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Katholische Kirche Wiederholt Entschuldigung

The Kipa-Apic
September 27, 2012

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Luzern. 27.9.12 (Kipa) Dass es zu Ubergriffen kam, war bekannt, das Ausmass jedoch schmerzt, kommentierte Bischofsvikar Ruedi Heim die kirchliche Untersuchung "Hinter Mauern" zu Gewalt in Luzerner Kinder- und Jugendheimen im Zeitraum 1930 bis 1970. Zwei Studien wurden am Mittwoch in Luzern vorgestellt. Die zweite Studie "Bericht Kinderheime im Kanton Luzern" schreibt von Praktiken, die heute als "Foltermethoden" bezeichnet werden und sexueller Gewalt in den Heimen.

Hofkirche in Luzern (Bild: Georges Scherrer)

Die Zustandigkeiten in den Heimen sind heute zum Teil schwer eruierbar. Es bestand eine Verflechtung von staatlichen Gremien und Kirche. Zum Teil bestimmte der Bischof die Leitung eines Heimes, der Staat segnete als Aufsicht die Wahl ab. Im Heim selber arbeiteten dann Ordensfrauen. Solche Bedingungen hatten den Missbrauchen zum Teil Vorschub geleistet, erklarte Markus Furrer, Professor fur Geschichte an der Padagogischen Hochschule Luzern, gegenuber der Presseagentur Kipa.

Bischofsvikar Ruedi Heim bekraftigte gemass einer Medienmitteilung an der Pressekonferenz in Luzern die Entschuldigung, welche die Synode der katholischen Kirche Luzern bereits 2008 ausgesprochen hat. Jorg Trottmann, Beauftragter der Synode, meinte, aus den Studien gelte es Lehren fur die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen. Die Kirchen mussten weiterhin daran arbeiten, dass nicht unter Berufung auf die so genannte gottliche Autoritat berechtigte Anliegen nach sozialen Verbesserungen oder demokratischer Mitbestimmung abgeblockt wurden.

Zwei Studien

Der Luzerner Regierungsrat und die katholische Kirche im Kanton Luzern haben den Alltag in Luzerner Kinder- und Jugendheimen historisch aufgearbeitet. Aus den fruheren Missstanden sollen Konsequenzen fur die Zukunft abgeleitet werden. So soll die Meldestelle zur Pravention von sexualisierter Gewalt besser bekannt gemacht werden. Der Kanton plant ausserdem einen "Ort des Erinnerns".

Unabhangig voneinander haben der Kanton Luzern und die katholische Kirche im Kanton Luzern die Vergangenheit in den Luzerner Kinder- und Jugendheimen wissenschaftlich erforscht. Im Auftrag der Luzerner Regierung untersuchte Professor Furrer mit seinem Team den Zeitraum von 1930 bis 1970. Damals gab es rund 15 Kinder- und Jugendheime im Kanton, in denen jahrlich zwischen 540 bis 750 Kinder versorgt und betreut wurden.

Parallel dazu gab die katholische Kirche im Kanton Luzern eine interdisziplinare Hintergrundanalyse in Auftrag. "Die Studie sollte jene Ursachen benennen, die es moglich gemacht hatten, dass es ausgerechnet in kirchlichen Heimen zu Gewalttaten kommen konnte, und sie sollte ergrunden, ob es sich um Einzelfalle gehandelt habe", skizziert Professor Markus Ries, Projektleiter der Studie "Hinter Mauern", den Auftrag. Die Studie ist aus der Zusammenarbeit von elf Wissenschaftlern entstanden und umfasst sieben Teilstudien.

Negative Erinnerungen dominieren deutlich

In Furrers Studie berichten Betroffene von fehlender Zuwendung, Strafen und Gewalt. Es wurden auch positive Erlebnisse wiedergegeben, die negativen Erinnerungen dominierten aber deutlich. Die Strafpraktiken uberstiegen klar die Akzeptanz der damaligen, autoritar gepragten und auf Korperstrafen setzenden Gesellschaft. "Einige der angewendeten Strafpraktiken werden heute als Foltermethoden aufgefuhrt, wie das Unterwasserdrucken des Kopfes oder das Einsperren in dunkle, verliesahnliche Raume", berichtet Furrer. Mehr als die Halfte der Befragten machten Hinweise auf sexuelle Gewalt.

Rechtlich stutzten sich die damaligen Behorden bei der Versorgung auf den sogenannten "Kinderschutzartikel" des eidgenossischen Zivilgesetzbuches, das 1912 in Kraft trat. "Vage Begrifflichkeiten wie `Verwahrlosung`, `pflichtwidriges Verhalten` und `dauernde Gefahrdung` eroffneten Behorden einen weiten Handlungsspielraum", berichtet Furrer.

Ethische Konsequenzen

Markus Ries, Autor der zweiten Studie, stellt fest: "In kirchlichen Heimen ist fur die Zeit bis 1960 Gewalttatigkeit in drei unterscheidbaren Formen festzustellen: als damals akzeptierte Methode erzieherischer Sanktion, als Gewaltexzess, der abgelehnt wird, sowie als sexueller Missbrauch."

Die Ursachen liessen sich wiederum in drei Kategorien gliedern: generelle Geringschatzung gegenuber Fremdplatzierten, zu wenig und zu wenig qualifiziertes Personal in den Heimen, weltanschaulich begrundete Ursachen.

"Fur die Kirche", so Ries, "ergeben sich aus ethischer und pastoraltheologischer Sicht zahlreiche Konsequenzen. Im Vordergrund steht die Anerkennung der Opfer und ihrer Situation, das Gesprach mit ihnen auf Augenhohe und das Benennen von Schuld und Schuldigen." Innerhalb der Kirche sei daruber hinaus ein Diskurs uber Sexualitat notwendig.

Regierung: "Richtiger Weg"

"Mit der Aufarbeitung der Vorkommnisse sind wir einen guten, den richtigen Weg gegangen", resumierte Regierungsrat Guido Graf an der Medienorientierung am Mittwoch. Er wies darauf hin, dass die Stiftung Schweizer Zentrum fur Heil- und Sonderpadagogik eine Aussensicht auf die heutige Heimaufsicht formuliert habe.

Die Stiftung attestiere dem Kanton Luzern, auf dem richtigen Weg zu sein. Als Verbesserungsmassnahme empfiehlt sie aber, die unabhangige Meldestelle zur Pravention von sexualisierter Gewalt bekannter zu machen. "Wir werden unsere Hausaufgaben machen und die betreuungsbedurftigen Personen sowie ihre Angehorigen direkt uber die unabhangige Anlaufstelle bei der Opferberatungsstelle des Kantons Luzern informieren", so Graf.

Verjahrt

Die Frage nach Genugtuung seien im Kanton Luzern bereits ausfuhrlich diskutiert worden, erklarte Regierungsrat Graf. Juristisch seien die Handlungen, soweit sie strafrechtlich relevant waren, verjahrt. Opferhilferechtlich bestehe kein Anspruch auf Entschadigung und Genugtuung. Eine Entschuldigung an die Betroffenen sei im Marz 2011 erfolgt. "Als moralische Genugtuungsgeste werden wir zudem einen Ort des Erinnerns schaffen", kundigt Guido Graf an. "Dieser Ort soll dem Gedenken der einzelnen Schicksale gewidmet werden."

 

 

 

 

 




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