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Strukturen Der Sunde

By Daniel Deckers
Frankfurter Allgemeine
February 10, 2012

http://www.faz.net/aktuell/politik/katholische-kirche-strukturen-der-suende-11643997.html

Begleitgottesdienst zum Symposium „Auf dem Weg zu Heilung und Erneuerung“

Wo sollte der Gedanke ferner liegen, von einem historischen Ereignis zu sprechen, wenn nicht im Blick auf die katholische Kirche, in deren kulturellem Langzeitgedachtnis die Erfahrungen der Menschheit seit zweitausend Jahren gespeichert sind? Und doch drangt sich diese Kategorie in diesen Tagen auf. Denn das Symposion „Auf dem Weg zu Heilung und Erneuerung“, das am Donnerstag in der Papstlichen Jesuitenuniversitat Gregoriana in Rom zu Ende ging, sprengte in Form und Inhalt alles, was sich seit Menschengedenken im Schatten des Vatikans abgespielt hat: Annahernd zweihundert Kardinale, Bischofe, Ordensobere, Theologen und Wissenschaftler aus mehr als hundert Landern gingen fast vier Tage lang miteinander daruber zu Rate, was weltweit aus dem Skandal sexueller Ubergriffe von Geistlichen auf Minderjahrige und Schutzbefohlene zu lernen sei.

Im siebten Jahr des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass der Papst und seine engsten Mitarbeiter verstanden haben, welche Zerstorungskraft dem sexuellen Fehlverhalten des Klerus innewohnt. So ist das Kirchenrecht auf Veranlassung des Papstes so modifiziert und mit Sanktionsmoglichkeiten versehen worden, dass die Hoffnung nicht unbegrundet ist, es moge eine generalpraventive Wirkung entfalten. Alle Bischofskonferenzen sind au?erdem dazu aufgerufen, Leitlinien zum Umgang mit Fallen sexuellen Missbrauchs einschlie?lich eines Praventionskonzeptes zu erarbeiten.

Eine Krahe hackt der anderen kein Auge aus

Doch wird es auch in der Kirche nicht damit getan sein, dass alle guten Vorsatze zu Papier gebracht werden. Wo es am Willen und der Energie fehlt, diese auch kompromisslos in die Tat umzusetzen und sich an die Regeln und Normen zu halten, werden sich Kinderschander und andere Gewalttater im Raum der Kirche auch weiterhin relativ sicher fuhlen konnen.

Deshalb fuhrt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass die fast unbeschrankte Autonomie des einzelnen Bischofs, wie sie sich unter dem Eindruck des Zweiten Vatikanischen Konzils herausgebildet hat, auch ihre Schattenseiten hat. Wenn, wie nicht nur in Irland geschehen, einzelne Bischofe Selbstverpflichtungen der Bischofskonferenz ignorieren, oder wie in den Niederlanden und in Deutschland bis in die jungste Zeit vorgekommen, Kandidaten, die in dem einen Bistum aus guten Grunden nicht zur Weihe zugelassen werden, in einem anderen umstandslos akzeptiert werden, dann muss in der katholischen Kirche die Verfassungsfrage gestellt werden.

Allzu oft ist in Fallen wie diesen nach dem Motto verfahren worden, dass eine Krahe der anderen kein Auge aushackt. Doch so kann es nicht weitergehen. Auch Bischofe mussen fur ihr Tun und Lassen intern wie offentlich starker Rechenschaft ablegen und zur Rechenschaft gezogen werden konnen, als es das Kirchenrecht bislang vorsieht - und zwar auch ohne den Druck der Offentlichkeit. Wie das geschehen soll, steht jedoch auch nach der romischen Tagung in den Sternen.

Ordensfrauen besonders gefahrdet

Auf weitgehend unerforschtes Terrain begibt sich die Kirche aber auch mit dem Bestreben, in die „Lernkurve“, die in den Kirchen in Nordamerika und Westeuropa mit dem Begriff „sexueller Missbrauch“ verbunden ist, alle Kirchen weltweit einzubeziehen. In vatikanischen Statistiken tauchen kulturelle oder historische Variablen nur umrisshaft auf. So ist Padophilie im strengen Sinn - sexuelles Verlangen nach prapubertaren Kindern - wohl uberall eine au?erst seltene Krankheitsform. Die meisten Priester und Ordensleute, die wegen sexueller Gewalt belangt wurden, haben sich an pubertaren und postpubertaren Jugendlichen vergangen. In etwa zwei Drittel der Falle waren die Opfer Manner. Dieser Befund wiederum verweist auf eine mehr oder weniger ausgepragte homosexuelle Subkultur innerhalb des katholischen Klerus, allen voran in Mannerorden.

Signifikant anders stellt sich die Lage in Afrika, Asien und auch in Lateinamerika dar. Nach allem, was man wei?, sind die meisten Opfer sexueller Gewalt auf diesen Kontinenten Madchen, denen von Familienangehorigen Gewalt angetan wird. Missbrauchsmuster, wie sie sich in der Kirche in Europa und Nordamerika zeigen, sind freilich keineswegs unbekannt. Doch dramatischer noch, da offenbar weit haufiger als sexuelle Ubergriffe auf Kinder und Jugendliche, ist in Afrika, Asien und Lateinamerika die Missachtung des Zolibatsversprechens. In manchen Regionen scheinen konkubinatsahnliche Lebensformen die Regel zu sein, nicht die Ausnahme. Besonders gefahrdet sind indes Ordensfrauen. In Afrika sind sie im Zeitalter von Aids in einem Ma? zu Opfern eines mannlichen Klerus geworden, das jede Vorstellungskraft ubersteigt.

Auch vor diesem Hintergrund muss das Symposion in Rom ein historisches genannt werden. Denn niemals zuvor wurde so ausfuhrlich, so offen und so ehrlich uber Strukturen der Sunde in der Kirche gesprochen wie in den vergangenen Tagen. Doch welche Institution, auch diese Frage muss erlaubt sein, sollte nicht schon um ihrer selbst und ihres Auftrags willen auch den Mut und die Kraft haben, nicht nur den Splitter im Auge des anderen zu sehen, sondern auch den Balken im eigenen?

 

 

 

 

 




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