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Wenn DAS Grauen Ans Licht Kommt

By Marc Pitzke
Spiegel
June 11, 2012

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kindesmissbrauch-bericht-ueber-new-yorker-privatschule-horace-mann-a-838089.html

Horace Mann School in New York (Archivbild): "Die Vorwurfe sind zutiefst verstorend"

Die Todesanzeige war kurz und schnorkellos. "Unsere Familie", lautete die Notiz in der "New York Times" vom 4. Februar 2011, "betrauert den Verlust eines brillanten Musikers, hingebungsvollen Lehrers, treuen Ehemanns, liebevollen Vaters und stolzen Gro?vaters." Betrauert wurde Chordirektor Johannes S., mit 75 Jahren in der Bronx nach einem Schlaganfall verstorben.

Glaubt man E. B., einem ehemaligen Musikschuler von S., der sich nur mit seinen Initialen zu identifizieren wagt, musste noch ein weiteres, etwas weniger schmeichelhaftes Attribut hinzukommen: "Monster".

So jedenfalls wird E. B. vom Drehbuchautor und Filmemacher Amos Kamil in dessen explosiver Titelgeschichte fur das "New York Times Magazine" vom Wochenende zitiert. Kamil und E. B. waren beide einst Schuler an der Horace Mann School, der renommiertesten Privatschule New Yorks. S., Sohn eines prominenten fruheren Schweizer Bankiers und jahrelang musikalischer Leiter der St. Patrick's Cathedral, unterrichtete damals Musik und Kunst an der Schule.

An einem Herbstabend 1973 habe der "hingebungsvolle Lehrer" den 16-jahrigen E. B. erstmals sexuell missbraucht, schreibt Kamil unter Berufung auf Aussagen des Opfers: "S. setzte sich neben ihn auf eine Couch, machte den Hosenbund des Jungen auf und begann, an seinem Penis herumzuspielen." Weitere Ubergriffe, so hei?t es, folgten.

Es ist nicht die einzige schockierende Szene in diesem Enthullungsbericht uber "die lange Geschichte sexuellen Missbrauchs" an der Horace Mann, einer der traditionsreichsten US-Privatschulen, und S. ist nicht der einzige mutma?liche Tater.

Auf zehn Seiten erhebt Kamil, der die Schule Anfang der achtziger Jahre besuchte, schwere Vorwurfe gegen seine Bildungsstatte: Mindestens drei Lehrer, darunter S., sollen sich uber Jahrzehnte hinweg an minderjahrigen Schulern sexuell vergangen haben, meist an Jungen. Die genannten Vorfalle erstrecken sich von den siebziger bis in die neunziger Jahre.

Die Schule habe die Taten nie anerkannt, schreibt Kamil. Die beschuldigten Lehrer aber - alle inzwischen verstorben - seien schlie?lich gefeuert worden, teils unter "mysteriosen Umstanden". Ein Opfer habe sich Jahre spater das Leben genommen.

"Es gab eine Anzahl von Padophilen"

Die Schulleitung kundigte am Sonntag Ermittlungen an und bestatigte indirekt, dass es in der Vergangenheit zu Unregelma?igkeiten gekommen sei. "Die Horace Mann School hat mehrere Lehrer wegen unangebrachten Verhaltens entlassen", erklarte Schuldirektor Thomas Kelly. "Diese Vorwurfe sind zutiefst verstorend und absolut widerwartig." Dies betreffe auch, aber nicht nur, die vom "New York Times Magazine" identifizierten Personen.

"Es gab eine Anzahl von Padophilen", sekundierte der prominente New Yorker Rechtsanwalt Michael Dowd, der inzwischen rund ein halbes Dutzend ehemalige Horace-Mann-Schuler vertritt, im lokalen TV-Sender WPIX. "Der Missbrauch von Kindern dauerte lange an."

Kamils Artikel schlug enorme Wellen. Spontan entstanden zwei Facebook-Gruppen, auf denen sich potentielle Opfer austauschen konnten. Eine zahlte bald mehr als 2000 Mitglieder. Kamil berichtete, er habe rund tausend E-Mails und Telefonanrufe erhalten und von einem Dutzend Opfer gehort, "die nie zuvor uber ihre Erlebnisse gesprochen haben".

Darunter befanden sich auch Frauen. Kate Aurthur, eine Korrespondentin der Website "Daily Beast", schrieb dort am Sonntag uber ihre eigenen Erfahrungen mit einem Horace-Mann-Lehrer, der sie "begrabscht" haben soll.

Anwalt Dowd verglich die Vorgange mit den Sexskandalen der katholischen Kirche: "Sie missbrauchten nicht nur ein Kind, sondern 20 oder 30 oder 40 oder 50." Die Lehrer hatten mit mannlichen wie weiblichen Schulern geschlafen, die Schule habe es vertuscht.

