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Abwehr Statt Anwaltschaft Fur Die Opfer

By Michael Meier
kath.ch
May 24, 2012

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Monate, nachdem in Deutschland das Ausmass des Kindsmissbrauchs durch Kleriker offentlich gemacht wurde, legte im Juni 2010 das Fachgremium Sexuelle Ubergriffe in der Seelsorge der Schweizer Bischofskonferenz eine Statistik zu den Missbrauchsfallen in der hiesigen Kirche vor: Seit 1950 war es zu 150 Missbrauchsfallen gekommen. Die Bischofe bedauerten die grosse Schuld, die in der Kirche und in Diozesen bekannt geworden sei. Doch was ist in den zwei letzten Jahren geschehen? Nicht viel. Joseph Bonnemain, Sekretar des Fachgremiums, sagt, man habe auf Verlangen der Glaubenskongregation die eigenen Richtlinien von 2002 nochmals revidiert und die Vorgaben des Apostolischen Stuhls rezipiert. Zum Beispiel, dass die Verjahrung von Ubergriffen gegenuber Minderjahrigen nicht mehr zehn, sondern 20 Jahre nach Erreichen des Erwachsenenalters betragen soll. Laut Bonnemain sind derzeit nicht viele neue Falle zu verzeichnen, es sei ruhiger geworden. Aber es gebe noch viel zu tun, vor allem in der Pravention. In den Priesterseminaren, aber auch in der Weiter- und Fortbildung der Seelsorgenden musse die Sensibilitat weiter wachsen. Bonnemain wunscht sich, dass die Medien das Thema wachhalten.

Ein Kulturwandel ist notig.

Gemass dem Prasidenten der Fachkommission, Adrian von Kaenel, braucht es gar »einen Kulturwandel, bis man dort ist,wo man sein will«. Eine schwarze Liste mit allen straffallig gewordenen Klerikern, wie sie auch Kirchenobere gefordert hatten, gebe es zwar nicht, wohl aber die Pflicht zum Informationsaustausch bei Wechsel von Klerikern in andere Diozesen. Straffallig gewordene Kleriker durften nicht mehr versetzt werden. Von Kaenel wollte eigentlich sein Amt auf Ende 2011 niederlegen. Doch dann verunfallte der Einsiedler Abt Martin Werlen, der anfangs 2011 offentlich gemacht hatte, dass in den vergangenen 60 Jahren 15 Monche an 40 Opfern schuldig geworden waren. Der in der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) fur das Thema zustandige Abt war drei Monate ausser Gefecht,womit alle Beteiligten die Versaumnisse im Dossier erklaren.Werlen konnte auch nicht an den Anfang Februar an der papstlichen Universitat Gregoriana stattfindenden Kongress zum Thema sexueller Missbrauch in der Kirche reisen. Er wurde aber auch nicht ersetzt. So waren unter den 220 Bischofen und Ordensoberen aus 110 Landern keine Schweizer Wurdentrager. Es ist ein offenes Geheimnis, dass SBKPrasident Norbert Brunner der offentlichen Debatte zum Thema aus dem Wege geht. Lieber schickt er die Kommission oder Abt Werlen vor, so etwa, als es letztes Jahr darum ging, uber den Zwischenbericht »Aufarbeitung und Pravention sexueller Ubergriffe in der Seelsorge« zu informieren. Der Sonntag titelte im September: »Missbrauchsopfer: Schwere Vorwurfe an die Bischofskonferenz«.Aus der Organisation Sapec, die seit Anfang 2011 zum Sammelbecken fur enttauschte Opfer in der Westschweiz geworden ist, hiess es, den Verantwortlichen in der Bischofskonferenz fehle der Mut, sich den Opfern zu stellen. Die Gruppe wirft auch die Frage nach den Entschadigungen auf. Laut Vizeprasidentin Marie-Jo Aeby komme es, sobald man davon spreche, zu abweisenden Reaktionen, als ob die Schweizer Kirchen kein Geld hatten. Im Unterschied zu diesen haben jene in Deutschland und Osterreich Entschadigungen in Millionenhohe bezahlt. In Osterreich zum Beispiel hat die im April 2010 vom Wiener Kardinal Christoph Schonborn ins Leben gerufene Unabhangige Opferschutzanwaltschaft mehr als acht Millionen Euro finanzielle Hilfe an Missbrauchsopfer geleistet.

