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„Ein Kleid Entwerfen, DAS Passt“

KSTA
May 29, 2012

http://www.ksta.de/html/artikel/1337873724138.shtml

Generalvikar Stefan He?e. (Bild: Rako)

Koln - Herr Generalvikar, zwei Monate stehen Sie auf der Brucke des Tankers „Erzbistum Koln“. Wo konnten wir mit einem empfindlichen Navigationsgerat Kursanderungen wahrnehmen?

STEFAN HESSE: Dafur ist es mir noch zu fruh. Bisher war ich nur fur ein Segment zustandig. Ich kenne das Generalvikariat ja schon aus meiner fruheren Tatigkeit als Personalchef. Jetzt muss ich immer das Ganze im Blick haben. Zurzeit mache ich Antrittsbesuche in meiner neuen Rolle, um die Menschen in den Abteilungen und ihre Aufgaben noch besser kennen zu lernen. Dafur will ich mir bis zum Sommer Zeit lassen, um dann mit den Verantwortlichen zu entscheiden, was wir uns als Schwer-punkte vornehmen. Und ich merke: Die Leute nehmen mich anders wahr – wie ich sie umgekehrt auch.

Namlich?

HESSE: Als Generalvikar bin ich permanent in der Rolle des Entscheiders und muss mich standig mit neuen Sachverhalten befassen. Jeder will wissen: Was denkt der, wie entscheidet er wohl? Da wird dann jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Das macht es schwieriger, einfach mal laut zu denken oder Ideen zu au?ern, da muss ich aufpassen. Mir ist wichtig, vor Entscheidungen mit den Leuten zu sprechen und mir eine Meinung zu bilden. Dafur erwarte ich von den Mitarbeitern, dass sie mir die Dinge so erklaren, dass ich sie als Nichtfachmann verstehen und ihre Empfehlung fur eine gute Entscheidung nachvollziehen kann.

Wenn Sie dann im Sommer etwas verlauten lassen: Was haben die Pfarreien zu erwarten? Wieder neue Strukturen? Weitere Fusionen?

HESSE: Mir liegt daran, dass die Leute wissen, woran sie sind. Wir haben mit dem Programm „Zukunft heute“ von 2004 und der Strukturreform „Wandel gestalten – Glauben entfalten“ von 2007 die Weichen richtig gestellt. Da brauchen wir nichts draufsetzen, sondern mussen das umsetzen. Allerdings frage ich mich, ob wir die kirchlichen Orte in der Flache uberall richtig verteilt haben. Damit sind ja auch strategische Entscheidungen verbunden. Ohne generell fur Zentralisierung einzutreten, halte ich es fur gut, wenn es Orte gibt, an denen – mit meinen Worten – die Musik spielt, und zwar kraftig. Also mit verlasslichen pastoralen Angeboten, mit Gottesdiensten, Jugendarbeit und anderem. In den dezentralen Bereichen sollten wir tun, was wir konnen, wobei dann alle gefragt sind, nicht nur die Hauptamtlichen. Aber ich finde es schwierig, den Gemeinden hier mit Direktiven und Vorgaben zu kommen. Deshalb schreiben die Seelsorgebereiche ihre Pastoralkonzepte ja selbst.

Ein Papier des Katholikenausschusses, unterschrieben von Weihbischof Melzer und dem verstorbenen Domdechanten Bastgen, schlagt an den dezentralen Orten eine Art Gemeindeleitung durch Laien vor. Schlie?en Sie sich dieser Idee an?

HESSE: „Eine Art“ ja, Gemeindeleitung nein – aus theologischen Grunden. Ich glaube, auf der Basis von Delegation ist vieles an Verantwortung durch Laien moglich, was wir heute noch gar nicht ausschopfen. Insgesamt mussen wir weg von einem Kirchturmdenken, das immer nur die Pfarrei sieht. Die Zusammenarbeit in den Seelsorge-Bereichen halte ich fur einen Gewinn, nicht fur einen Verlust.

Viele Gemeindemitglieder empfinden es aber genau so, dass sie namlich keine Heimat in einer uberschaubaren Pfarrei mehr haben, sondern Teil eines gro?en, anonymen Gebildes sind.

HESSE: Umso wichtiger ist es eben, durch Verlasslichkeit fur Beheimatung zu sorgen. Mit festen Gottesdienstzeiten an immer dem gleichen Ort – oder mit festen Ansprechpartnern fur Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen.

Steht dem der Verlust von raumlicher Nahe, von Erreichbarkeit der Priester fur ihre Gemeinden nicht komplett entgegen?

