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Kirche Gegen Forscher: Deutsche Bisch�fe Stoppen Studie Zu Missbrauch

Die Presse
January 9, 2013

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Die katholische Kirche wollte Missbrauchsfälle wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Nun kündigt sie den Vertrag, es mangle an Vertrauen. Das Institut spricht von Zensur.

Berlin/Gau. „Canisius-Kolleg: Missbrauchsfälle an Berliner Eliteschule“, prangte Ende Jänner 2010 in großen Lettern auf dem Titelblatt der „Berliner Morgenpost“. So erfuhr eine schockierte Öffentlichkeit, dass zwei Patres an dem Jesuitengymnasium in den 1970er- und 1980er-Jahren systematisch Schüler sexuell missbraucht hatten. Der Skandal weitete sich rasch aus. Bald wurde klar: An vielen kirchlichen Einrichtungen in Deutschland (und Österreich und anderen Ländern) hatten sich Priester an Kindern und Jugendlichen vergangen.

Vertrauensverlust, Austrittswelle, Hagel an Kritik: Die deutsche katholische Kirche erlebte die schwerste Krise ihrer jüngeren Geschichte. Nach längerem Zögern traten die Bischöfe die Flucht nach vorne an: Für viele überraschend beauftragten sie im Juli 2011 das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Fälle. Es sollte die weltweit größte Untersuchung zum Thema werden. Rückhaltlose Offenheit statt Vertuschung, lautete die Devise. „Ein Wunder, das es auch in Kirchenkreisen immer wieder gibt“, frohlockte Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter und Bischof von Trier. Doch das Wunder blieb aus. Am Mittwoch teilte Ackermann mit, dass man den Vertrag mit sofortiger Wirkung kündige. Grund sei ein „zerrüttetes Vertrauensverhältnis“ zu Institutsleiter Christian Pfeiffer.

Ausführlicher fällt die Erklärung des Kriminologen aus: Das Projekt sei „an den Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche gescheitert“, der „Kurs der Ängstlichen“ habe sich durchgesetzt.

Sorgen um Datenschutz

Die Ängste sollte eigentlich der Vertrag nehmen. Geplant war, dass pensionierte Richter und Staatsanwälte in Räumen der Kirche Einsicht in alle Personalakten der letzten zehn Jahre bekommen, für neun der 27 Bistümer sogar zurück bis Ende des Zweiten Weltkriegs. Was dort über sexuellen Missbrauch zu lesen ist, sollten sie anonymisiert an die Forscher weiterleiten. Die Ergebnisse hätte die Kirche exklusiv präsentieren dürfen. Erst acht Wochen später wären sie frei zur Publikation durch die Forscher gewesen.

Erste Testläufe hätten „ausgezeichnet funktioniert“, erzählt Pfeiffer. Dann aber hätten die Diözesen München-Freising und Regensburg die Herausgabe der Akten verweigert und einen neuen Vertrag gefordert. Die Münchner dementieren: Man habe sich nur Sorgen um den Datenschutz gemacht, von „Zensurwünschen“ könne keine Rede sein. Doch die „Süddeutsche“ stützt die Version Pfeiffers. Sie zitiert aus den geforderten Vertragsänderungen: Über den „Umfang der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse“ solle man gemeinsam entscheiden, „ist eine Einigung nicht möglich, unterbleibt die Veröffentlichung“. Sprich: Wenn ihr die Resultate nicht passen, kann die Kirche sie ins Archiv verbannen.

Pfeiffer lehnte ab, das sei mit der Freiheit der Wissenschaft nicht vereinbar. Zudem hätten die Doktoranden, die ihre Dissertation mit dem Projekt verknüpft hatten, dann jahrelang umsonst gearbeitet. Später habe er erfahren, dass Personalakten zehn Jahre nach einer innerkirchlichen Verurteilung zu vernichten seien – womit eine Aufklärung bis 1945 zurück ohnehin Illusion sei. Als dann Gerüchte aufkamen, auch jüngere Akten würden gezielt vernichtet, fragte er in einem Brief an die Bischöfe, ob da was dran sei – und bekam zur Antwort, dass diese Frage „das Vertrauen nachhaltig zerstört“ habe.

Nun wollen beide Seiten getrennt weiter forschen. Das Institut bittet Missbrauchsopfer, sich zu melden. Und die Bischöfe suchen einen neuen Partner, der ihre Bedingungen akzeptiert. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stellt sich aufseiten der Forscher in Niedersachsen: Die Erschütterungen von 2010 dürften nicht „in einer halbherzigen Aufarbeitung versickern“.




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