BishopAccountability.org
 
 

Italiens Kirche Will "Heilung Und Erneuerung"

The Zeit
February 9, 2012

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-02/missbrauch-rom-konferenz?commentstart=1#comments

Erstmals befasst sich der Vatikan offentlich mit Missbrauchsvorwurfen gegen Amtstrager. Doch die italienischen Bischofe vertuschen immer noch viele Falle.

Bischofe in der Kirche St. Ignatius in Rom wahrend der Missbrauchskonferenz der katholischen Kirche in der Kirche St. Ignatius in Rom wahrend der Missbrauchskonferenz der katholischen Kirche

Im offentlichen Leben Italiens genie?en katholische Wurdentrager immer noch hohes Ansehen. Entsprechend schwer tut sich die Kirche mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Doch so langsam tut sich was: In den Gemeinden wurden Missbrauchsfalle immer weniger verschwiegen, sagte neulich auch Charles J. Scicluna, Chefanklager der vatikanischen Glaubenskongregation, der italienischen Presseagentur AGI.

Als vor wenigen Jahren in ganz Europa Opfer von sexuellem Missbrauch ihre Stimme erhoben und ihre Peiniger in den Reihen der Kirche anzeigten, reagierte der Vatikan zunachst mit Emporung. Er vermutete eine Medienkampagne. Erst spater folgte ehrliche Selbstkritik. Neue Richtlinien werden gerade erarbeitet. Sie sollen Bischofen und Priestern helfen, kunftig bewusster mit moglichen Missbrauchsfallen in ihren Gemeinden umzugehen. Angehende Priester sollen eine bessere Ausbildung zum Thema Sexualitat erhalten. Die Diozesen werden au?erdem aufgefordert, entsprechende Ubergriffe starker zu bestrafen.

Der Vatikan wunscht Aufklarung, die italienischen Bischofe sind zogerlich

Gerade findet an der papstlichen Akademie Gregoriana in Rom erstmals eine Tagung der Glaubenskongregation zum Thema sexueller Missbrauch durch Priester statt. "Auf dem Weg zur Heilung und Erneuerung" lautet der Veranstaltungstitel. Dabei soll die Wirksamkeit solcher Ma?nahmen diskutiert werden. Uber zweihundert Geistliche und Laien sind eingeladen, offentlich uber Missbrauch durch Wurdentrager zu reden – ein Thema, zu dem bis vor zehn Jahren, vor allem in Rom, nur geflustert wurde.

Dieser Tabubruch ist vor allem durch die offentlichen Auseinandersetzungen bedingt, die es zum Beispiel in Deutschland und Irland zum Thema sexueller Missbrauch gab. In beiden Landern suchte die katholische Kirche Kontakt zum Staat, ein neutraler Runder Tisch mit Opfervertretern wurde eingerichtet. "In erster Linie geht es darum, den Opfern zuzuhoren", sagt auch Hans Zollner, Psychologieprofessor an der Gregoriana: "So, wie es zum Beispiel in den letzten Monaten in Irland passiert ist."

Doch in Italien ist kein neutraler runder Tisch in Sicht. Zwischen den italienischen Behorden und der Kirche gibt es enorme Kommunikationsprobleme. Ein Grund ist die italienische Bischofskonferenz CEI, die bei der Aufklarung der Missbrauchsfalle in den eigenen Reihen eher zuruckhaltend agiert. Und das obwohl der ihr ubergeordnete Vatikan sich dem Thema langsam offnet.

Eine unabhangige Untersuchungskommission wird es nicht geben

So mag es ein Zufall sein, aber bei der aktuellen Konferenz nehmen nur Vertreter zweier relativ kleiner Diozesen teil: Citta di Castello und Pitigliano-Sovana. Zwar hat die CEI schon angekundigt, dass sie im Mai die vom Vatikan vorgeschlagenen Richtlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch implementieren wird. Doch eines ist sicher: In Italien wird es keine unabhangige Untersuchungskommission wie in Irland geben.

"Ich wurde mir wunschen, dass die CEI doch eine Untersuchungskommission einberuft", sagt Don Fortunato Di Noto. Seit zwanzig Jahren leitet er die Kinderhilfsorganisation Meter. An der Gregoriana-Tagung nimmt er deshalb in doppelter Funktion teil: als Priester und als Bekampfer der Padophilie. "Im Symposium wurde mehrmals angedeutet, dass viele Bischofe die Missbrauchsfalle in ihrer Diozese nicht rechtzeitig gemeldet haben. Da sieht man, wie wichtig eine bessere Kommunikation zwischen der Kirche und den Strafverfolgungsbehorden ist. Vor allem in Italien, wo Kindermissbrauch nach zehn Jahren verjahrt", sagt Di Noto.