Symbolische Wiedergutmachung.

Aeby halt Entschadigungen fur dringend notig. Eine Entschadigung sei einerseits eine symbolische Wiedergutmachung, Zeichen dafur, dass etwas falsch gelaufen sei. Andererseits bedeute sie materielle Hilfe fur die zahlreichen Opfer, die eine berufliche Auszeit brauchten oder deren Therapien von den Kassen nicht ubernommen wurden. Die Schweizer Kirche steht erst ganz am Anfang. Nur in Einzelfallen hat sie Entschadigungen geleistet. Laut von Kaenel haben die Fachstellen der Diozesen, die sich einmal jahrlich treffen, eine Kommission gebildet, die sich mit den Entschadigungen befasst. Zuerst musse man die Frage klaren, wer uberhaupt verantwortlich sei. Das sei in der Schweiz, wo nicht die Diozesen, sondern die kantonalen Korperschaften das Geld verwalteten, gar nicht so einfach.Wer zur neuen Kommission gehort, will von Kaenel nicht verraten: »Die Bischofskonferenz konnte sich mit dem Thema noch nicht befassen und wird dies voraussichtlich in ihrer Juni-Sitzung tun. Es ware der Sache nicht dienlich,wenn bereits einzelne Standpunkte der Arbeitsgruppe thematisiert werden, bevor die Bischofe uberhaupt Gelegenheit hatten, diese zu diskutieren.« In der grossen Mehrheit der Falle wollten die Opfer gar keine Entschadigungen. Diese hatten vielmehr das Bedurfnis, sich einmal aussprechen zu konnen, sagt Francoise Morvant. Die fruhere Freiburger Untersuchungsrichterin prasidiert die Kommission SOS Pravention, die der verstorbene Bischof Bernard Genoud angesichts der zahlreichen Missbrauchsfalle in der Diozese Lausanne–Freiburg–Genf 2008 ins Leben gerufen hatte. Die Kommission ist laut Morvant vor allem ein Ort des Empfangs. »Viele Opfer, die den Schritt zu einer Opferhilfestelle nie wagten, finden bei uns einen Ort, wo sie sich aussprechen konnen. « Seit 2008 hatten sich rund 50 Opfer gemeldet. Gewisse Falle habe man der Justiz ubergeben. Die meisten Falle aber lagen 40 bis 50 Jahre zuruck und seien verjahrt, die Tater oftmals tot. Derzeit wenden sich weniger Menschen an die Kommission. Morvant: »Es ist immer das Gleiche: Sobald ein Ereignis durch die Medien offentlich wird, melden sich viele Leute. Dann wird es wieder ruhiger.«

Unabhangige Kommissionen fehlen.

Gemasss Marie-Jo Aeby ist die Gruppe Sapec mit der von Morvant prasidierten Kommission nicht zufrieden. Es meldeten sich nur wenige Opfer. Einerseits sei SOS Pravention auf die Freiburger Diozese beschrankt. »Wir wunschten uns eine Kommission fur die ganze Romandie. In Sion zum Beispiel lauft gar nichts.« Andererseits sei die Kommission darauf angelegt, den Bischof zu informieren. Notig seien aber neutrale und unabhangige Kommissionen. Schliesslich sei es gerade in der Romandie wahrend Jahrzehnten in den vielen katholischen Schulen und Institutionen zu zahllosen Missbrauchsfallen gekommen. Diese Opfer aber wollten sich nicht an Kommissionen wenden, die dem Bischof Rechenschaft schuldig seien. Obwohl in Deutschland und Osterreich punkto Entschadigungen einiges geschieht, bilanziert Pfarrer Helmut Schuller, der schon 1995 in Wien eine Opfer-Ombudsstelle grundete, ganz allgemein: »Ich habe den Verdacht, dass die Systemselbstkritik der Kirche und das Engagement fur die Opfer nicht stark genug sind. Noch immer dominiert der Reflex:Was will man uns da Boses? Wie kommen wir aus dem Schlamassel wieder heraus?« Eine Diskussion uber Zolibat und Kirchenstrukturen lassen die Kirchenoberen gar nicht erst zu.

 

 

 

 

 




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