HESSE: Das ist eine gro?e Herausforderung. Ich wehre mich aber gegen die Fixierung auf den Pfarrer, weil das ein altes, unzeitgema?es Bild von Kirche und Seelsorge zementiert. Der Traum einer Rundumversorgung durch den Priester ist nicht mehr realistisch. Berechtigte Erwartungen der Menschen an die Kirche und ihr geistliches Geleit mussen auch durch die Gemeinden selbst, durch die Laien, durch Institutionen wie kirchliche Krankenhauser, Kindergarten und Schulen erfullt werden. Madeleine Delbrel, eine franzosische Autorin und Mystikerin, hat einmal sinngema? gesagt: Jede Zeit schenkt dem Glauben ein neues Kleid. Wenn die Zeiten sich wandeln, wandelt sich auch die au?ere Gestalt, das Kleid des Glaubens. Doch das Kleid ist nicht der Glaube selbst. Wenn das Kleid gewechselt wird, bleibt der Glaube doch der gleiche. Wir mussen fur die Kirche das Kleid entwerfen, das ihr heute passt. Denn viele haben ja den Eindruck: was bisher war, passt nicht mehr, das wirkt dann irgendwie uberholt, verschroben oder komisch.

Sind die Strukturplane des Erzbistums Kolns denn nicht auf die kunftige Zahl der Priester – wie Sie sagen – „fixiert“?

HESSE: Die Priesterzahl spielt eine Rolle, aber nicht die einzige. Hatten wir spitz gerechnet, hatten wir durchaus noch mehr selbststandige Pfarreien bestehen lassen konnen. Wir wollten jedoch pastorale Raume schaffen, die auch lebensfahig sind, wenn die Priesterzahl weiter sinkt. Wovon wir ubrigens ausgehen und was wir einberechnet haben. Darum ist es unser fester Plan, die schon unter meinem Vorganger eingerichteten 182 Seelsorgebereiche zumindest bis 2020 so zu belassen, wie sie sind. Das ist keine Ewigkeitsgarantie, aber eine Perspektive. In der Zwischenzeit wer-den wir auch einen neuen Erzbischof bekommen, der sicher seine eigenen Vorstellungen ein-bringt.

Werden Sie die Lucken im Klerus vermehrt durch auslandische Priester schlie?en?

HESSE: Wir haben einen Schlussel, der nicht verandert werden soll. Der Ansatz lautet: nicht zuerst die Quantitat erhohen, sondern die Qualitat im Einsatz. Wir wollen die Vorbereitung der auslandischen Mitbruder, im Erzbistum sind das insbesondere Inder, auf ihren Dienst noch verbessern. Eigentlich mussten wir ja auch mal fragen: was konnten die uns geben, was wir nicht haben, und nicht nur, wie passen diese Menschen in unsere Strukturen? Dieser missionarische Ansatz geht leider oft verloren.

Die Steuereinnahmen des Staates sprudeln. Das gilt entsprechend auch fur die Kirchensteuer. Was tun Sie mit diesem unerwarteten Geldsegen?

HESSE: Ich warne vor Euphorie. Wir sind abhangig von der Konjunktur und ihren Schwankungen, und wir haben im Erzbistum mehrere Gro?projekte zu finanzieren: die Renovierung der Jugend-bildungsstatte Haus Altenberg; zweitens eine gro?e Bauma?nahme im Kardinal-Schulte-Haus in Bensberg; und drittens die Verlagerung des Katholisch-Sozialen Instituts aus Bad Honnef in die ehemalige Benediktiner-Abtei auf dem Michaelsberg in Siegburg.

Da werden die Pfarreien ja begeistert sein, dass Sie ihnen die Zuschusse fur Gemeindesale kurzen, dafur aber in Kulissenarchitektur investieren.

HESSE: Zuschusskurzungen stehen nicht an, und Kulissenarchitektur? Das mag ein schones Reiz-wort sein, ist aber sachlich daneben. Wir haben auf dem Michaelsberg eine fast 1000 Jahre alte Kirche und eine ebenso alte klosterliche Tradition. Das bekannte Kirchenlied „Ein Haus voll Glorie schauet“ ist von Joseph Mohr getextet mit Blick auf den Michaelsberg. Diese Glaubens- und Kulturstatte preiszugeben, ware unverantwortlich. Und die anderen Projekte sind zwingend notig. Wir unterliegen z.B. den strengen Auflagen des Brandschutzes.

Sie warnen mit Blick auf die Finanzen vor Euphorie. Noch vor wenigen Jahren zeichnete Ihr Vorganger eher Schreckensszenarien von massiven Einbu?en.

HESSE: Die Gefahr ist auch noch nicht gebannt, weil niemand wei?, welchen Verlauf die wirtschaftliche Entwicklung letztlich nimmt. Erfreulicherweise hat sich aber derzeit die Situation bei den Kirchenaustritten stabilisiert. Nun hatte der Peak im vergangenen Jahr ja auch einen besonderen Grund.

Den Missbrauchsskandal. Wo steht das Erzbistum Koln bei der Aufarbeitung?

