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" Vom Pastor Zum Psychiater Und Dann Zum Chirurgen"

The Welt
March 20, 2012

http://www.welt.de/politik/ausland/article13933138/Vom-Pastor-zum-Psychiater-und-dann-zum-Chirurgen.html

Die Heilige Schrift mit Kerze

In den Niederlanden soll die Kirche in den 50ern Jungen in ihrer Obhut kastriert haben – angeblich, um deren Homosexualität zu heilen. Ohne das Einverständnis der Eltern.

Die Aufregung um den Missbrauchskandal in der katholischen Kirche in den Niederlanden legt sich nicht – im Gegenteil: Am Wochenende löste ein Bericht des liberalen "Handelsblads" aus Rotterdam neuen Wirbel aus.

Wie das Blatt enthüllte, soll die katholische Kirche des Landes für die Kastration minderjähriger Jungen in ihrer Obhut verantwortlich sein. Die Eingriffe reichen in die 50er Jahre zurück und angeblich wollten die Verantwortlichen die Knaben dadurch von ihren homosexuellen Neigungen "heilen". Bei den Opfern handle es sich um Minderjährige, so der Bericht, die zuvor in katholischen Schule und Internaten von Kirchenangehörigen sexuell missbraucht worden seien.

Eingriffe in psychiatrischen Kliniken, die sie selbst betrieb

Die Zeitung "De Limburger" will herausgefunden haben, dass die Kirche die Eingriffe in psychiatrischen Kliniken vornehmen ließ, die sie selbst betrieb. Auch sollen die Verantwortlichen vor den Eingriffen nicht das Einverständnis der Eltern eingeholt haben.

Politiker, Opferverbände und auch die katholische Kirche in den Niederlanden reagierten geschockt auf die Medienberichte. Nachdem nun auch noch bekannt wurde, dass die niederländischen Gesundheitsbehörden von den Fällen wussten und trotzdem nicht eingeschritten waren, fordern Abgeordnete jetzt eine parlamentarische Debatte.

Dabei sind die Vorwürfe keineswegs neu: Henk Heithuis hat sich schon 1956 bei der Polizei gemeldet. Der damals Zwanzigjährige hatte als Minderjähriger ein Knabeninternat in der östlichen Provinz Gelderland besucht und war dort laut seiner Zeugenaussage Opfer von Missbrauch geworden.

Als er sich damals an seine Betreuer wandte, sollen die ihn, statt ihm zu helfen, in eine psychiatrische Einrichtung gebracht haben. In Boekel, einem Ort unweit der deutschen Grenze, kam es dann zu dem folgenschweren Eingriff: Henk Heithuis wurde in der katholischen Klinik kastriert. "Für die Jungs ging es vom Pastor zum Psychiater und von dort weiter zum Chirurgen", beschreibt der Enthüllungsreporter Joep Dohmen den Leidensweg der Opfer.

"Kein Bedarf an weiteren Nachforschungen"

"Sollten sich die Informationen bestätigen, wäre dies ein schweres Vergehen, das von der Kirche verurteilt würde", sagte der Sprecher der niederländischen Bischofskonferenz. Weil auch in Holland immer wieder Missbrauchsfälle durch Mitarbeiter der römischen Kirche bekannt wurden, setzte das Hager Parlament im vergangenen Jahr eine spezielle Untersuchungskommission unter Führung des ehemaligen Bildungsministers Wim Deetman ein.

Obwohl die Kommission auch über die Kastrations-Vorwürfe informiert worden war, tauchte nichts davon in ihrem Bericht auf. Das zumindest behauptet Cornelius Rogge, der über das Schicksal des frühzeitig verstorbenen Henk Heithuis Bescheid wusste – und bei Deetmann auf taube Ohren stieß.

Man habe ihm gesagt, es bestehe "kein Bedarf an weiteren Nachforschungen". Auch die Rolle des früheren Premiers Vic Marijnen findet in dem Bericht keinerlei Erwähnung. Der Christdemokrat war vorher Direktor des katholischen Internats in Gelderland gewesen, wo auch Heithuis missbraucht worden war.

Das Parlament hat nun offenbar vor, Deetman als Vorsitzenden der Untersuchungskommission einzubestellen. Aber nicht nur auf diejenigen, die die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufklären sollten, fällt ein Schatten. Die ganze Affäre erhält noch deutlich mehr Brisanz durch Gesprächsprotokolle, die belegen, dass die niederländischen Behörden zur fraglichen Zeit Kenntnis von den Praktiken der katholischen Kirche gehabt haben sollen.

So wussten angeblich nicht nur die Gesundheitsbehörden Bescheid, die die psychiatrischen Kliniken überwachen sollten; auch die Justiz soll über die chemischen und chirurgischen Kastrationen und Hormonbehandlungen zur Heilung homosexueller Neigungen informiert gewesen sein. Homosexualität war in den Niederlanden noch bis zu einer Gesetzesänderung 1971 eine Krankheit, die man heilen wollte.

Kirchen als Säulen der niederländischen Gesellschaft

In den Nachkriegsjahren galten die Kirchen traditionell als Säulen der niederländischen Gesellschaft. Protestanten und Katholiken verfügten jeweils über eigene Krankenhäuser, Schulen und Fernsehprogramme und ihre Deutungshoheit war unangetastet. So konnte es vermutlich hinter verschlossenen Türen zu Exzessen kommen, die nie untersucht worden sind. In St. Joseph, einer Einrichtung für geistig Behinderte Jungen in Heel, starben in den 50er Jahren 34 Kinder.

Die Staatsanwaltschaft rollt den Fall nun wieder neu auf und ermittelt, ob zwanzig von jenen Opfern möglicherweise sexuell missbraucht und anschließend von katholischen Priestern ermordet worden sind.

"Sie wurden alle zu einem bestimmten 'Sterberaum' mitgenommen", behauptet der ehemaliger Oberpfleger des Heims, Nico van Hout. Er informierte damals die Behörden, ohne Erfolg. Auch beim Mädcheninternat St. Anna in Heel häuften sich damals ungewöhnliche Todesfälle, 40 geistig Behinderte junge Mädchen unter zwölf starben.

Die Justiz hat inzwischen Kontakt zudem Familien der Opfer aufgenommen. Ein Sprecher erklärte aber bereits, dass eventuelle Straftaten verjährt seien. Unterdessen steigt der Druck auf das Parlament, eine neue Untersuchungskommission einzusetzen. Die Regierungskoalition allerdings weigert sich bislang noch – die Parteien haben ihre Machtbasis alle im katholischen Süden.




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