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Wie Man Vertrauen Zerstort

Die Tagespost
May 29, 2012

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Gefasst feierte der Papst am Pfingstsonntag die Festmesse im Petersdom.

Rom (DT) Ein Pfingstfest und ein Papstgottesdienst auf dem Petersplatz, die ein wenig an das Osterfest in Rom des Jahres 2010 erinnerten: Damals, vor uber zwei Jahren, hatten die Enthullungen von sexuellen Missbrauchen durch Kleriker vor allem in angelsachsischen Medien plotzlich eine scharfe Wende gegen Benedikt XVI. genommen. Opferverbande in den Vereinigten Staaten und ihre Anwalte bauten – mit dem entsprechenden Echo der internationalen Medien – eine gewaltige Druckkulisse auf, die das Osterfest mit dem Papst in Rom zu erdrucken schien.

Am Pfingstsonntag dann ging es wieder um Opfer, diesmal nur um eines, die funfzehnjahrige Tochter eines Vatikanangestellten, Emanuela Orlandi, die 1983 unter nie geklarten Umstanden verschwunden ist. Ein Demonstrationszug, angefuhrt vom Bruder der Vermissten, war vom romischen Rathaus zum Petersplatz gezogen, auf Transparenten forderte man die Aufklarung des Falls und vom Papst ein trostendes Wort. Als aber Benedikt XVI. beim Gebet des „Regina coeli“ nach dem Pfingstgottesdienst den Namen Emanuelas nicht nannte, begannen die Demonstranten zu schreien. „Schande – Schande“-Rufe hallten unter den Kolonnaden. Doch warum sollte der Papst ausgerechnet an diesem Tag – und immerhin 29 Jahre nach dem Verschwinden des Madchens – etwas zu Emanuela sagen? Und hatte der Vatikan nicht gerade erst sein Einverstandnis gegeben, einen in der papstlichen Basilika Sant'Apollinare begrabenen Gangsterboss exhumieren zu lassen, weil Geruchte aufgekommen waren, die Leiche Emanuelas liege ebenfalls in dem Gangster-Sarg? Was dann – naturlich – nicht der Fall war. War diese Demonstration auf dem Petersplatz jetzt der Dank fur die Kooperation des Vatikans bei den Ermittlungen im Fall Orlandi?

Die Demonstration vom Pfingstsonntag schien allen Beobachter inszeniert zu sein, und zwar unmittelbar nachdem der Papst einen unschonen Doppelschlag erhalten hatte. Am Donnerstag hatte der aus Bankfachleuten bestehende Aufsichtsrat des vatikanischen Bankhaus IOR dem Chef der „Papstbank“, dem Laien Ettore Gotti Tedeschi, in einer solch brusken Weise das Misstrauen ausgesprochen, dass auch die Kardinals-Kommission zur Aufsicht uber das IOR, die dann am Freitag tagte, hinter diesen Schritt nicht mehr zuruck konnte und einen kommissarischen Leiter des Geldinstituts bestellte. Es war Benedikt XVI. selbst gewesen, der Gotti Tedeschi vor zweieinhalb Jahren in dieses Amt berufen hatte. Und am Samstag schlie?lich gab eine knappe Mitteilung des vatikanischen Presseamts bekannt, dass der Kammerdiener des Papstes, der 46 Jahre alte Familienvater Paolo Gabriele, verhaftet worden sei. Er sei im unerlaubten Besitz vertraulicher Papiere gewesen. Diese Nachricht von der Enttarnung des „Maulwurfs“, der dem Vatikan in den vergangenen Monaten die peinliche Affare „Vatileaks“ beschert hatte, schlug in Rom ein wie eine Bombe.

