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Missbrauchsbeauftragter Kämpft Gegen DAS Vergessen

By Miriam Hollstein
The Welt
March 27, 2012

http://www.welt.de/politik/deutschland/article13949150/Missbrauchsbeauftragter-kaempft-gegen-das-Vergessen.html

Hartnäckig: Johannes-Wilhelm Rörig

Seit rund 100 Tagen ist Johannes-Wilhelm Rörig im Amt und erhält bei seiner Arbeit nur wenig Unterstützung. Bei der Telefonhotline des Missbrauchsbeauftragten melden sich täglich 25 Betroffene.

Johannes-Wilhelm Rörig ist ein geduldiger Mann. Einer, der sich von Absagen nicht irritieren lässt. Der ehemalige Arbeitsrichter verliert auch dann nicht die Ruhe, wenn er wieder einmal mit vorwurfsvollen Fragen konfrontiert ist. Geduld braucht der 52-Jährige bei seiner jetzigen Tätigkeit mehr denn je. Seit rund 100 Tagen ist Rörig der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs . Seither kämpft er dagegen, dass das Thema in Vergessenheit gerät.

Vor gut zwei Jahren, am 24. März 2010, beschloss die Bundesregierung die Einrichtung eines Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch". In den Wochen zuvor hatten immer weitere Enthüllungen über Missbrauchsfälle in katholischen und anderen Einrichtungen die Republik erschüttert.

Einen Monat später nahm die ehemalige Familienministerin Christine Bergmann ihre Arbeit als Unabhängige Beauftragte auf. Im vergangenen Herbst legte der Runde Tisch seinen Abschlussbericht vor. Zu den zahlreichen Empfehlungen gehörte die Einrichtung eines 100-Millionen-Euro-Hilfsfonds für die Opfer, verbunden mit einer Clearingstelle, die die Ansprüche schnell prüfen sollte. 50 Millionen sollten vom Bund, die andere Hälfte von den Ländern kommen. Die Clearingstelle gibt es bis heute nicht. Auch der Ausbau des Hilfesystems für Betroffene stockt.

Eine "schwierige Aufgabe" vorgefunden

Er habe „eine schwierige Aufgabe" vorgefunden, als er die Nachfolge von Christine Bergmann angetreten habe, sagt Rörig. Der Runde Tisch hat mit seinen Empfehlungen hohe Erwartungen aufgebaut. Aber er hat keine Verbindlichkeit für ihre Umsetzung geschaffen.

Offiziell ist Rörig als Missbrauchsbeauftragter nicht direkt für die Umsetzung zuständig. Sein Arbeitsauftrag lautet, die zuständigen Verbände und Organisationen dabei zu unterstützen, dass den Worten des Runden Tisches Taten folgen. Er hat dabei zwei Ziele: Die Hilfen für Opfer sexueller Gewalt sollen ausgebaut und die Strukturen in Vereinen, Kirchen, Kindergärten so verbessert werden, dass die Gefahr eines sexuellen Missbrauchs in diesem Umfeld minimiert wird.

Versuch der Verbindlichkeit

Gleichzeitig sollen die Mitarbeiter der Einrichtungen geschult werden, sexuellen Missbrauch in Familien schneller zu erkennen. Dafür trifft sich Rörig regelmäßig mit Vertretern von Kirchen und Dachverbänden wie dem Deutschen Olympischen Sportbund, der 91.000 Sportvereine in Deutschland vertritt.

Mit ihnen will Rörig eine Vereinbarung abschließen, in der sie erklären, dass sie die Umsetzung der Empfehlungen unterstützen. Es ist der Versuch, ein wenig Verbindlichkeit in die Sache zu bringen. Sanktionsmöglichkeiten hat Rörig keine.

Warten auf Termine und Berichte

Auch durch den Bundestag ist er in den vergangenen Wochen getourt, um für weitere politische Unterstützung für sein Anliegen zu werben. Denn die ist keinesfalls selbstverständlich. Bis heute wartet Rörig auf einen Bericht aus den fünf zuständigen Ministerien, was sich beim Ausbau der Hilfsangebote getan hat. Bislang hat er nur eine Sammelantwort bekommen, ein solcher Bericht habe aus zeitlichen Gründen noch nicht erstellt werden können.

Ein für Anfang März vereinbarter Termin im Sozialministerium, in dessen Zuständigkeit die Reform des Opferentschädigungsgesetzes fällt, wurde wieder abgesagt. Mit dem Familienministerium gab es Diskussionen, bei wem das für Herbst geplante Online-Portal angesiedelt sein soll – beim Ministerium oder bei Rörig.

Das ist erstaunlich, denn Rörig ist ein Mann des Hauses. Der Jurist war einst Büroleiter der damaligen Familienministerin Christine Bergmann und zuletzt Unterabteilungsleiter Jugend und Familie, ein Posten, den er für seine neue Tätigkeit zwei Jahren lang ruhen lässt.

Jeden Tag durchschnittlich 25 Anrufe

Noch immer gehen bei der Telefonhotline des Missbrauchsbeauftragten jeden Tag durchschnittlich 25 Anrufe ein. Seltener als früher rufen Opfer an, die sich ihre Missbrauchsgeschichte von der Seele reden wollen. Dafür haben die Mitarbeiter der Hotline es nun häufiger mit Betroffenen zu tun, die Hilfe in Anspruch nehmen wollen, aber nicht wissen wie.

Ihnen soll ab Herbst das neue Online-Portal weiterhelfen, das alle wichtigen Anlaufstellen auflistet. Im Herbst will Rörig zudem eine Kampagne starten, die sich an Eltern und Fachkräfte richtet. Sie sollen ermutigt werden, in Vereinen und Schulen nachzufragen, was dort zur Prävention getan wird.

Eine der Empfehlungen des Runden Tisches war die Einrichtung eines Fachbeirats beim Unabhängigen Beauftragten. Dieser ist vergangene Woche gegründet worden: Zu den 20 Teilnehmern zählen Vertreter von Ministerien, den Kirchen, aus der Wissenschaft und die ehemalige Missbrauchsbeauftragte Bergmann. Besonders wichtig war es Rörig, dass auch Missbrauchsopfer dabei sind.

Wachsende "Ungeduld" bei den Betroffenen

Mit ihnen hat sich Rörig bereits Ende Januar zu einem Jour Fixe getroffen. Man habe Rörig seine Entschlossenheit angemerkt, bei diesem Thema keine Ruhe zu geben, erzählten einige Teilnehmer hinterher. Rörig sagt, er spüre bei den Betroffenen eine wachsende „Ungeduld" darüber, dass noch nicht viel passiert sei.

Im Herbst wird sich der Runde Tisch noch einmal treffen, um zu prüfen, was aus den Empfehlungen geworden ist. Die Amtszeit von Rörig läuft Ende 2013 aus. Auf die Frage, was dann aus der Umsetzung der Empfehlungen wird, muss er die Antwort schuldig bleiben.




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