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Beicht-warnung Fur St. Stephan

Der Standard
January 16, 2012

http://derstandard.at/1326502826743/ChurchWatch-Beicht-Warnung-fuer-St-Stephan



Im Wiener Stephansdom fehlt derzeit am Beichtstuhl ein wichtiges Hinweisschild: "Jugendverbot - for adults only!"

Dies ware jedenfalls die Konsequenz, wurde die Erzdiozese ihren eigenen Richtlinien fur „Ma?nahmen, Regelungen und Orientierungshilfe gegen Missbrauch und Gewalt" ernst nehmen. Die von allen osterreichischen Bischofen in Kraft gesetzte Rahmenordnung sieht vor: „Padophile Missbrauchstater werden keinesfalls weiter Pastoral eingesetzt, wo der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen gegeben ist."

Man ist sogar so vorsichtig, einen weiteren Einsatz fur Missbrauchstater selbst nach einer Therapie auszuschlie?en, weil "eine relativ hohe Ruckfallquote gegeben ist." In Verdachtsfallen wird bis zur Klarung mit einer Dienstfreistellung gearbeitet.

Freilich ist nicht alles schwarz-wei?. Schwierig ist die Situation in Fallen, wo eine letzte Klarung nicht gegeben ist. Falle sind verjahrt, Aussagen stehen gegen Aussagen. Trotzdem mussen die Verantwortlichen handeln. Im Zweifel muss wohl, versteht man den Opferschutz richtig, ein Seelsorgeeinsatz unterbleiben.

Der konkrete Fall liegt in dieser Grauzone. Es gilt daher die Unschuldsvermutung im rechtlichen Sinne. Was aber die Kirche trotzdem nicht davon entbindet, Vorsichtsma?nahmen zu setzen: Gegen einen Pfarrer wurden Vorwurfe des sexuellen Ubergriffes vorgebracht. Der behauptete Zeitpunkt liegt Jahrzehnte zuruck. Das Jugendlager war der Ort des mutma?lichen Ubergriffes. Immerhin sind es gleich drei mittlerweile erwachsene Manner, die Anschuldigungen erheben. Der Pfarrer bestreitet. Die diozesane Ombudsstelle diagnostiziert jedoch einen erharteten Tatverdacht.

Auch von der Diozesanleitung wird der Sachverhalt als so gravierend eingestuft, dass eine Abberufung des Pfarrers im Raum steht. Nun folgt die kirchlich gangige Losung: Da der Pfarrer ohnehin im pensionsfahigen Alter ist, wird er gedrangt, von seinem Amt zuruckzutreten (dass der kirchenrechtliche Fachterminus dafur „Resignation" hei?t, passt da gut ins Bild). Nach au?en hin wird der Schein gewahrt, was angesichts der Grauzone vielleicht sogar seine Berechtigung hat. Richtig und wichtig ist das praventive Fernhalten des Priesters von der Jugendseelsorge.

Doch die Diozesanleitung agiert inkonsequent. Dieser Priester fungierte namlich schon lange regelma?ig als Beichtpriester im Stephansdom - und darf dieses Amt behalten. Vom "dauernden Ruhestand", wie das amtliche Diozesanblatt verkundete, ist also nicht die Rede.

Gerade die Beichte ist aber als das intimste und sensibelste Sakrament am meisten in Gefahr, zum Ort der Abhangigkeit und des Ubergriffes zu werden. Es war wohl pastorale Klugheit, dass es in alten Zeiten Vorschrift war, ein Beichtstuhl habe im offentlichen Kirchenraum zu stehen und Priester und Beichtende seien durch ein Gitter zu trennen.

Die heutigen Beicht- und Aussprachezimmer, wie auch in St. Stephan eingerichtet, bieten zwar die angenehmere Gesprachsatmosphare und bessere pastorale Rahmenbedingung, bringen aber - was den Missbrauch und Ubergriff angeht - hohere Risiken mit sich. Schon der Kirchenlehrer (und Patron der Schriftsteller) Franz von Sales formulierte im 17. Jahrhundert uber die Wahl eines "Seelenfuhrers", den er fur ein frommes Leben fur notwendig hielt: "Suche dafur einen aus zehntausend. Denn es finden sich weniger, die fur diese Aufgabe geeignet sind, als man meinen mochte."* (Das klingt nicht gut, in Osterreich stehen namlich nur etwas mehr als 4.000 Priester zur Verfugung).

Wie sensibel die Kirche das Bu?sakrament einschatzt, erkennt man auch daran, dass ein Priester die Beichtvollmacht eigens vom Bischof erhalten muss (CIC cann. 969-973), und diese auch gesondert entzogen werden kann (CIC can. 974).

Fur den Umgang mit 2010 erlassenen Richtlinien zum Opferschutz ist wohl eine gro?e Evaluation angesagt, um deren Wirksamkeit zur prufen. Der konkrete Fall weist zudem auf ein Grundsatzproblem der kirchlichen Verfassung: Der Bischof ist kirchlicher Richter, Gesetzgeber und Seelsorger in einem. Er hat sich um die Glaubigen zu kummern und ist gleichzeitig disziplinarer Chef seiner Priester. Es hat auch seine "strukturellen Bedingungen", dass in der Kirche so lange die "Tater mehr geschutzt wurden als die Opfer", wie auch das Ma?nahmen-Papier der Bischofe analysiert. Fur Opferschutz und Pravention ware ein wenig kirchliche Gewaltenteilung sicherlich segensreich.

Schlie?lich ist dieser Vorgang auch ein Beispiel fur die stets schwankende Haltung des Wiener Erzbischofs, der in Grundsatz-Erklarungen immer eine unmissverstandlich klare Haltung zugunsten der Opfer einnimmt (was man eigens loben muss), in der Praxis aber - insbesondere wenn es um Priester geht - haufig herumlaviert (aber davon ein andermal).

Im konkreten Fall besteht jedenfalls dringender Klarungsbedarf, warum zwar eine Abberufung als Pfarrer angezeigt war, der Beichtdienst aber aufrecht bleibt. Wenn auch das Klientel zu St. Stephan uberwiegend altere Menschen sind, kann bei der ersten Adresse der Stadt nie ausgeschlossen werden, dass hier Jugendliche Rat und Hilfe suchen.

In der Zwischenzeit muss wohl die eingangs erwahnte Beichtwarnung fur St. Stephan aufrecht bleiben.

PS.: Nebenfrage: Warum scheint im Beichtplan zu St. Stephan neben dem Dompfarrer Toni Faber kein einziger der elf weiteren Domkapitulare als Beichtpriester auf - deren Qualifikation steht doch hoffentlich au?er Zweifel.

PPS.: Im Ubrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Papste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklart werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischofe Stellung genommen. Zu den Vorgangen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwurdig. (derStandard.at, 16.1.2012)

*Franz von Sales, Philothea, Eichstatt-Wien 1981, 25

Autor: Wolfgang Bergmann, Magister der Theologie (kath.), 1988-1996 Pressesprecher der Caritas, 1996-1999 Kommunikationsdirektor der Erzdiozese Wien und Grundungsgeschaftsfuhrer von Radio Stephansdom. Seit 2000 Geschaftsfuhrer DER STANDARD. 2010 erschien sein Romanerstling: "Die kleinere Sunde" (Czernin-Verlag) zum Thema Missbrauch in der Kirche.

 

 

 

 

 




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