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«wer Nicht Sprechen Kann, Kann Nicht Horen»

Kirke Heute
May 26, 2012

http://www.kirche-heute.ch/kirche-heute/beitraege/3aktuell/2012-21-Klaus-Mertes-Missbrauch.php

Pater Klaus Mertes, Direktor des Kollegs St. Blasien und ehemaliger Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin. (Foto: KNA-Bild)

Sein Brief an potenzielle Betroffene sexueller Ubergriffe im Berliner Canisius-Kolleg loste im Januar 2010 eine Lawine aus. Letzte Woche sprach Jesuitenpater Klaus Mertes in Basel zu «Macht, Sexualitat und Kirche» und beklagte die Herz- und Sprachlosigkeit der Kirche, wenn es um das Thema Sexualitat geht.

Es begann am 14. Januar 2010 mit dem Besuch dreier ehemaliger Schuler des Berliner Jesuitengymnasium Canisius-Kolleg, die Klaus Mertes, dem damaligen Rektor, vom sexuellen Missbrauch durch zwei fruhere Lehrkrafte berichteten. Am 20. Januar 2010 wandte sich Mertes mit einem Brief an rund 600 Schuler der potenziell betroffenen Jahrgange. Es kam, wie es kommen musste: Der Brief gelangte an die Offentlichkeit, und mit der Publikation am 28. Januar 2010 in der Berliner Morgenpost brach der Sturm los. Zweck des Briefs sei es gewesen, den moglichen Betroffenen Ansprechbarkeit zu signalisieren, sagte Mertes in seinem Vortrag in der Veranstaltungsreihe «Uni.Sex» der Katholischen Universitatsgemeinde Basel.

Doppelter Missbrauch

Das Anhoren der Opfer ist ein zentraler Punkt. Missbrauch habe immer zwei Aspekte, sagte Mertes. Neben der Tat selbst ist es die Erfahrung der vollkommenen Schutzlosigkeit im System, ob dieses nun Kirche, Schule oder Familie heisst. Die Jugendlichen im Canisius-Kolleg hatten damals zu sprechen versucht, seien aber nicht angehort worden. Damit hange auch die Institution im Missbrauch drin. Statt der Opfer wurden die Tater geschutzt, indem sie aus dem Verkehr gezogen, in eine Therapie geschickt und dann anderswo eingesetzt wurden, schilderte es Mertes. Genauso sei es auch im Fall der beiden Lehrer im Canisius-Kolleg geschehen.

Was kann die Kirche tun, um besser horen zu konnen, wenn Opfer sprechen? Funf Punkte seien es, die wie Schatten auf der Kirche liegen und es ihr schwer machen wurde, zuzuhoren, sagte Mertes: Herzlosigkeit, Unkeuschheit, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Sprachlosigkeit.

Die Pointe des Evangeliums

Herzlos sei es, wenn aussereheliche Kinder als «Kinder der Sunde» bezeichnet wurden, wenn Paaren die kirchliche Trauung verweigert werde, weil sie unverheiratet zusammenleben, sagte Mertes. Eine unselige Rolle spielt das Patriarchat, das die Beziehung von Mann und Frau als Besitzverhaltnis und Ehebruch als Verletzung von Eigentumsrechten definiert. Jesus hingegen habe gesagt: Wer die Ehe bricht, versundigt sich an seiner eigenen Frau. Das sei die Pointe des Evangeliums, sagte Mertes und verwies auf den Galaterbrief (Gal 3,26): «Es gibt nicht mehr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Mann oder Frau …» Vor diesem Hintergrund sei es schwer zu verstehen, warum die romisch-katholische und die orthodoxe Kirche auf einer patriarchalen Ordnung bestehen wurden.

Als ein Beispiel fur die Frauenfeindlichkeit der Kirche nannte Mertes das Zuruckdrangen der Madchen vom Messedienst wie etwa in einzelnen amerikanischen Diozesen. «Freude an Mannlichkeit ist nicht unschuldig, auch wenn sie fromm daherkommt», sagte Mertes. Das Mannerbundische habe eine frauenfeindliche Seite.

Ubergriffiges Verhalten

Unkeuschheit mag vielen als altmodischer Begriff erscheinen, innerkirchlich sei er aber nach wie vor von erheblicher Bedeutung, betonte Mertes. Sexueller Missbrauch sei ein monstroser Fall von Unkeuschheit. Diese sei durch Manipulation, Ubergehen von Schamgefuhlen, ubergriffige Nahe gekennzeichnet. Unkeusch sei etwa, wenn der Priester im Beichtstuhl Fragen zur Sexualitat stellen wurde, oder generell die Fixierung der Kirche auf Themen der Sexualmoral. Im Gegensatz dazu sei Keuschheit ein «reines Herz».

Als problematisch erachtet Mertes auch die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualitat. Zwischen Homophobie und verleugneter eigener Homosexualitat bestehe ein tiefer Zusammenhang. Oder anders gesagt: Man bekampft bei anderen das, was man bei sich selbst befurchtet.

Als verheerend beurteilt Mertes die Auswirkungen der Sprachlosigkeit der Kirche zum Thema Sexualitat. Die katholische Kirche sei auf Themen der Sexualmoral fixiert und habe ein Problem mit dem 6. Gebot: Alles, ausgenommen Sex in der Ehe, gelte als schwere Sunde und jede differenzierende Frage werde gleich als Pladoyer fur «anything goes» betrachtet, sagte Mertes. Solange aber ein Priester nicht in der Ich-Form uber die eigene Sexualitat sprechen konne, sei man sprachlos. Mit dramatischen Folgen fur die Opfer von Ubergriffen: «Wer nicht sprechen kann, kann nicht horen.»

Klaus Mertes ist fur sein Engagement als «mutiger Mann» gelobt, aber auch als ­«mediengeiler Nestbeschmutzer» beschimpft worden. Seine Initiative loste eine Lawine aus: Nach und nach wurden weitere Falle publik, in kirchlichen und weltlichen Institutionen.

Nach dem ersten Bericht blieb das Cani­sius-Kolleg wochenlang in den Schlagzeilen. Von der «Schule des Grauens» war die Rede. Die Stigmatisierung der Institution war vor allem fur die Schuler eine Belastung. Sie hatten aber begriffen, dass dies der Preis sei, den man zahlen musse, wenn man aufklaren wolle, sagte Mertes. Das sei eine grossartige Leistung gewesen.

Regula Vogt-Kohler

Entschadigung umstritten

Die beiden Tater, die Klaus Mertes mit ihren richtigen Vornamen nannte, haben unterschiedlich auf die Vorwurfe des Missbrauchs reagiert. W. habe alle Taten gestanden und sich in einem Brief an die Opfer gewandt. Der andere, P., sei «vollkommen uneinsichtig», sagte Klaus Mertes. Er wies die Vorwurfe des sexuellen Missbrauchs zuruck und machte geltend, es habe sich um padagogische Massnahmen gehandelt.

Zu den Missbrauchsfallen in Berlin liegen Berichte von zwei unabhangigen Untersuchungsbeauftragten vor. Die Berichte befassen sich ­sowohl mit den Missbrauchen als auch mit der Verantwortungskette. Noch umstritten sei ­hingegen die Frage der Entschadigung, sagte Klaus Mertes.

 

 

 

 

 




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