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Theologe Fordert Ende Des Zwangszolibats

dradio
February 10, 2012

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[with audio]

Wie lasst sich sexueller Missbrauch in der Kirche verhindern? (Bild: AP)

In der Diskussion uber Missbrauchsfalle in der Kirche fordert der Psychotherapeut und Theologe Wunibald Muller, einen offenen und selbstverstandlichen Umgang mit der Sexualitat. Zudem pladiert er dafur, die Homosexualitat von Priestern offen anzuerkennen und den Zolibat aufzuheben.

Jorg Degenhardt: Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche vor zwei Jahren in eine tiefe Krise gesturzt. Vor allem in Irland, den USA, Belgien und Deutschland wurden seinerzeit zahlreiche Falle bekannt. Der Papst hat den Kampf gegen diese - wie er sagt - Sunde in der Kirche zur Prioritat erklart. In Rom hat es an der Papstlichen Universitat eine internationale Konferenz dazu gegeben, vornehmlich zu der Frage, wie Missbrauchsfalle weiter aufgearbeitet und kunftig verhindert werden konnen. Gestern ging sie zu Ende - bevor wir daruber reden, fasst Tilmann Kleinjung die Ergebnisse zusammen.

((O-Ton))

Tilmann Kleinjung aus Rom zum Abschluss der Konferenz gegen Missbrauch an der Papstlichen Universitat. Mitgehort hat Wunibald Muller, katholischer Theologe und Psychologe. Er leitet das Recollectio-Haus in der Abtei Munsterschwarzach und gilt als bekanntester therapeutischer Begleiter sexuell gestorter Priester. Guten Morgen, Herr Muller!

Wunibald Muller: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Hat die Kirche mit Rom - wir haben gerade den Bericht gehort - den richtigen Weg eingeschlagen, um neuerlichen Missbrauchsfallen vorzubeugen?

Muller: Ich glaube, das kann man eindeutig sagen, dass sie zumindest den Weg eingeschlagen hat. Die Tone, die man jetzt hort, wenn man die vergleicht mit dem, was man vor zehn, 15 Jahren noch gehort hat, klingen ganz anders. Und sie weisen darauf hin, dass die Kirche hier wirklich sich auf den Weg zur Heilung und Erneuerung begeben hat.

Degenhardt: Dennoch, was hat Ihnen gefehlt in Rom?

Muller: Was hat mir gefehlt? Gut, ich denke, es ist der nachste Schritt, der im Moment wichtig ist, dass man sich, nachdem man zum Beispiel vor zehn Jahren auch eine Konferenz hatte in Rom, die sich vor allem mit den Tatern befasst hat, jetzt vor allem die Opfer im Blickpunkt hatte. Der nachste Schritt ist sicher, genauer hinzuschauen, was war es denn gewesen, dass wir uns in der Vergangenheit so verhalten haben, dass Priester tatsachlich nicht angemessen ausgebildet wurden, dass zum Beispiel auch wir nicht sensibel genug waren fur die Opfer. Hat es was mit unseren Strukturen zu tun? Und der nachste Schritt ware sicher gewesen und ist jetzt sicher, daran dran zu gehen: Wo gibt es strukturelle Bedingungen, die dazu beigetragen haben, dass das, was in der Vergangenheit geschehen ist, geschehen konnte?

Degenhardt: Es gibt Moraltheologen, die sehen im Missbrauchsskandal ein Systemversagen der Kirche. Wurden Sie auch so weit gehen?

Muller: Es ist zumindest ein Teil davon, genau was das Thema Klerikalismus angeht, also dieses von oben nach unten, das Ausschlie?en der Laien bei entscheidenden Fragen - zum Beispiel auch der Frauen -, hat sicher auch mit dazu beigetragen, dass wir uns in der Vergangenheit im Falle sexuellen Missbrauchs so verhalten haben.

Degenhardt: Und was musste denn noch daraus folgen, aus diesem Systemversagen? Etwa auch eine starkere Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen bei der Aufklarung?

Muller: Das auf alle Falle, und ich denke, das ist ja auch bei dieser Konferenz jetzt noch mal erneuert worden, das ist ja auch bei uns in Deutschland inzwischen, denke ich, weitgehend so, dass das eindeutig geklart ist, was da stattfinden muss. Ich glaube, in anderen Staaten gilt das noch nicht.

Degenhardt: Wie ist das mit der Kultur des Schweigens? Wir haben es gerade gehort, da war von einer echten Wende die Rede. Beobachten Sie das auch in ihrer taglichen Praxis, dass diese Kultur des Schweigens, wenn man etwas beobachtet, was nicht der Normalitat entspricht, dass diese Kultur des Schweigens so nicht mehr vorhanden ist?

Muller: Sie ist so nicht mehr vorhanden, aber es geht nur ganz langsam vonstatten, man muss naturlich da bedenken, dass ist nicht nur ein kirchliches Problem, es ist naturlich ein gesellschaftliches Problem. Aber ich glaube, gerade an der Stelle hat die Kirche sogar so etwas wie eine Vorreiterrolle ubernommen, wo auch andere Bereiche, auch andere Organisationen sich ein Vorbild dran nehmen konnten.