HESSE: Auf unserer Homepage veroffentlichen wir laufend den aktuellen Stand. Derzeit haben wir drei Geistliche, gegen die staatsanwaltschaftliche und kirchliche Verfahren laufen, vom priesterlichen Dienst beurlaubt. Naturlich beteiligen wir uns an den finanziellen Leistungen und anderen Hilfen fur Opfer. Ich habe noch in meiner Funktion als Personalchef des Erzbistums mit vielen Opfern gesprochen, und es war immer wieder erschutternd, zu spuren, welch tiefe Spuren solch eine schreckliche Erfahrung in der Biografie eines Menschen hinterlasst.

Beschaftigt das Erzbistum Koln – wie zum Beispiel das Bistum Trier – Priester weiter, die wegen sexuellen Missbrauchs auffallig geworden sind?

HESSE: Dazu sehe ich tatsachlich kaum eine Moglichkeit. Denn dazu brauchte es positive forensische Gutachten und auch, dass alle strafrechtlichen Verfahren und Untersuchungen durchgefuhrt und fur den Verdachtigten zu einem guten Abschluss gekommen sein mussten. Und ein Einsatz ware allenfalls denkbar in Bereichen ohne Kontakt zu Kindern und Jugendlichen.

Zugespitzt formuliert: So viele Archivars-Stellen fur Priester gibt es doch gar nicht, oder?

HESSE: Der Umgang mit den Tatern, den Sie ansprechen, ist die vielleicht schwierigste Herausforderung, vor der wir stehen. Was hei?t es, wenn die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einstellt? Kann der Erzbischof den Betroffenen dann unbesehen wieder einsetzen?

Kaum.

HESSE: Eben. Und auch das sprichwortliche Archiv als moglicher Einsatzort ist und bleibt ja ein Raum der Kirche. Da wird in der Au?enwahrnehmung am Ende doch nicht differenziert.

Dann bleibt nur die „Null-Toleranz“: Entlassung aus dem priesterlichen Dienst?

HESSE: Diese US-amerikanische Praxis wird auch von den deutschen Bischofen diskutiert, und ich halte es durchaus fur moglich, dass auch wir zu dieser Losung kommen. Es geht ja nicht nur um vergangene Taten und Verjahrungsfristen, sondern auch um die Glaubwurdigkeit der Kirche: Kann ein Tater noch glaubhaft im Auftrag der Kirche das Evangelium verkunden? Andererseits muss uns auch klar sein, dass die Tater ja nicht verschwanden, wenn sie auch keine Priester mehr waren. Wie konnen sie also mit ihrer Schuld weiter leben?

Und ware es womoglich eine befremdliche Illusion, die Kirche konne die Tater loswerden, indem sie sie rauswirft?

HESSE: Ich furchte, ja. Denn auch ein Ex-Pfarrer wurde nach wie vor der Kirche zugeordnet. Und er ist und bleibt immer noch Tater.

Hat sich die Aufregung Ihrer Mitarbeiter im Generalvikariat daruber beruhigt, dass das Erzbistum von allen ein erweitertes Fuhrungszeugnis verlangt hat?

HESSE: Es gibt inzwischen ein breites Verstandnis, dass es hier auch um eine gro?e symbolische Geste geht – als Teil des Praventions-Dreiklangs von Schulungen, Selbstverpflichtungserklarung und Fuhrungszeugnis. Wir wollten fur die zentrale Verwaltungsbehorde des Erzbistums ein Zeichen der Transparenz setzen: nichts verbergen, sondern aufklaren! Dafur haben wir, wenn ich das sagen darf, auch den finanziellen und personellen Aufwand nicht gescheut. Das Ergebnis war praktisch gleich Null. Gott sei Dank!

Was hei?t „praktisch Null“?

HESSE: In einem einzigen Fall gab es einen Eintrag im Fuhrungszeugnis im Bereich sexuellen Miss-brauchs. Hier haben wir alle notigen Schritte veranlasst.

Sie haben jungst gro?es Interesse an den neuen Medien und den sozialen Netzwerken bekundet. Auf Facebook und bei Twitter haben wir Sie aber vergeblich gesucht.

HESSE: Weil alle mir sagen, dass diese Kanale fur die Katz‘ sind, wenn man sie nicht bestandig pflegt. Dafur fehlt mir aber im Moment die Zeit. Bevor ich also mit einem veralteten Auftritt daherkomme, lasse ich es lieber erst mal ganz bleiben.

Wurden Sie sich bei Twitter die 140-Zeichen-Predigt zutrauen?

HESSE: Ich bin uberzeugt, dass wir neue Wege der Kommunikation gehen mussen. Es gibt heute eben andere Formate als die 15-minutige Predigt im Sonntagsgottesdienst. Ich wei? von Jugendseelsorgern, dass sie in der Fastenzeit morgens eine SMS-Botschaft herumschicken. Mit 140 Zeichen kann man also etwas Bedeutsames sagen. Gerade fur uns Theologen, die wir gern lang und breit reden, besteht die Kunst darin, die Sache auf den Punkt zu bringen.

 

 

 

 

 




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