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Blick Zurück in Eine Düstere Zeit

Neue Zurcher Zeitung
September 27, 2012

www.nzz.ch/aktuell/schweiz/schweiz-kanton-luzern-heime-berichte-1.17642564


Gleich zwei Studien haben die Vergangenheit in Luzerner Kinder- und Jugendheimen beleuchtet. Was zur Zeit von 1930 bis 1970 publik wurde, ist beklemmend. Gewisse der damaligen Bestrafungspraktiken werden heute als Folter bezeichnet.

Heimkinder hatten es nicht leicht. Stigmatisierung, behördliche Willkür, Geldmangel, ein repressives Strafwesen und die tabuisierte Sexualität begünstigten in Luzerner Kinder- und Jugendheimen zwischen 1930 und 1970 Misshandlungen und Missbrauch.

Zwei Studien

Das geht aus zwei Berichten zur Vergangenheit der Kinder- und Jugendheime im Kanton Luzern hervor, die am Dienstag in Luzern vorgestellt wurden: Die vom Regierungsrat in Auftrag gegebene Studie von Professor Markus Furrer von der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz (PHZ) und die von der Katholischen Kirche des Kantons Luzern initiierte Studie «Hinter Mauern» von Professor Markus Ries.

Auch als Folter bezeichnet

Beide Studien beschönigen nichts. Die Strafpraktiken überstiegen klar die Akzeptanz auch der damaligen, autoritär geprägten und auf Körperstrafen setzenden Gesellschaft. Einige der angewendeten Praktiken wie das Unterwasserdrücken des Kopfes werden heute als Folter bezeichnet.

Erste Konsequenzen: Der Kanton Luzern will die Meldestelle zur Prävention von sexualisierter Gewalt besser bekannt machen. Zudem ist ein «Ort des Erinnerns» geplant, voraussichtlich in Rathausen, am Standort eines der Heime.

Über 50 Interviews

Für den Bericht über die «Vorkommnisse in Kinderheimen» von Stadt und Kanton Luzern wurden 54 ehemalige Heimkinder interviewt. Obwohl die meisten auch positive Erlebnisse hatten, überwiegen die negativen Erinnerungen deutlich.

Von 1930 bis 1970 gab es im Kanton Luzern 15 Kinder- und Jugendheime. Zwischen 540 und 750 Kinder waren in diesem Zeitraum dort untergebracht. Die Heimlandschaft war stark katholisch geprägt. In mindestens 10 Heimen arbeitete Ordenspersonal. Von diesen für «Gotteslohn» arbeitenden Leuten profitierte der Kanton.

Grundsätzlich hält der Bericht fest, dass Heimkinder – beispielsweise von alleinstehenden Müttern – in der ganzen Schweiz stigmatisiert waren. Und die Kinder verinnerlichten diese Marginalisierung noch. Kam dazu, dass die Behörden ziemlich willkürlich «Versorgungen» in den Heimen verfügten.

Zu wenig Personal, zu viele Kinder

Neben einem äusserst repressiven, militärischen Strafsystem, das auch nicht vor Foltermethoden und Demütigungen zurückschreckte, begünstigten auch die knappen Finanzen die Misshandlungen. Zu wenig Personal betreute zu viele Kinder. Und diese sollten möglichst noch für Einnahmen sorgen, während die Schulbildung nur einen geringen Stellenwert hatte.

Mehr als die Hälfte der Befragten machte Hinweise auf sexuelle Gewalt. Begünstigt wurde diese durch die abgeschottete Heimsituation, eine tabuisierte Sexualmoral, Vertuschungsaktionen der Täter und die Beurteilung der Opfer als tendenziell unglaubwürdig. Die Kinder hatten meistens niemanden, an den sie sich wenden konnten.

Politik war mitschuldig

Für die misslichen Zustände macht der Bericht auch die Politik verantwortlich. Die Zuständigkeiten, die Aufsicht, die Aufgaben waren nicht klar definiert. Verschiedene Ebenen wurden vermischt. «Die Vielfalt der zuständigen Personen dürfte dazu geführt haben, dass sich niemand wirklich zuständig fühlte, genau hinzuschauen», so Professor Markus Furrer, unter dessen Leitung der Bericht erstellt wurde.




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