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Kalter Kaffee, Lau Aufgewärmt – Bayerischer Landtag Hörte Heimopfer

Readers Edition
June 13, 2012

http://www.readers-edition.de/2012/06/13/kalter-kaffee-lau-aufgewarmt-%E2%80%93-bayerischer-landtag-horte-heimopfer/

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit bekamen laut „WELT ONLINE" 80 ehemalige „Heimkinder" am 12. Juni Gelegenheit, dem Sozialpolitischen Ausschuss des Bayerischen Landtags über ihre Erlebnisse in überwiegend kirchlich geprägten Kinder- und Jugendheimen zu berichten. Es ging um physische, psychische und sexuelle Gewalt in den drei Nachkriegsjahrzehnten, die der Sozialwissenschaftler Prof. Manfred Kappeler, Berlin, zusammenfassend resümierte: „Diese Kinder und Jugendlichen wurden zu Ausgelieferten. Sie hatten keine Chance, sich zu wehren." Kappeler laut „Süddeutsche.de" weiter: „Und es gab keine Instanz, keine Person, die ihnen zugehört oder gar geglaubt hätte." Inzwischen sind hunderte Berichte über diese Zeit auch im Internet zu finden.

Dr. Christian Sailer, nach eigenem bekunden „Rechtsberater und Gesprächspartner vieler Opfer kirchlicher und staatlicher Heimerziehung in den 1960er und 1970er Jahren", kritisierte in einem Brief an den Sozialausschuss den Ausschluss der Öffentlichkeit: „Nur der Vortrag von Herrn Prof. Kappeler und das Schlusswort der Landtagspräsidentin soll noch öffentlich sein. Sicherlich hat Herr Prof. Kappeler als wohl der beste Kenner der Misere der Heimkinder Wichtiges zu sagen. Aber das konkrete Anschauungsmaterial würde erst von den Heimkindern selbst geliefert, wenn man sie öffentlich zu Wort kommen ließe." Sailer weiter: „Nun soll der Professor lediglich eine öffentliche Girlande für die hinter verschlossenen Türen stattfindenden Gesprächskreise dienen. Hat der Ausschuss plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen? Oder haben die kirchlichen und staatlichen Heimträger darauf gedrängt, eine aufsehenerregende Debatte über die Verbrechen, die Kirche und Staat an Kindern und Jugendlichen begangen haben, zu vermeiden? Solchen Fragen kann der Ausschuss angesichts seiner Kehrtwendung nicht aus dem Weg gehen."

Manfred Kappeler stellte laut „Süddeutsche.de" allerdings konkrete Forderungen: „Hier müsse endlich entschädigt werden – und das angemessen. Bayern müsse sich im Bund dafür einsetzen, dass ‚das leidige Thema endlich vom Tisch' komme. Damit zielte er auf die unzureichenden Wiedergutmachungsbemühungen ab.

Laut „WELT ONLINE" zeigten sich die Abgeordneten betroffen. „'Wir bedauern die Geschehnisse in den Kinderheimen und die damit verbundenen teilweise lebenslangen Folgen für die Betroffenen zutiefst', heißt es in der fraktionsübergreifenden Erklärung."

Kommentar

Der Sozialpolitische Ausschuß des Bayerischen Landtags hat sein Ohr zu den ehemaligen „Heimkindern" geneigt. Sechs Jahre brauchte es bis zu dieser Geste. ‚Besser jetzt als gar nicht und bevor die Bürger merken, dass wir die Schose total verpennt haben', werden die Gastgeber gedacht haben.

So kam, was kommen musste. Heimopfer trugen ihr Leid vor, einige auch an anderen Stellen. Der Ausschuss stammelte Betroffenheit und versprach: Das ist nicht das Ende. Es folgen also noch einige Schmusestunden.

Mit dabei auch eine 2006 an den „Runden Tisch Heimerziehung" (RTH) berufene Dame, die dort für die Opfer sprechen sollte, diese Rolle verweigerte und dennoch nicht ausgewechselt werden durfte. Auch sie klagte erneut ihr persönliches Leid, was ihr aber auch zusteht.

Kein Wort jedoch wenigstens aus ihrem Munde vom großen Betrug am RTH, von den Lügen und Unterschlagungen von Dokumenten, von den Kürzungen der Mittel für den RTH und der damit verbundenen Verhinderung unangenehmer Expertisen im Sinne der Opfer. Kein Wort über die gemeinsamen Aktionen der Tätervertreter, die das Ziel hatten, Schadensbegrenzung zu betreiben und Schadensregulierungen nach den Wünschen der Opfer zu verhindern. Freundlich aber zielstrebig wurden die sogenannten Opfervertreter über den Tisch gezogen.

Prof. Dr. Manfred Kappeler, der die Verbrechen an den „Erziehungszöglingen" aus eigener Beobachtung und aus wissenschaftlicher Aufarbeitung kennt, blieb nicht an der Schleimspur kleben, die der Ausschuss auslegte. Viele Opfer vermuten noch heute, dass er als schmückendes Beiwerk für diese Show dienen sollte. Kappeler verband seinen Auftritt mit der Forderung nach echten, auch finanziellen Wiedergutmachungsleistungen. Er verwies auf die Altersarmut infolge von Ausbeutung der Opfer zur Aufrechterhaltung der Anstaltsbetriebe und des damit verbundenen Entzuges von Schulbildung.

Die Anhörung hätte auch billiger durchgeführt werden können, nämlich per Mausklick: „Heimkinder+Gewalt" und schon hätte das Internet dem Bayerischen Landtag die Verbrechen auf dem Silbertablett serviert.

Was bringt nun diese Veranstaltung? Nichts. Es ist bereits alles entschieden: Der Opferfonds über 120 Millionen Euro, aus dem die Länder allerdings etwa 12 Mio. für die Anlaufstellen gestohlen haben. Dank der zahlreichen Betrugsmanöver am RTH erhalten die Opfer lediglich Almosen. Gefordert haben sie eine Opferrente von 300 Euro. Sie wissen nicht einmal, ob ihnen diese freiwilligen Gaben aus dem Fonds nicht durch die Hintertür der Sozialämter als Einkommensanrechnung wieder aus der Tasche gezogen werden. Aus dem Betroffenheitsgestammel ist inzwischen eine Betroffenheitsbesoffenheit geworden. Überall klingt das Bedauern fast wörtlich gleich. Alle Welt ist erschüttert und das hilft den Opfern nichts. Demnächst kommen sie wieder ins Heim; nun nämlich ins Altersheim. Und da wird es ihnen wenig besser ergehen, als in den Jugendstrafanstalten der Heimerziehung.

Eine ehemalige Heimbewohnerin beschreibt ihre Gefühle nach der Anhörung im Blog des „Netzwerkes Betroffener von sexualisierter Gewalt": „… ich mache es sehr kurz. die anhörung oder wie ich es empfunden habe circus, war eine große scheinheiligkeit."




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