Und wie es bei explodierenden Bomben nun einmal ublich ist, schleudern sie Dreck hoch und verbreiten Schwaden von Staub und Schwefel. Papst Benedikt scheint angesichts der jungsten Vorkommnisse in Rom wie hilflos zu sein. Am Freitag sprach er auf dem Petersplatz vor funfzigtausend Anhangern der Charismatischen Erneuerungs-Bewegung, am Sonntag dann die Pfingstpredigt. Die Medien aber scannen seine Ansprachen nur nach Satzen durch, die irgendwie auf die Skandale dieser Tage bezogen sein konnten. Die normale papstliche Verkundigung ist verstummt – wie damals vor zwei Jahren, in den Wochen und Monaten des Missbrauchsskandals.

Der amerikanische Vatikankenner John Allen schrieb in diesen Tagen, dass vor allem dieser Papst, der Deutsche Joseph Ratzinger auf dem Petrusstuhl, sehr wichtige und interessante Dinge zu sagen habe. Und man konnte hinzufugen, dass dies vor allem jetzt der Fall ist: kurz vor Beginn des Funfzig-Jahr-Jubilaums des Zweiten Vatikanischen Konzils und dem „Jahr des Glaubens“. Doch gegen die fast hysterische Aufregung der italienischen Medien kommt auch Benedikt XVI. nicht an. Die Chefs der Online-Dienste, Zeitungen oder Fernsehredaktion setzen ihre Vatikanberichterstatter unter Druck: Wer kann als Erster neue Verdachtige nennen, wer eine hei?e Spur aufdecken, wer enthullen, was der Vatikan erst morgen offiziell bekannt geben wird? Doch diesmal sind es nicht Missbrauchstater aus dem Klerikerstand, die fur Pulverdampf und Nebelschwaden sorgen. Sondern es war der Butler.

Allerdings hatte „Vatileaks“ schon seit Anfang des Jahres fur gehorige Aufregung gesorgt, nicht nur in den Medien, sondern im Vatikan selbst. Die Dokumentenflucht aus den oberen Etagen des Apostolischen Palasts deutete auf interne Machtkampfe und einen Krieg von Seilschaften hin. Vor uber einer Woche dann erschien das Buch des Enthullungsjournalisten Gianluigi Nuzzi – Titel: „Seine Heiligkeit – Die geheimen Papiere Benedikts XVI.“ –, in dem eine Fulle vertraulicher Papiere aus dem Umfeld des Papstes veroffentlicht ist (siehe DT vom 24. Mai). Und genau das fuhrte zur Enttarnung des Taters. Denn einige Dokumente hatten nie das Papstliche Appartement verlassen und waren noch gar nicht in die Archive des vatikanischen Staatssekretariats zur Ablage gelangt. Das reduzierte den Taterkreis schlagartig von einigen hundert Kardinalen, Kurienbischofen, Vatikanpralaten und sonstigen Mitarbeitern des Staatssekretariats auf die wenigen Personen in den Gemachern des Papstes und fuhrte die vatikanische Gendamerie schlie?lich in die Wohnung des Kammerdieners Gabriele. Dort fand man Kisten mit kopierten Dokumenten aus dem Arbeitszimmer des Papstes. Und der Butler wurde das, was es schon Ewigkeiten nicht mehr hinter den leoninischen Mauern gegeben hatte: ein Gefangener im Vatikan.

Bei allem, was in diesen Tagen spekuliert wird, was man nur vermuten und erahnen kann – eines ist sicher: Der Papst muss sehr betrubt sein uber das, was ihm sein Kammerdiener angetan hat. Vatikansprecher Federico Lombardi hat das am Montag bestatigt: Benedikt XVI. sei uber den Vorgang „sehr traurig, aber gelassen“. Paolo Gabriele, auch Paoletto genannt, sa? sechs Jahre am Tisch des Papstes, und oft neben ihm im Papamobil. Er gehorte zur „papstlichen Familie“, und die lebt mit Benedikt XVI. vertrauter und ruhiger, als das in den Jahren Johannes Pauls II. der Fall war, als sich Gaste und Besucher der papstlichen Wohnung die Turklinke in die Hand gaben.