Doch auch die Opfer werden noch nicht genugend einbezogen. Die verschiedenen mit dem Thema befassten Organisationen koordinieren nur ansatzweise. Oft stammen Sensibilisierungs-Initiativen von einzelnen Betroffenen; sie sind auf die Generierung von Offentlichkeit durch die Massenmedien angewiesen.

Der 37 Jahre alte Francesco Zanardi ist ein prominentes Beispiel: Mit 14 wurde er von einem Priester missbraucht. "Ich wollte nie daruber sprechen", erzahlt Zanardi ZEIT ONLINE. Doch Jahre spater, als er in der Diozese von Savona arbeitete, traf er wieder seinen Peiniger. "Ich konnte es nicht glauben: Er arbeitete in einem Zentrum fur schwererziehbare Jugendliche. Ein Wolf im Schafspelz. Da erfasste mich blinde Wut."

Zanardi meldete den Priester beim zustandigen Bischof, doch nichts passierte. Das war 2001. Daraufhin begann der junge Mann einen einsamen Kampf gegen die Diozese zu fuhren. In den vergangenen zehn Jahren ist er vor Gericht gezogen, hat Hungerstreiks abgehalten und ist 500 Kilometer von Savona bis nach Rom marschiert, um mit dem Papst zu sprechen. Erst nach elf Jahren – am vergangenen Samstag – wurde der Priester von einem Gerichtshof verurteilt: Gegen ein Gestandnis wurde er lediglich zu anderthalb Jahren Gefangnis verurteilt.

Zanardis lautstarker Protest erwies sich als sehr medientauglich. Fur einen besseren Dialog zwischen Kirche und Opfern war er allerdings alles andere als hilfreich. Die meisten Opfer meiden namlich die Offentlichkeit – vor allem in Italien, wo Geistliche traditionell ein hohes Ansehen genie?en. Eine Anklage gegen einen Priester kann sich hier sehr schnell in einen Bumerang umwandeln.

"Seit Jahren ist kein Bischof zu mir gekommen"

2004 schlug der Fall von Marco Marchese hohe Wellen: Ein Priesteranwarter, der einen Vorgesetzten wegen sexuellen Missbrauchs verklagt hatte. Denn die Diozese von Agrigento verklagte daraufhin Marchese: Wegen Verleumdung, sie forderte 200.000 Euro Entschadigung. Erst drei Jahre spater gestand der angeklagte Priester seine Ubergriffe. Marchese wurde eine Entschadigung in Hohe von 65.000 Euro zugesprochen.

Es ist au?erdem nicht ungewohnlich, dass eine Kirchengemeinde einen vermutlichen Padophilen in Schutz nimmt, wenn er einen Talar tragt. Vor einem Jahr geschah dies fast gleichzeitig in den norditalienischen Stadten Alassio und Brescia. In beiden Fallen demonstrierten Hunderte gegen die Inhaftierung von zwei Priestern, die Kinder missbraucht haben sollen: Es wurden Fackelzuge und Abendgesellschaften veranstaltet, mit dem Segen der Diozese. In Brescia demonstrierten die Glaubigen noch, nachdem das Berufungsgericht die siebenjahrige Haftstrafe fur den Tater bestatigt hatte.

Anstatt also den Kontakt zu den Opfern zu suchen, scheint die italienische Kirche vornehmlich mit Selbstverteidigung beschaftigt zu sein. Da kein neutraler Dialog moglich ist, ist die Auseinandersetzung uber das Thema sexueller Missbrauch durch Geistliche in einen Grabenkrieg zwischen Glaubigen und Nicht-Glaubigen umgeschlagen.

"Seit Jahren ist kein Bischof mit einem Vorwurf gegen einen seiner Untergebenen zu mir gekommen. Kein einziges Mal“, sagte 2010 Pietro Forno, Richter und Chef einer speziellen Einheit gegen Kindesmissbrauch, der italienischen Tageszeitung Il Giornale: "Das ist schon schrecklich. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Priester, der Kinder missbraucht, gleichzeitig auch sein spirituelles Amt missbraucht."

Ein Bischof, der uber solche Falle in seiner Diozese erfahrt, ist nicht gezwungen zur Polizei zu gehen. Die Sicherheitsbeamten mussen au?erdem erst eine Genehmigung des Bischofs einholen, wenn sie eine kirchliche Einrichtung durchsuchen wollen.

Fornos Aussagen gefielen der italienischen Kirche offensichtlich nicht. Zwei Tage nach dem Interview leitete das italienische Justizministerium ein Disziplinarverfahren gegen den Richter ein.

Es mag wiederum Zufall sein, aber gerade in den letzten Jahren haben zumindest vier Priester, die wegen sexuellem Missbrauch in der Schweiz, England und USA verurteilt worden waren, Zuflucht in der Wiege des italienischen Katholizismus gesucht. Der Weg zur "Heilung und Erneuerung" der Kirche ist in Italien immer noch sehr lang.

 

 

 

 

 




.

 
 

Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.