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Sexueller Missbrauch in Der Katholischen Kircherss

By Julia Juttner
The Spiegel
January 19, 2012

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,810229,00.html

Er verging sich an drei Jungen, tagsuber, abends, sogar morgens vor der Messe: Pfarrer Andreas L. steht wegen teils schweren Kindesmissbrauchs vor dem Landgericht Braunschweig. Die Befragung der Mutter dokumentiert das Versagen der Kirche - und das unerschutterliche Vertrauen ihrer Mitglieder.

Als Polizeibeamte im Juli vergangenen Jahres das Pfarrhaus in Salzgitter-Lebenstedt durchsuchen, sturmt eine Frau herein und wirft sich Priester Andreas L. an den Hals. "Wir stehen zu dir", sagt sie und umarmt ihn. So hat es der Leiter der damals ermittelnden Sonderkommission beschrieben.

Am Donnerstag sitzt die Frau im Saal 141 des Landgerichts Braunschweig, sechs Schritte von Andreas L. entfernt. Sie als Zeugin, er als Angeklagter. Der Pfarrer hat ihre beiden Sohne missbraucht, jahrelang. Sie weint. Das Vertrauen ist erschuttert, zerstort ist es nicht.

Die Frau tut sich schwer, die Fragen des Gerichts, der Staatsanwaltin, des Verteidigers und gar der Nebenklager-Vertreter zu beantworten. Ihre Sohne, die charakterlich so unterschiedlich sind, weshalb der eine dem Pfarrer mehr ausgeliefert war als der andere, kann sie nicht beschreiben - oder sie will es nicht. Warum sich der Kontakt zum Pfarrer auf einmal intensivierte und auf wessen Initiative hin, das wei? sie nicht mehr - oder sie will es nicht wissen. Das habe sich eben so ergeben.

Andreas L. hat zugegeben, sich zwischen 2004 und 2011 in 280 Fallen an drei Jungen vergangen zu haben, zwei von ihnen waren zu Beginn des Missbrauchs neun Jahre alt. In 223 Fallen soll es sich um schweren Missbrauch gehandelt haben. Er verging sich an ihnen am Tag und am Abend - und manchmal auch morgens vor der Messe. Der 46-Jahrige hatte sich das Vertrauen der Eltern erschlichen, die Jungen durften bei ihm ubernachten, mit ihm in den Urlaub fahren. Erst nach sieben Jahren vertraute sich einer von ihnen seiner Mutter an.

"Ich beteilige mich nicht an Klatsch und Tratsch in der Gemeinde"

Die Nahe ihrer Sohne, besonders des einen, zum Pfarrer, nein, die sei ihr nicht eigenartig vorgekommen, sagt die Frau im Zeugenstand. Sie ist 44 Jahre alt, blond, kraftig. "Er ist mit allen Kindern gleich umgegangen." Ihre Stimme klingt angestrengt, fast gereizt. Seit Jahren arbeitet sie ehrenamtlich in der Gemeinde. Seit Andreas L. in Untersuchungshaft sitzt, fuhlt sie sich dort ausgegrenzt. Man begegne ihr "gruselig". Es gebe Gemeindemitglieder, die sie meiden. Es komme ihr vor wie eine Art stiller Vorwurf: Wie konntest du deine Kinder diesem Mann anvertrauen?

"Das ist schon hartes Brot", sagt sie. Wie sie behandelt werde, sei nicht "sehr christlich". Ihr jungster Sohn wolle wieder Messdiener sein, aber sie verbiete es ihm - aus Angst, auch er wurde ausgegrenzt werden.

Aus ihrem ehrenamtlichen Engagement im Kommunionskurs und der Kinder- und Jugendarbeit entsteht ab 2006 eine enge Freundschaft zwischen ihrer Familie und dem katholischen Pfarrer. Aus dem "Herr Pfarrer" wird "Andreas" oder wahlweise "Andy". Sie spricht von "vielen, schonen Gesprachen", gemeinsamen Ausflugen und der "gemeinsamen Wellenlange".

Dass Andreas L. zu diesem Zeitpunkt langst ein Kontaktverbot gegen einen weiteren Jungen einhalten muss, davon habe sie gehort, sich aber nicht weiter darum gekummert. "Ich beteilige mich nicht an Klatsch und Tratsch in der Gemeinde", sagt sie und man ahnt, wie unchristlich und erbarmungslos es dort manchmal zugegangen sein mag.

Die Mutter des ersten betroffenen Jungen, eine verwitwete, alleinerziehende und berufstatige Frau, hatte zweimal das Bistum Hildesheim eingeschaltet. Erstmals 2006, als sie darum bat, man moge dem Pfarrer dienstrechtlich den Kontakt zu ihrem Sohn untersagen. Im Rahmen des Missbrauchsskandals nahm sie 2010 erneut Kontakt auf, es blieb bei dem Kontaktverbot zu dem Jungen, aber der Pfarrer durfte weiterhin mit Kindern arbeiten und Jugendfreizeiten begleiten. Ein drittes Mal informierte sie das Bistum 2011, kurz bevor sie ihn anzeigte.

Das Bistum Hildesheim betont, es habe keine Hinweise auf sexuelle Ubergriffe gegeben und auch die Staatsanwaltschaft habe keinen Anfangsverdacht erkennen konnen. Dennoch hatte das Bistum entschlossener vorgehen konnen, um zu verhindern, dass sich L. unmittelbar nach dem Kontaktverbot neuen Opfern zuwendet.