Degenhardt: Muss die Kirche nicht auch und starker noch ihr Verhaltnis zur Sexualitat andern, speziell zur Homosexualitat, ohne dass ich jetzt einen Zusammenhang herstellen will zur Padophilie?

Muller: Auf alle Falle. Ich denke, hier muss man sicher genau hinschauen. Das ist das, was ich dachte, das ware jetzt dran, dass man schaut: Wie weit hat - ohne dass wir das wollen - die Lehre der katholischen Kirche zum Thema Sexualitat, zum Thema Homosexualitat, nicht jetzt direkt, aber indirekt - mit dazu beigetragen, dass so viele Priester sich auch sexuell an Kindern vergriffen haben? Ich denke, das ist neben der anderen Situation, dass man auch noch uberlegen muss, wie weit man die Frauen mehr bei Entscheidungen mit ins Boot nehmen kann, als nachster Schritt notwendig ist anzugehen.

Degenhardt: Kann man sagen, wenn Frauen Priester werden konnten, wurde das die Missbrauchsgefahren reduzieren oder ware das jetzt ein zu banaler Zusammenhang?

Muller: Also es ist naturlich so, dass wenn man hinschaut, wer wird denn missbrauchlich tatig, dann sind es naturlich vor allem Manner und es sind ganz wenig Frauen, von daher gibt es da sicher einen Zusammenhang. Aber einen anderen Zusammenhang wurde ich darin sehen, dass naturlich dadurch Frauen auch mehr in Leitungsfunktionen innerhalb der Kirche kamen, mit dem Ergebnis, dass dann Frauen auch bei Entscheidungen zum Beispiel: Wie geht man um mit Priestern, die Minderjahrige missbrauchen? Auch: Wie ist man wirklich auch sensibel fur die Opfer, dass ich da glaube, die Frauen manchmal den Mannern voraus sind. Und in der Vergangenheit hatten die Frauen mehr mitreden konnen, auch in verantwortlichen Positionen. Ich glaube, das eine oder andere an schlechtem Verhalten, an unverantwortlichem Verhalten hatte verhindert werden konnen, gerade auch im Umgang mit den Opfern.

Degenhardt: Muss man uberhaupt nicht genauer hinschauen, wer uberhaupt Priester werden darf, wer Priester werden soll? Und die Frage ist naturlich auch, wer da genauer hinschauen soll.

Muller: Da muss man sicher genauer hinschauen, da ist allerdings in den letzten zehn bis 15 Jahren Vieles passiert, dass also auch Psychologen, Psychologinnen mit einbezogen werden, dass Tests mit einbezogen werden, dass inzwischen auch viele Kandidaten, die sagen, ich mochte Priester werden, nicht angenommen werden, weil man von vornherein sagt, das ist uns zu heikel, das konnen wir nicht verantworten.

Degenhardt: Glauben Sie denn, dass unter dem derzeitigen Papst, unter Benedikt XVI. in dieser Frage also ein neues Verhaltnis zur Sexualitat, ein neues Verhaltnis zur Homosexualitat, dass da in Zukunft mehr passiert, oder sind da Ihre Erwartungen doch eher gedampft?

Muller: Also wo ich den Papst sehr gut finde, ist, dass er das mit dem Thema sexuellen Missbrauchs sehr ernst nimmt. Er war auch derjenige gewesen, der 2003 mit dafur war, dass auch Experten hier mit ins Boot genommen werden, und dass er wirklich auch die Angelegenheit jetzt sehr ernst nimmt, was jetzt Veranderungen im Bereich Sexualitat angeht, das erwarte ich mir jetzt von dem augenblicklichen Papst nicht.

Degenhardt: Was wurden Sie sich denn wunschen? Was muss da als Allernachstes passieren?

Muller: Also zunachst einmal, dass wir viel offener und viel selbstverstandlicher von der Sexualitat reden, dass die Schieflage, die in der katholischen Kirche bezuglich der Sexualitat entstanden ist, dass die Sexualitat so grundsatzlich ein Geschmackle hat, etwas Negatives ist, dass die wegfallt, dass man daruber hinaus naturlich auch sagt, wir haben Priester, die zolibatar leben, aber es ist auch wichtig, dass wir Priester haben, die zum Beispiel in einer Beziehung leben, die in einer Ehe leben und auch diese Weise auch Sexualitat vorleben konnen. Dass wir auf der anderen Seite auch unsere homosexuellen Priester wurdigen, dass wir davon ausgehen und dazu stehen, dass viele unserer Priester homosexuell sind und dass das sehr gute Priester sind.

Weil dann, wenn wir zum Beispiel so tun, als ware das nicht der Fall, und jemand, der jetzt homosexuell ist, uberhaupt nicht mehr zum Priester geweiht werden kann, das sind ja dann moglicherweise genau diejenigen, die nicht erwachsen mit ihrer eigenen Homosexualitat umgehen und dann mitunter genau zu denen werden konnen, die gefahrlich werden konnen, was jetzt sexuellen Missbrauch betrifft.

Degenhardt: Wunibald Muller, katholischer Theologe und Psychologe. Die katholische Kirche und das Problem des sexuellen Missbrauchs. Ich bedanke mich fur das Gesprach!

Muller: Bitte schon, Herr Degenhardt, noch einen schonen Tag!

Degenhardt: Danke, Ihnen auch!

 

 

 

 

 




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