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-12/niederlande-report-kirche?commentstart=1#comments

Der Erzbischof von Utrecht, Wim Eijk und der Vorsitzende der niederlandischen Bischofskonferenz Cees van Dam

Mit vorweihnachtlicher Besinnlichkeit ist es in der katholischen Kirche der Niederlande vorbei. Bischofe und hohe Funktionare reagierten am Freitag geschockt auf die Veroffentlichung eines Reports uber sexuellen Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen. Wim Eijk, Erzbischof des Bistums Utrecht, sprach in einer Erklarung von "Scham und Verdruss". Schuld treffe nicht nur die Tater selbst, sondern auch kirchliche Wurdentrager, die "nicht sorgfaltig gehandelt" und der Opferhilfe keine Prioritat eingeraumt hatten. Auch die Dachorganisation der Abteien, Orden und Kloster bot ihre "aufrechte Entschuldigung" an.

Der Report, veroffentlicht von einer unabhangigen Kommission unter Leitung des ehemaligen Bildungsministers Wim Deetman, kommt zu dem Ergebnis, dass von 1945 bis 1985 zwischen 10.000 und 20.000 Minderjahrige Opfer sexuellen Missbrauchs wurden. Diese Falle ereigneten sich in katholischen Internaten und Schulen, Kinder- und Waisenhausern. Bei einigen tausend dieser Kinder soll es sich um schweren Missbrauch gehandelt haben.

Die Kirchenleitung hatte diese Problematik wissentlich verschwiegen. Interne Ma?nahmen seien nicht ergriffen worden, um mogliche Skandale zu verhindern. Zudem habe es fur die Betroffenen keine angemessene Hilfe gegeben. Trotz entsprechender Hinweise hatten Kirchenvertreter in den Niederlanden wiederholt beteuert, sie seien uber diese Vorfalle nicht unterrichtet gewesen. Kardinal Ad Simonis, ehemaliger Erzbischof von Utrecht, erklarte letztes Jahr in einer TV- Sendung, er habe "von nichts gewusst". Spater stellte sich heraus, dass er in seiner Amtszeit einen als padophil bekannten Priester einstellen lie?.

Gerade wegen dieser Vorgeschichte war der Deetman-Bericht in den Niederlanden mit Spannung erwartet worden. Begonnen hatte die Diskussion um sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen im Marz 2010: Nach Berichten uber Salesianer-Pater, die sich in den 1960er und 1970er Jahren in einem Internat systematisch an Jugendlichen vergriffen haben sollen, meldeten sich in wenigen Tagen 200 Betroffene bei einer kirchlichen Anlaufstelle. Die niederlandische Bischofskonferenz beauftragte daraufhin Wim Deetman, selbst ehemaliger Direktor einer weiterfuhrenden Schule, mit umfangreichen Untersuchungen.

Die von ihm geleitete Expertenkommission nahm insgesamt fast 1.800 Meldungen uber Missbrauchsfalle auf. Dabei konnte sie rund 800 Tater ermitteln, die in Bistumern oder kirchlichen Orden tatig waren. 105 davon leben nach den Erkenntnissen der Kommission noch. Wie viele noch eine kirchliche Funktion erfullen, ist nicht bekannt. Besonders belastet wird der fruhere Rotterdamer Bischof Philippe Bar. In seiner Amtszeit von 1983 bis 1993 habe er gegen den Willen interner Auswahlgremien ungeeignete Kandidaten als Priester zugelassen. Mehrere von ihnen hatten sich spater des Missbrauchs schuldig gemacht.

Zufrieden mit der akribischen Arbeit der Kommission zeigte sich die Stiftung KLOKK, ein landesweites Beratungsorgan uber Kindesmissbrauch in der Kirche. In einer Stellungnahme hei?t es, die Ergebnisse des Reports seien "noch schockierender" als erwartet. Der niederlandische Justizminister Ivo Opstelten sprach nach der Veroffentlichung von einem "sehr intensiven, schockierenden Bild". Die Empfehlungen der Kommission wolle er "besonders ernst nehmen". Im Report wird ein von zentraler staatlicher Stelle gelenkter Kampf gegen sexuellen Missbrauch und Gewalt angeregt.

Der sexuelle Missbrauch Minderjahriger sei keinesfalls auf die katholische Kirche beschrankt, erklart die Untersuchungskommission ihre Forderung. Sie bezieht sich auf eine Erklarung des niederlandischen Gesundheitsrats, eines wissenschaftlichen Beratungsgremiums der Regierung. Demnach werden allein in den Niederlanden jedes Jahr uber 100.000 Kinder korperlich, geistig oder sexuell misshandelt. Ambivalent indes ist der Deetman- Report uber die Rolle des Zolibats. Einerseits raumt er ein, Priester und Paters wurden dadurch "empfanglich fur diverse Formen grenzuberschreitendes Verhalten". Als hinreichende Erklarung sexuellen Missbrauchs reiche dies jedoch nicht aus.

Nicht zu erwarten ist, dass die Debatte noch eine juristische Dimension bekommt. Im Zuge der Deetman-Veroffentlichung wurde bekannt, dass die Kommission elf anonyme Falle an die Staatsanwaltschaft weiter geleitet hat. Diese erklarte am Freitag, die meisten davon boten zu wenig Informationen fur eine Untersuchung und seien zudem verjahrt. Letzteres soll auch fur die ubergro?e Mehrheit aller fur den Bericht relevanten Falle gelten. Vom Zeitpunkt der Volljahrigkeit eines Kindes verjahren Strafen nach 20 Jahren. Im Nachbarland Belgien wurde diese Frist nach einem vergleichbaren Missbrauchsskandal in katholischen Einrichtungen von zehn auf 15 Jahren angehoben.

 
 

Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.