In den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum sexuellen Missbrauch von 2002 hei?t es: "Auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Handlungen" konne es "Verhaltensweisen im pastoralen oder erzieherischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen geben", die zu vermeiden seien. Zudem konne auch bei Einzelfallen ein Gutachten angeordnet werden. Die Mutter des Jungen hatte das Bistum daruber informiert, dass Andreas L. Kinder bei sich ubernachten lie? und alleine mit ihnen in Urlaub fuhr - wie auch sie es aus grenzenlosem Vertrauen ihrem Sohn erlaubt hatte.

2. Teil: Er war ein angesehener Mann, immer freundlich und hilfsbereit

Vor Gericht gab die Mutter zu, sie sei kurzzeitig gar in den Pfarrer verliebt gewesen. Als sie sich ihm anvertraute, habe er sie abgewiesen, weil er nur der Kirche gehore. Erst im Juni 2011 erfuhr sie, dass Andreas L. ihren Sohn missbraucht hatte und zeigte ihn sofort an. Im Prozess tritt sie als Nebenklagerin auf.

Zweite Nebenklagerin ist die 44-Jahrige, deren zwei Sohne von Andreas L. missbraucht wurden. Dass ihre Kinder als eine Art Ersatz fur den ersten Jungen herhalten mussten, um die homopadophilen Neigungen des Pfarrers zu befriedigen, will die Frau im Gerichtssaal nicht wahrhaben. "Ich habe es nicht so empfunden, dass er uber uns Kontakt zu den Kindern wollte", sagt sie bestimmt. Der Pfarrer habe sich mit ihr anfreunden wollen. Und sie sich ganz offensichtlich mit ihm. Vor Gericht scheint es, als fuhle sie sich noch immer auf irgendeine Art mit ihm verbunden.

Vielleicht ist es das, was Andreas L. den Missbrauch leicht gemacht hat: Die Hochachtung, die ihm als Pfarrer entgegengebracht wurde. Die Eloquenz und Klugheit, mit der er imponierte. Er war in Salzgitter ein angesehener Mann, immer freundlich und hilfsbereit. Staatsanwaltin Ute Lindemann beschreibt Andreas L. in ihrem Pladoyer als einen, der Menschen erreichen konnte mit einer besonderen Empathie und einer unkonventionellen Art, der einen "besonderen Draht" zu Jugendlichen hatte. Nach allen Schwierigkeiten, die er im Leben hatte, weil er immer der Au?enseiter, der Exot war, kam er als Kaplan und spater als Pfarrer "in der Rolle seines Lebens" an.

Fur viele in der Gemeinde sei es eine Ehre gewesen, mit dem Pfarrer befreundet zu sein, konstatierte Lindemann. Wie muss sich die enge Bindung da fur die Mutter der beiden Bruder angefuhlt haben? Sie, die sich aufopfert in der Gemeindearbeit, selbst glaubig ist. Was muss es fur ein Schock gewesen sein, als sie erfuhr, dass er einen ihrer Sohne in ihrem eigenen Haus missbrauchte - und sich an dem anderen im Urlaub verging, wahrend sie mit ihrem Mann im Hotel im Nachbarzimmer schlief.

"Erzahl nichts davon, sonst komm ich ins Gefangnis"

Von den zwei Gesichtern des Pfarrers ahnte sie nichts. Der Leiter der Sonderkommission hatte vor Gericht die manipulativen Fahigkeiten des Geistlichen beschrieben, der charismatisch auftreten und ebenso arrogant und kaltschnauzig sein konnte. So hatte er der Frau, die ihn spater anzeigte, einmal Vorhaltungen gemacht, was fur eine schlechte Mutter sie sei. Am selben Tag verging er sich an ihrem Sohn.

Die Kinder hatten keine Chance. Mit Geschenken erkaufte sich Andreas L. einen besonderen Platz im Leben seiner Opfer. Er gab ihnen Taschengeld, das sie sich personlich im Pfarrhaus abholen mussten. Einem Jungen scharfte er nach dem Missbrauch ein: "Erzahl nichts davon, sonst komm ich ins Gefangnis."

Erwahnenswerte Traumata seien bei den Kindern bisher nicht erkennbar, sagten die Mutter aus. Doch "irgendwann werden sie daran zu tragen haben", sagt Staatsanwaltin Lindemann.

Als die Mutter der beiden Bruder vor Gericht sitzt, spurt Andreas L., dass sie noch nicht ganz mit ihm gebrochen zu haben scheint. Er bittet sie, ihren Ehemann und die beiden Sohne um Vergebung - "fur alles, was ich getan habe".

In ihrem Pladoyer - in dem sie sechseinhalb Jahre Haft fordert - wirft die Staatsanwaltin dem Pfarrer vor, seine Opfer nicht um Entschuldigung gebeten zu haben - lediglich um Vergebung. "Ein klerikales Wort!", ruft sie und fragt ihn: "Wo bleibt das aufrichtige Wort der Scham, der Reue?" Im Gottesdienst sei ihm schlie?lich auch die Emotionalitat gelungen, sogar geweint haben soll er bei einer Predigt. Ins Publikum ruft sie: "Wann kapiert der Mann endlich, dass er nicht wegen praktizierender Nachstenliebe vor Gericht steht, sondern wegen schweren sexuellen Missbrauchs?"

Die Antwort gibt Andreas L. selbst. In seinem Schlusswort bittet er seine Opfer noch einmal um Vergebung. "Ich bereue aus ganzem Herzen", sagt er. Das Wort Entschuldigung geht ihm nicht uber die Lippen. Andreas L. verhalt sich, als habe er keine Schuld auf sich geladen.

In der kommenden Woche wird das Urteil gesprochen.

 

 

 

 

 




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