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An Ihren Taten Sollt Ihr Sie Erkennen

Humanistischer Pressedienst
April 17, 2012

http://hpd.de/node/13234


WIEN. (hpd) Die katholische Kirche tut wenig bis gar nichts, um die jahrzehntelange Gewalt an Kindern in ihren Einrichtungen aufzuklären. Zu diesem Befund kommt die österreichische Plattform Betroffene Kirchlicher Gewalt bei einer Pressekonferenz in Wien. Auch der Staat tue wenig.

Mindestens 40 Priester und Ordensleute, die sich körperlich, psychisch oder sexuell an Kindern vergangen haben, sind nach wie vor für die katholische Kirche in Österreich tätig. Das allein sei ein Zeichen, wie wenig die katholische Kirche tue, um mit der eigenen Verantwortung als Organisation zu Recht zu kommen, sagt Sepp Rothwangl, Sprecher der Plattform Betroffene Kirchlicher Gewalt: „In keinem der uns bekannten Fälle ist ein Beschuldigter, aber auch kein verurteilter römisch-katholischer Geistlicher laisiert, also aus dem Priesterstand entfernt, worden." Und das zwei Jahre, nachdem der Skandal um vor allem sexuelle Gewalt an Kindern in Österreich einen nie dagewesenen Höhepunkt erreichte und kaum ein Monat vergangen ist, in dem nicht neue Vorwürfe bekannt wurden.

Das kann ein Zufall sein, muss es nicht. Seit zwei Jahren ist die Plattform Anlaufstelle für hunderte Betroffene geworden. Sie vertrauen ihr eher als der so genannten Klasnic-Kommission, die von der katholischen Kirche eingesetzt wurde, um die Vorwürfe zu untersuchen und Betroffene zu entschädigen. So zumindest ihr Leitbild.

Glaubt man Rothwangl, wurde bislang eher das Gegenteil getan. Die Kommission „entschädigt Opfer mit Beträgen, die uns nicht nachvollziehbar sind und fällt Entscheidungen, die den Opfern gegenüber auch nicht begründet werden." Dann bringe sie den einen oder anderen Fall der Staatsanwaltschaft zur Anzeige, damit diese den „Schwarzen Peter" hat und aufgrund der geltenden Rechtslage nicht anders kann, als die Anzeige wegen Verjährung einzustellen. Ist damit der Sache Genüge getan?, kritisiert der Psychologe Holger Eich.

Die Frage, inwiefern die katholische Kirche als Organisation Verantwortung trage, habe sich bisher offenbar nicht gestellt. „Man tut so, als seien das lauter Einzeltäter gewesen", sagt Rothwangl. Einzeltäter, die über die Jahrzehnte tausende Kinder geschlagen, gedemütigt und vergewaltigt haben. „Alles, was wir über die Vorgänge in den Klöstern und Internaten gehört haben, weist darauf hin, dass die körperlichen Misshandlungen, die sadistischen Praktiken, die Provokation und Duldung von Misshandlungen schwacher Zöglinge durch Ältere – dass all dies nicht perverse Ideen Einzelner waren. Sie hatten System, sie waren Mittel, um den Willen der Kinder zu brechen, alles Eigene, alles Starke der Kinder zu vernichten: ihre Individualität, ihre Kritik- , ihre Genussfähigkeit, ihre Lust. Diese Praktiken dienen dazu, vor allem eines in die Hirne und Körper der Kinder einzupflanzen: Angst und – was für die römisch-katholische Kirche ja, wie wir derzeit immer noch hören, die höchste Tugend ist – Gehorsam", schildert Eich.

Täterorganisationen sollen aufklären

Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen im österreichischen Nationalrat, kritisiert, dass die Republik Österreich weiter so tue, als ginge sie das alles nichts an. Man habe es der katholischen Kirche überlassen, die Vorgänge aufzuklären. Jener Organisation, die die Verbrechen jahrzehntelang vertuscht habe. „Mit dem Wegschauen der Politik und dem daraus resultierenden Fehlen einer staatlichen Kommission wurde auf eine umfassende Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen verzichtet. Dazu kommt, dass die römisch-katholische Kirche nicht offensiv bei der Täterverfolgung mit den Strafbehörden kooperiert." Nicht einmal an die – wenigen – guten Beispiele aus anderen Ländern habe sich die katholische Kirche gehalten, kritisiert Psychologe Eich.

In der Erzdiözese München habe man einer Kommission wenigstens alle noch verfügbaren Unterlagen zur Verfügung gestellt. In Österreich sei das bis heute nicht passiert. „Zwei Jahre Diskussion über Opfer in Österreich könnte auch heißen: zwei Jahre Möglichkeit der Aktenvernichtung. Es ist, wenn wir die Opfer und den Auftrag der Opfer ernst nehmen wollen, entscheidend, dass wir diese Vorgänge erforschen und unzensiert publizieren dürfen, wie das ja in München offenbar möglich war. Alles, was wir in den letzten zwei Jahren erlebt und gehört haben, zeigt, dass jene Kräfte, die damals dieses System geschaffen und erhalten haben, noch einflussreich und wirksam sind: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch".

Die vergangenen zwei Jahre haben Plattform-Sprecher Rothwangl mehr als einmal an seine Grenzen gebracht: „Wir alle haben den Punkt erreicht, wo wir gesagt haben, es reicht", schildert er. Zentrale Forderungen hat man nicht erreicht. Etwa die nach einer unabhängigen Untersuchungskommission. Entgegen ihren Versprechen habe die katholische Kirche auch nicht darauf verzichtet, Taten für verjährt erklären zu lassen, wenn sie beklagt wurde. „Sie sollten sich messen lassen an den eigenen Aussagen. Wie heißt es in der Bibel, auf die gerade sie sich so oft berufen: Die Wahrheit wird euch frei machen? Vertuschung ist Teil des Deliktes. Wir finden es zynisch, dass Vertuschung mit Verjährung belohnt wird. Wir verlangen von Kardinal Schönborn, dass er zu seinem Wort steht und auf den Verjährungseinspruch verzichtet." Wozu sich ein anderes einschlägiges Zitat aufdrängt: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.

Vertuschung wird mit Verjährung belohnt

Dennoch, die vergangenen zwei Jahre sind aus Rothwangls Sicht keine vergeudete Zeit gewesen. Bei ihrer Gründung habe sie einen Druck erzeugt, der die katholische Kirche immerhin dazu gebracht habe, einigen Betroffenen zu helfen. Und dass immer wieder Fälle auftauchen, wie jüngst aus dem Kloster Mehrerau, kann in einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß der Plattform zugeschrieben werden. Das wird auch die Diskussion um eine unabhängige Untersuchungskommission nicht so schnell verschwinden lassen. Oder darum, wie Menschen, die als Kinder geschlagen, gedemütigt oder vergewaltigt wurden, in ihrem Erwachsenenleben geholfen werden kann. Und vor allem die Frage, wie man diese Gewalt überhaupt verhindern kann.




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