Kamil interviewte fast hundert Personen

Die Horace Mann School im Stadtteil Bronx feierte erst im Mai ihr 125-jahriges Bestehen. Sie bereitet 1800 Schuler von der Vorschule bis zur 12. Klasse auf die Eliteuniversitaten ("Ivy League") vor. "Unsere Schule", hei?t es auf der Website, "ist ein Vorbild traditioneller padagogischer Exzellenz und solider Werte in einer Gesellschaft, die nach beidem sucht."

Zu den prominentesten Absolventen zahlen James Murdoch, Sohn des Medienmoguls Rupert Murdoch, Ex-Gouverneur Eliot Spitzer und Ex-Au?enminister James Schlesinger. Auch Arthur Hays Sulzberger, der fruhere Verleger der "New York Times" und Gro?vater des jetzigen Verlegers Arthur Ochs Sulzberger, besuchte Horace Mann - was dem Bericht nun umso mehr Aufmerksamkeit verschafft.

Als Headline wahlte Kamil das Schulmotto: "Gro? ist die Wahrheit, und sie wird triumphieren." Er interviewte fast hundert Personen, darunter 60 ehemalige Schuler und 15 Ex-Lehrer. "Viele zeigten sich uberrascht, dass es so lange gedauert hat, bis diese Geschichten ans Licht kamen", berichtet Kamil.

"Vernichtende Folgen fur mein Leben"

Die drei Lehrer, die Kamil unter Berufung auf zahlreiche Opfer beschuldigt, leben nicht mehr. Neben S. handelt es sich um Mark W., einen damaligen Football-Coach, und Stanley K. ("der Bar"), seinerzeit Geschichtslehrer.

E. B. beschuldigt S., ihn zweimal missbraucht zu haben. 2011 startete E. B. ein Blog "fur alle, die durch Johannes S. sexuellen Missbrauch erlitten haben". "Obwohl Mr. S. vielen das Geschenk der Musik gab und eine lange und gefeierte Karriere hatte, war er auch ein Kinderschander", schreibt er. "Diese Ereignisse hatten vernichtende Folgen fur mein Leben."

Ein weiteres Opfer namens M., heute Mitte 50, berichtete laut Kamil, S. habe ihn jahrelang auf Europa-Reisen zum Sex gezwungen: "Ich war nur ein Kind. Ich hatte keine Kraft, nein zu sagen." M.s Mutter soll all dies bestatigt haben.

Der brisanteste Vorwurf betrifft S.s Verhaltnis zum Schuler Benjamin B.: Auch der sei von S. missbraucht worden, ebenfalls auf einer Reise - im Sommer 1993, zwei Jahrzehnte nach E. B. Der damalige Schulleiter Phil Foote bestatigte die Kontroverse der "New York Times", fugte aber hinzu, dass S. alles "entschieden dementiert" habe. Deshalb habe die Schule nichts unternommen.

S. lehrte weiterhin an der Horace Mann und ging 2002 in Pension. B. dagegen habe "keinen Trost" mehr gefunden und lange mit Depressionen gekampft, berichtete seine Familie der "New York Times". 2009 habe er sich umgebracht.

Weitere Opfer berichteten, sie seien dauerhaft traumatisiert. "Ich habe jahrelang getrunken und Drogen genommen, weil ich mich meiner Wut nicht stellen konnte", zitiert Kamil E. B. Ein weiterer Ex-Schuler, Andrew genannt, druckt sich so aus: "Es zerstort dich."

Weitere Opfer schweigen

Der damalige Football-Coach W. soll in den siebziger Jahren mehrere Schuler sexuell belastigt haben, schreibt Kamil. Seinen Spielern habe W. "medizinische Leibesvisitationen" erteilt, die oft in sexuelle Handlungen gemundet sein sollen. Ein Opfer soll gerade 14 Jahre gewesen sein. Kamils Recherchen zufolge "verschwand" W. 1979 von der Schule und starb 2004 in Miami Beach.

Der Geschichtslehrer K., so Kamil, habe unter anderem 1983 bei einer Klassenfahrt einen zwolfjahrigen Schuler sexuell belastigt. Auch soll er Kindern "Massagen" gegeben und sie gezwungen haben, die Oberkorper zu entblo?en, und er soll mit ihnen durchs Klassenzimmer "getollt" sein. "Auch ich", schreibt Kamil, "kam mit seinen langen, gruseligen Beruhrungen in Kontakt."

Nach dem Vorfall von 1983, der offentlich diskutiert worden sei, kundigte K. demzufolge. Ein Jahr spater habe er sich erschossen.

"Keines der in dem Artikel genannten Individuen ist noch bei der Schule angestellt", versicherte Schulleiter Kelly. "Sie waren es seit Jahren nicht." Die Schule sei "zutiefst besorgt, wenn Vorwurfe von Kindesmissbrauch erhoben werden - unabhangig davon, wann oder wo sie sich zugetragen haben mogen".

Uber die bisher bekannten Falle hinaus soll es nach Angaben Kamils noch viele weitere gegeben haben, zu denen die Opfer bisher aber schweigen. Hinzu kommt, dass die Taten in New York verjahren, wenn die Opfer ein Alter von 23 Jahren erreichen.

 

 

 

 

 




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