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Aufdecken Und Aufarbeiten

By Mathhias Gierth
dradio
February 13, 2012

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kommentar/1674842/

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Jesus am Kreuz (Bild: Stock.XCHNG / Robert Aichinger)

Der Missbrauchsskandal halt die katholische Kirche seit Jahren fest im Griff. Immer ungeheuerlichere Einzelheiten kamen in zahlreichen Landern und Kontinenten an den Tag. Es sind erschutternde Details von Verbrechen an Kindern, Jugendlichen, Schutzbefohlenen.

Jene, die besonderer Fursorge und Zuwendung bedurft hatten, die Kleinsten, wurden Opfer verantwortungsloser Kleriker und kirchlicher Mitarbeiter. Das Neue Testament halt dafur nur eine Warnung bereit: "Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bosen verfuhrt", hei?t es im Lukasevangelium, "fur den ware es besser, wenn er mit einem Muhlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt wurde."

Der Satz ist in dieser Woche auch in der romischen Jesuitenkirche Sant' Ignazio verlesen worden. Zuhorer waren 220 Abgesandte von Bischofskonferenzen und Ordensoberen aus aller Welt. Der Bu?gottesdienst in Sant' Ignazio war Teil einer internationalen Tagung an der Papstlichen Universitat Gregoriana in Rom uber sexuellen Missbrauch. Ihr Titel: "Auf dem Weg zu Heilung und Erneuerung".

Man wird nicht bestreiten konnen, dass die katholische Kirche diesen Weg tatsachlich eingeschlagen hat. Der Vergangenheit gehoren vielerorts die Zeiten an, da die Vergehen in Pfarrhausern und Ordinariaten ohne Weiteres verschwiegen und vertuscht werden konnten. Da vorgesetzte Geistliche sich um den Ruf ihrer Kirche mehr scherten als darum, was wenigstens Menschlichkeit und Anstand verlangt hatten: die kompromisslose Uberantwortung der Tater an die Strafjustiz, ihre sofortige Entfernung aus dem Klerikerstand.

Doch halt! Sind die Zeiten wirklich vorbei? In Landern wie Deutschland scheint dies - nach allem, was man sagen kann - der Fall zu sein. Die katholische Kirche hat hierzulande klare, scharfe Regeln im Umgang mit Missbrauchstatern erlassen. Sie hat unabhangige Missbrauchsbeauftragte in allen Bistumern installiert. Sie unterstutzt und entschadigt Opfer. Und sie engagiert sich fur Pravention wie keine andere offentliche oder private Institution.

Doch die jetzige Konferenz in Rom hat auch aufgedeckt: Die katholische Kirche ist langst nicht in allen Erdteilen so weit. In etlichen Landern Afrikas, Sudamerikas oder in Indien gibt es immer noch Bischofe und Ordensleute, die meinen, die Missbrauchsthematik gehe sie nichts an.

Dass der Vatikan an seiner kompromisslosen Linie festhalt, dass beschlossene Ma?nahmen auch umgesetzt und auf Wirksamkeit uberpruft werden, ist daher das Gebot der Stunde. Bis Mai hat die romische Glaubenskongregation alle Bischofskonferenzen und Ordensgemeinschaften verpflichtet, Leitlinien fur den Umgang mit Fallen sexuellen Missbrauchs zu erstellen. Langst nicht uberall ist man dieser Pflicht bislang nachgekommen.

Und doch bleibt auch im eigenen Land, in Deutschland, fur die katholische Kirche manches zu tun. Als das Erzbistum Munchen 2010 eine unabhangige Rechtsanwaltskanzlei beauftragt hatte, Personalakten aus den Jahren 1945 bis 2009 auf Missbrauchstatbestande hin zu untersuchen, da bemangelte die federfuhrende Rechtsanwaltin bei der Vorstellung ihres Abschlussberichts: Die Wurzeln, "selbst gravierende Vergehen unaufgeklart und ungesuhnt" zu lassen, lagen in einem - Zitat - "fehlinterpretierten klerikalen Selbstverstandnis".

Auch der Jesuit Klaus Mertes, der ehemalige Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, der die Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Kirche Deutschlands vor zwei Jahren anstie?, hat immer wieder gemahnt: Die Kirche darf nicht beim erreichten Aufarbeitungsstand stehen bleiben. Tater bestrafen, Richtlinien formulieren, Opfer entschadigen ist das Minimum an Reaktion. Aber ohne selbstkritische Auseinandersetzung mit der katholischen Moral- und Sexualitatslehre, ohne Auseinandersetzung mit den Herrschafts- und Kommunikationsstrukturen in der katholischen Kirche, wird sich Missbrauch dauerhaft nicht besiegen lassen.

Es sind eben nicht nur Menschen, die in der Kirche schuldig geworden sind, es ist die Kirche selbst, die versagt hat. Die Theologie nennt das "strukturelle Sunde".

Zu einer das eigene Lehr- und Organisationsgebaude infrage stellenden Analyse fehlt dem Vatikan wie vielen Bischofen weiterhin der Mut. Die Tagung in Rom uber sexuellen Missbrauch kann daher allenfalls als Zwischenetappe eingehen auf dem steinigen Weg der Aufarbeitung eines unerhorten Skandals.

 

 

 

 

 




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