Zu dieser „Familie“ des Papstes gehoren seine beiden Sekretare, die Pralaten Georg Ganswein und der Malteser Alfred Xuereb, die vier nach den evangelischen Raten lebenden Frauen aus der Gemeinschaft der Ehelosen von „Comunione e Liberazione“, genannt „Memores Domini“ – und eben der Majordomus. Er hilft dem Papst beim Aufstehen und Zubettgehen, packt dessen Koffer, bedient bei Tisch, halt den Regenschirm und Rosenkranze bereit, wenn der Papst Gaste empfangt. Er war es. Er war die undichte Stelle im Vatikan.

Eine Frage ist damit gelost – und zehn neue haben sich aufgetan: Warum hat Paolo Gabriele das Vertrauen des Papstes auf so schadliche Weise missbraucht? Handelte er auf eigene Faust? Und wenn nicht – wie allgemein angenommen wird: Wer war sein Auftraggeber? Geruchten, hinter dem Butler stunde eine verheiratete Frau (nicht seine eigene), die im Vatikan, aber auch in Rom arbeite, beziehungsweise ein italienischer Kardinal, hat Vatikansprecher Lombardi am Montag eine entschiedene Absage erteilt. Wird Paolo Gabriele reden? Erst hie? es – mutma?ten die Medien –, der Kammerdiener schweige, er sitze betend und lesend in seiner Zelle. Dann hie? es – mutma?ten die Medien –, er habe sein Schweigen gebrochen.

Sprecher Lombardi bestatigte am Montag, dass Gabriele seine Zusammenarbeit angeboten habe. Sicher ist nur, dass der vatikanische Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet am Montag die Befragung des Kammerdieners aufgenommen hat. Was dabei herauskommen wird, kann jetzt noch niemand sagen.

Fur Verbluffung im Vatikan sorgte nicht nur die Nachricht, dass nicht das zweite Stockwerk des Apostolischen Palasts, also das Staatssekretariat, sondern das dritte, die „terza loggia“, das papstliche „appartamento“, die undichte Stelle war. Fur Erstaunen sorgte aber auch der Tater selbst. Gabriele, Vater von drei Kindern, war in der Kurie schlie?lich kein Unbekannter. Ein frommer Katholik, mit einer besonderen Verehrung fur die Mystikerin und Ordensfrau Faustina Kowalska sowie deren Visionen des barmherzigen Jesus. Vom Pfarrer der Kirche „Santo Spirito in Sassia“ unweit des Vatikans, wo die Verehrung des barmherzigen Heilands besonders gepflegt wird, hatte der junge Gabriele das Empfehlungsschreiben erhalten, das ihm noch zu Zeiten Johannes Pauls II. die Tur in den Vatikan offnete – zunachst als einfache Hilfskraft. Spater war er dann dem Prafekten des Papstlichen Hauses unterstellt und 2006 folgte dann der Sprung nach „ganz oben“: Gabriele wurde Nachfolger des altgedienten Kammerdieners Johannes Pauls II., Angelo Gugel.

Nicht ein professionelles Auswahlverfahren, keine Ausschreibung und keine Eignungstests hatten Gabriele den Weg dorthin geebnet, sondern Vertrauen. Seit zweitausend Jahren, mochte man fast sagen, ist Vertrauen das Gleitmittel, das den Dienst am Bischofsstuhl des heiligen Petrus nicht zum Martyrium, sondern einigerma?en ertraglich macht. Das ist der eigentliche Tiefengrund von „Vatileaks“ und der erstaunlichen Wendung, die der Fall nun mit der Enttarnung des Kammerdieners genommen hat: Da wurde Vertrauen zerstort, das der Papst seiner engsten Umgebung entgegenbrachte und die Personen dieses engsten Umfelds fureinander empfanden. Das wiegt schwerer als das Konkurrieren und Sich-Beharken der Seilschaften, die es im Vatikan immer gegeben hat.

 

 

 

 

 




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