BishopAccountability.org
 
 

Kremsmunster-monch Vor Anklage?

By Emil Bobi
profil
June 3, 2012

http://www.profil.at/articles/1222/560/329623/kremsmuenster-moench-anklage

Psychiatrische Gutachten bestatigen psychische Langzeitschaden durch Gewalt und Missbrauch an ehemaligen Zoglingen des Klosters Kremsmunster. Damit sind die Taten nicht verjahrt. Jetzt wird mit der Anklage des „Pumpgun-Paters“ gerechnet.

Die Vergangenheit hat ihn mit voller Wucht eingeholt: Innerhalb der Klostermauern des Benediktinerstifts Kremsmunster war er eine allmachtige Autoritat, jetzt hat er Zuflucht in einem verschwiegenen Schwesternorden bei Wels gefunden und hebt nicht einmal mehr sein Telefon ab. August Mandorfer, 78, ehemals „Pater Alfons“, ist nicht einmal mehr Angehoriger des Klerus. Am 27. April hat ihn der Papst personlich in den Laienstand zuruckversetzt, nachdem profil den „Gerichtsakt Kremsmunster“ veroffentlicht hatte, in dem 40 der mutma?lichen Opfer Mandorfers schockierende Zeugnisse seines „sadistischen Gewaltregimes“ ablegten. Mandorfer tauchte zunachst bei seinem Mitbruder und Freund Abt Christian Haidinger im Stift Altenburg unter, wurde aber von ehemaligen Schulern aufgestobert und lautstark blo?gestellt. Da bat ihn das Stift, wieder weiterzuziehen.

Jetzt konnte er europaweit der erste Vertreter einer kirchlichen Institution sein, dem seit dem Ausbruch der Missbrauchsdebatte vor drei Jahren der Prozess gemacht wird. Die Staatsanwaltschaft Steyr hat mehr als zwei Jahre lang ermitteln lassen und sieht dringenden Tatverdacht auf eine Reihe von Delikten: schwere Notigung, Qualen oder Vernachlassigen unmundiger oder wehrloser Personen, Vergehen nach dem Waffengesetz (Mandorfer besa? illegal eine Pumpgun und soll damit Schuler bedroht haben), Korperverletzung, sexueller Missbrauch von Jugendlichen, sexueller Missbrauch von Unmundigen, schwerer sexueller Missbrauch von Jugendlichen, Vergewaltigung, Missbrauch eines Autoritatsverhaltnisses, gefahrliche Drohung und Notigung. Weil die Vorwurfe gegen Mandorfer in die Zeit von 1970 bis 1995 zuruckreichen, als er Konviktsdirektor (Internatsleiter) und Prafekt (Erzieher) in Kremsmunster war, waren alle ihm vorgeworfenen Delikte strafrechtlich verjahrt. Es sei denn, die Opfer haben „schwere Langzeitschaden“ davongetragen: Das wurde die Strafdrohung erhohen und damit auch die Verjahrungsfrist ausreichend verlangern. Um diese Frage zu ­klaren, hat die Staatsanwaltschaft Steyr zuletzt die Linzer Psychiaterin Adelheid Kastner damit beauftragt, 14 der mutma?lichen Opfer Mandorfers auf schwere Langzeitschaden zu untersuchen und Gutachten zu erstellen.

Jetzt sind die Gutachten fertig und liegen profil vor.

Kastner verweist einleitend auf die komplexen Schwierigkeiten, Langzeitsymptome so weit zuruckliegender traumatischer Erlebnisse von allen anderen davor bereits bestandenen oder danach wirksam gewordenen psychischen Storfaktoren zu differenzieren und in der geforderten juristischen Eindeutigkeit einer bestimmten Ursache zuzuordnen, zumal ganz unterschiedliche traumatische Erlebnisse wie korperliche Gewalt im Elternhaus oder ein „liebevoller“ sexueller Missbrauch im Kloster dieselben Symptome bewirken konnten.

In zwei Fallen ist die Sache aber klar: Kastner diagnostizierte psychische Langzeitschaden und ordnet diese „kausal und unmittelbar“ den Ubergriffen durch Mandorfer zu.

Damit ware die Grundlage fur eine Anklage gegeben. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft steht bevor.

