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Was Priester Zu Tatern Werden Lasst

By Barbara Hans
The Spiegel
December 8, 2012

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/sexueller-missbrauch-in-kirche-bischofskonferenz-stellt-studie-vor-a-871614.html

Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz: Untersuchung zu ubergriffigen Geistlichen

Die meisten Priester, die sich an Jungen oder Madchen vergangen haben, sind nicht padophil. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der deutschen Bischofskonferenz. Die Autoren haben sexuellen Missbrauch in der Kirche systematisch untersucht.

Hamburg - Die Antworten sind beruhigend und verstorend zugleich. Die meisten Geistlichen, die Madchen und Jungen missbrauchen, sind weder psychisch krank noch padophil. Zu diesem Schluss kommt die Studie "Sexuelle Ubergriffe durch Geistliche in Deutschland". Die Autoren haben forensische Gutachten aus den Jahren 2000 bis 2010 ausgewertet. Welche Manner werden zu Tatern? Haben sie eine auffallige Biografie, ein auffalliges Sexualverhalten? In welcher Beziehung stehen sie zu den Opfern?

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Die Deutsche Bischofskonferenz hat die Untersuchung bei vier Psychiatern in Auftrag gegeben - dem bekannten Essener Gerichtspsychiater Norbert Leygraf und seinen renommierten Kollegen Hans-Ludwig Krober, Friedemann Pfafflin und Andrej Konig. Die Wissenschaftler werteten Gutachten uber Priester und Ordensleute aus, die unter dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs vor Gericht standen und psychiatrisch untersucht wurden.

2002, nach dem Erscheinen der Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch, wurde das erste Gutachten von der Kirche in Auftrag gegeben - bei einem forensischen Psychiater. Mit dem Auffliegen des Missbrauchsskandals 2010 stieg die Zahl der Gutachten massiv an. Damals hatte sich die Kirche verpflichtet, in Missbrauchsfallen solche Expertisen einzuholen. Das Ziel: ausloten, welche Gefahr von den Mannern ausgeht. Es ging der Kirche vor allem darum, zu wissen, wie sie mit den ubergriffigen Geistlichen verfahren soll: aus dem Kirchendienst entlassen? Versetzen? Oder schlicht weitermachen lassen?

Die Taten der begutachteten Manner wurden zwar in den Nullerjahren bekannt, lagen oft aber Jahrzehnte zuruck. Sie ereigneten sich zwischen den sechziger und den neunziger Jahren. Von 27 deutschen Bistumern stellten 21 ihre Gutachten fur die Metaanalyse zur Verfugung.

Schlie?lich wurden Gutachten uber 78 katholische Geistliche analysiert. Es ging den Forschern darum, Muster zu identifizieren - der Kirche darum, Risiken und Gefahren besser einschatzen und eine bessere Pravention leisten zu konnen. Und nicht zuletzt darum, im Missbrauchsskandal verlorene Glaubwurdigkeit zuruckzugewinnen.

In welcher Form waren die Geistlichen ubergriffig geworden?

In zwolf Fallen ging es ausschlie?lich um den Besitz von Kinderpornografie. Daruber hinaus wurden 66 Geistlichen insgesamt 576 Ubergriffe vorgeworfen. Die Untersuchung spricht von 265 Opfern.

In der Mehrheit der Falle kam es zu sogenannten Hands-on-Handlungen - einem Korperkontakt zwischen Tater und Opfer: Vergewaltigungen, sexueller Notigung. In zehn Fallen kam es zu sogenannten Hands-off-Handlungen - Handlungen ohne Korperkontakt wie der Aufforderung, sexuelle Handlungen an sich oder anderen durchzufuhren, Masturbation vor Personen. Sechs Geistlichen wurden sowohl Hands-on- als auch Hands-off-Handlungen vorgeworfen. Die Mehrzahl der Tater raumte das Vergehen ein.

Vereinfacht gesagt kommt die Metaanalyse zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der ubergriffigen Geistlichen nicht psychisch krank ist. Das mag auf den ersten Blick fur die Kirche ein erfreuliches Ergebnis sein, bescheinigt es ihr doch eine solide Auswahl ihrer Priesteramtsanwarter. In ihren Reihen finden sich demnach nicht auffallig viele Padophile. "Diesbezuglich zeigen sich keine bedeutsamen Unterschiede zu Erhebungen in der deutschen Allgemeinbevolkerung", sagt Leygraf.

Die Mehrheit der Manner, die sich wegen Missbrauchs verantworten mussten, hatten keine sogenannte sexuelle Praferenzstorung. Gutachter Leygraf spricht von einem "normalpsychologischen Bereich", es gibt bei den Mannern keine auffallige Psychopathologie. In 68 Prozent der Falle wurde keine psychiatrische Diagnose gefallt.

Das Problem liegt in den Strukturen

Im Umkehrschluss bedeutet es fur die Kirche aber auch, dass die Probleme in den Strukturen des Systems liegen. Namlich einer Institution, die auf Vertrauen und Macht fu?t - und in der Transparenz uber Jahrzehnte undenkbar war. Der Beichtstuhl war heilig, der Priester war es auch, so durften weder Situationen noch Personen in Zweifel gezogen werden. Die Geistlichen waren die Gotter der Gemeinden, oft galt schon Widerspruch als Frevel. Das Klima der Kontrolle und Intransparenz hielt sich in der katholischen Kirche sehr viel langer und nachhaltiger als in der Gesellschaft.

Das spiegelt sich in der Untersuchung wider. Sie legt dar, wie viel Zeit zwischen der ersten Tat eines Priesters und der Meldung an das Bistum verging: Oft waren es Jahre, in denen weggeschaut oder zumindest nicht reagiert wurde, in denen Opfer schwiegen. Bei dem ersten sexuellen Ubergriff waren die Tater im Schnitt rund 36 Jahre alt. Die Meldung an das Bistum erfolgte durchschnittlich 14 Jahre spater. Jahre, in denen der Priester oftmals unbehelligt weiter in seinem Umfeld agieren konnte. Bis zur Begutachtung vergingen noch einmal Jahre.

Mehr als die Halfte der ubergriffigen Priester verging sich denn auch an zwei oder mehr Opfern. In einem der untersuchten Falle gab es gar 22 Betroffene.

Wie auch in anderen Landern sind die Opfer haufiger mannlich als weiblich. Die Verfasser fuhren dies darauf zuruck, dass es in den achtziger Jahren kaum Messdienerinnen gab - die Priester also schlicht weniger Zugang zu Madchen hatten. Der Kontakt zu den spateren Opfern entstand ganz uberwiegend im Rahmen der Gemeindearbeit.

Bezeichnend sind die Empfehlungen, die in den Gutachten ausgesprochen wurden: In fast jedem zweiten riet der Psychiater dazu, den ubergriffigen Priester erneut oder weiter in einer Gemeinde zu beschaftigen. Nur in zwolf Fallen wurde von einem weiteren Einsatz abgeraten. Der Forensische Psychiater Leygraf kommt in der nun vorgelegten Metastudie zu dem Ergebnis: "Verbleiben sexuell ubergriffige Geistliche innerhalb ihrer Kirche, dann verfugen sie uber ein soziales Kontroll- und Unterstutzungsnetzwerk, welches unter ruckfallpraventiven Gesichtspunkten als protektiver Faktor angesehen werden kann." Das klingt etwas umstandlich, es meint: Die Kirche soll die Geistlichen in ihren Reihen belassen. Allein: Fur die Opfer durfte das schwer nachvollziehbar sein.

 

 

 

 

 




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