Fall eins: Franz A. (Name von der Redaktion geandert), geboren 1975, hat bis zum Klostereintritt am elterlichen Bauernhof gelebt. Der Vater war ein gegen die Mutter gewalttatiger Alkoholiker, Franz erhielt eine strenge Erziehung durch die kirchenhorigen Eltern. Im Internat litt das Kind an starkem Heimweh, rief oft die Eltern an, die aber „wegen des Hofs“ nicht kommen konnten. Franz verzweifelte. Den Englischlehrer in der vierten Klasse beschreibt er als „Sadisten“, aus Angst vor der Schule habe er nicht mehr schlafen konnen, die Leistungen seien abgesturzt. Lehrer und Mitschuler mobbten ihn. In dieser Situation sei „Pater Alfons“ Mandorfer gekommen und habe ihm „Nachhilfe“ angeboten. Mehrere Jahre sei es dann im Buro Mandorfers zwei- bis dreimal pro Woche zu Oral- und Analverkehr gekommen, Mandorfer habe ihm auch einen Stab schmerzhaft in den After eingefuhrt. Dafur habe Franz A. Su?igkeiten und manchmal ein wenig Geld bekommen und sei von den sonstigen taglichen Gewalttatigkeiten Mandorfers gegen Schuler verschont geblieben. Die Zeit mit Mandorfer sei eine „Wohltat“ gewesen, verglichen mit den Gewaltorgien in der Schule. 1996 habe er maturiert und mit Kremsmunster nichts mehr zu tun haben wollen. Spater sei er jahrelang herumgezogen, habe viel Alkohol konsumiert und homosexuelle Beziehungen unterhalten. Jetzt sei er klar heterosexuell orientiert. 2010 stie? Franz A. im Zuge der aufgekommenen Missbrauchsdiskussion um Kremsmunster auf den Internet-Blog ehemaliger Kremsmunster-Zoglinge, was ihn mit unertraglichen Erinnerungen uberschwemmt habe. Im Blog schrieb er selbst: „Mein Hass auf das Stift wachst von Tag zu Tag. Mein Korper ist zum Zerrei?en gespannt. Sie sollen bu?en. Ich bin fertig … Ich habe Albtraume uber Kremsmunster. Ich habe Gedanken an einen Amoklauf, sollte die Gerechtigkeit nicht siegen … Ich plane das Ganze kuhl, stell mir alles vor. Ich hab nicht die geringsten Gemutsregungen dabei. Benutze die Waffe, drucke ab, fuhle nichts, ich glaub nicht einmal, dass mein Puls schneller geht … In welcher Welt leben wir? Sollte bei Alfons … keine Anklage kommen, bin ich mir sicher, dass ich zur Selbstjustiz greife. Dann gebe ich mein Leben in Gottes Hande. Gottesfurchtige Manner haben mich zu dem gemacht, was ich bin, also soll Gott uber meine Tat richten … keine Furcht mehr, keine Angst, frei. Oh Gott, wann habe ich mich das letzte Mal frei gefuhlt?“

Psychiaterin Kastner diagnostizierte ein „Borderline-Syndrom“. Franz A. habe zwar von seinem Elternhaus einige „zu psychischen Erkrankungen pradisponierende Faktoren mitgebracht wie die Erfahrung von Instabilitat in engen Beziehungen und die genetische Disposition fur Alkoholabhangigkeit“. Doch die Borderline-Storung sei jene Personlichkeitsstorung, die am haufigsten mit Missbrauch verknupft sei.

Mandorfer habe mit A. ein Kind ausgewahlt, das „aufgrund der Herkunftssituation extrem bedurftig war und bei dem wenig Widerstand oder gar Aufdeckungsgefahr angenommen werden konnte“. ­Kastner listet eine lange Reihe von Symptomen auf: Angstzustande, selbstschadigendes Verhalten, unangemessene Wut, Beziehungsunfahigkeit und vieles mehr. Ein Kausalzusammenhang mit den Ubergriffen durch Mandorfer sei gerechtfertigt.

Fall zwei: Markus V. (Name von der Redaktion geandert), geboren 1960. Psychiaterin Kastner attestiert eine „Anpassungsstorung mit einer Storung der emotionalen Entwicklung und der Integration von Sexualitat in ein reifes Selbstbild, die in Folge in eine uberdauernde, bis heute persistierende Storung der Beziehungsfahigkeit und der Emotionsregulierung uberging, die als andauernd deviante (abweichende, Anm.) Personlichkeitsausformung nach extremer Belastung zu klassifizieren ist. Beide Storungen sind aufgrund ihrer Dauer und der krankheitswertigen Natur … als schwere Folgen zu klassifizieren und konnen dem berichteten Verhalten des Pater Alfons Mandorfer zeitlich und kausal zugeordnet werden.“

Markus’ fruhe Kindheit sei normal verlaufen, er sei in der Schule gut gewesen und habe viele Freunde gehabt. Am Tag des Eintritts in Kremsmunster sei er von einem Pater an den Haaren durch den Gang geschleift worden. Er habe lange unter Heimweh gelitten, sei aber von einem Cousin aus einer hoheren Klasse vor den Gewalttatigkeiten durch Mitschuler beschutzt worden. Der Unfalltod seines Vaters habe das Kind aus der Bahn geworfen. Innerhalb kurzester Zeit habe er seine gute Position in der Klasse verloren, die schulischen Leistungen hatten sich rapide verschlechtert. Da war Markus 13. Seine Mutter habe August Mandorfer um Unterstutzung gebeten und der habe ihm Nachhilfe in Latein gegeben. Dabei habe Mandorfer Markus „sehr unter Druck gesetzt und zum Weinen gebracht. Dann habe er ihn getrostet und dabei die Hande auf seine Genitalien gelegt und gefragt, ob er da schon Haare habe.“ Drei Jahre lang hatten die sexuellen Ubergriffe, meist Oralsex bis zum Samenerguss, gedauert. Markus hielt die „Beziehung“ zu Mandorfer fur „einzigartig“ und genoss seine „besondere Stellung“. Er erlebte sich gegenuber die von allen gefurchtete Autoritat Mandorfers sogar als machtig. Psychiaterin Kastner: „Damit implantierte Mandorfer bei Herrn V. in der zentralen Zeit der Selbstdefinitionsfindung (Pubertat) die emotionale Erfahrung, dass Selbstwert durch Machtausubung uber andere auf sexueller Ebene geschaffen werden kann.“ Auch nach seinem Schulwechsel „fuhrte V. die Beziehung zu Mandorfer in der Illusion der Einzigartigkeit weiter“. V. wurde selbst padophil. Gutachterin Kastner beobachtet bei V. Symptome fur „Dehumanisierung, Beziehungsstorung, Affektlabilitat mit Verdrangung, Gefahr von Affektausbruchen, Probleme mit Sexualitat allgemein. Sexualitat mit Frauen scheint angstbesetzt“. Der massive emotionale Missbrauch wiege vermutlich schwerer als der faktische Missbrauch, was zu „bis heute nachweisbaren Defiziten und Folgeschaden in der Personlichkeit des Herrn V.“ gefuhrt habe.

Bei anderen der 14 untersuchten Missbrauchsopfern konstatiert Kastner zwar psychische Langzeitschaden, diese seien aber zu wenig ausgepragt, um dem von der Weltgesundheitsorganisation WHO definierten „Vollbild“ der psychischen Krankheit zu entsprechen. Somit wurden diese Storungen den prazisen juristischen Anforderungen „schwerer Schaden“ nicht gerecht.

Bei manchen der begutachteten Personen stellt die Psychiaterin psychische Beeintrachtigungen fest, die aus der Zeit vor Kremsmunster stammen und von den ­Erlebnissen im Kloster moglicherweise verstarkt, aber nicht ausgelost wurden, weswegen auch diese Falle nicht der Person Mandorfer zugeordnet werden konnen. Schlie?lich gibt es auch Falle „schwerer Langzeitschaden“ nach erlittener korperlicher und psychischer Gewalt sowie sexuellem Missbrauch, die dem „Gesamtmilieu“ im Kloster Kremsmunster zugeordnet werden, nicht aber einer Einzelperson. Kastner: „Alle Betroffenen hatten durch die abrupte und nachhaltige Entfernung aus dem Primarmilieu Familie relevante Bruche in ihren Beziehungen zu verarbeiten, was durch rigide Kontakt- und Besuchsregeln noch verstarkt wurde.“

Zehnjahrige seien in ein fremdes, als „ubermachtig empfundenes System, das sich durch einen weitgehenden Mangel an geborgener Bindung und an liebevoll-stutzender Zuwendung auszeichnete“, gesto?en worden, in ein Milieu, in dem korperliche Misshandlung als alltaglich angesehen wurde. Ubergriffe wurden als „Normalitat“ definiert, was bei den Opfern zu „Bewertungsunsicherheit, Resignation und Kapitulation“ gefuhrt habe. Die Kinder hatten mit „schamhaftem Verstummen“ reagiert und mit „Selbstzuschreibung von Schuld“. Dieses allgemeine „Misshandlungsmilieu“ berge in sich ein hohes Potenzial fur Traumatisierungen.

Der Alltag in Kremsmunster war fur viele ganz normaler Wahnsinn.

 

 

 

 

 




.

 
 

Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.