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Katholische Kirche "Furchtet" Aufdeckung

By Matthias Katsch
Deutschlandradio
January 13, 2013

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1975560/

Matthias Katsch: Sprecher des Opferverbandes "Eckiger Tisch". (Bild: picture alliance / dpa Foto: Eckiger Tisch) Matthias Katsch: Sprecher des Opferverbandes "Eckiger Tisch". (Bild: picture alliance / dpa Foto: Eckiger Tisch)

Opferverband au?ert Zweifel am Aufarbeitungswillen

Matthias Katsch im Gesprach mit Philipp Gessler

Nach Beendigung der Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und dem Kriminologen Christian Pfeiffer fuhlen sich viele, wie auch Matthias Katsch vom Opferverband "Eckiger Tisch", bestatigt: Der katholischen Kirche liege wenig an einer Aufarbeitung im Missbrauchsskandals.

Philipp Gessler: Da konnen einem doch Zweifel kommen: In der nun zu Ende gehenden Woche standen die katholischen Bischofe Deutschlands mal wieder in einem sehr unschonen Licht der Offentlichkeit. Mit einem Paukenschlag sind sie aus ihrem Vertrag mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer ausgestiegen. Der Hannoveraner Wissenschaftler sollte seit 2010 im Auftrag der Kirche mit seinen Fachleuten und mithilfe der Personalakten aus allen 27 deutschen Bistumern die Missbrauchsfalle in der katholischen Kirche erforschen. Darunter auch Falle, die Jahrzehnte zuruckliegen. Doch die riesige Studie kam nie voran. Pfeiffer wirft der Kirche nun vor, sie habe ihn zensieren wollen.

Die Bischofskonferenz behauptet dagegen, mit Pfeiffer konne man einfach nicht zusammenarbeiten. Das Vertrauensverhaltnis zu ihm sei zerruttet. Und sie betont, die Aufklarung gehe weiter, eben nur nicht mit Pfeiffer. Wie denken die Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche uber das Ende dieser Zusammenarbeit mit dem Hannoveraner Wissenschaftler? Wollen die katholischen Bischofe uberhaupt eine Aufklarung? Daruber habe ich vor der Sendung mit Matthias Katsch vom Opferverband "Eckiger Tisch" gesprochen, einem ehemaligen Opfer von sexueller Gewalt in Berlin, der die Kraft und den Mut hat, fur die so lange verdrangten Opfer solcher Verbrechen durch Priesterhand zu kampfen. Herr Katsch, die katholische Kirche betont, ihr Ausstieg, also der Ausstieg der Kirche aus dem Vertrag mit dem kriminologischen Institut von Professor Pfeiffer zur Aufklarung des Missbrauchsskandals liege vor allem an diesem Kriminologen selbst. Nehmen Sie der Kirche dies ab?

Matthias Katsch: Also ich kann nicht das Arbeitsverhaltnis zwischen Herrn Pfeiffer und der Bischofskonferenz oder der Kirche beurteilen, dafur fehlen mir die Kenntnisse uber die Hintergrunde. Ich glaube nicht, dass das der tiefere Grund ist fur dieses Zerwurfnis und fur diese Trennung.

Gessler: Was ware denn Ihrer Ansicht nach der tiefere Grund?

Katsch: Ich glaube, das Problem ist tatsachlich, dass es in der katholischen Kirche in Deutschland Leute gibt, die sich mehr furchten vor dem, was aufgedeckt werden konnte, als dass sie dem Ansinnen der Aufarbeitung positiv gegenuberstehen. Das hei?t, wenn wir jetzt horen, dass moglicherweise in einigen Bistumern - routinema?ig sogar - Missbrauchsakten verschwunden oder vernichtet worden sein sollen, dann zeigt das eben: Diese Leute haben nichts verstanden von dem, was wir in den letzten drei Jahren versucht haben zu diskutieren. Und man kann dahinter nicht wirklich einen Willen erkennen, uber die Vergangenheit in Wahrhaftigkeit Erkenntnisse zu gewinnen. Und das scheint mir der Hintergrund, neben allen anderen Dingen, die da vielleicht eine rolle gespielt haben, Personliches zwischen Herrn Pfeiffer und den Bischofen, das scheint mir der wirkliche Hintergrund zu sein.

Gessler: Man hat ja manchmal den Eindruck, dass es innerhalb der Bischofskonferenz auch verschiedene Gruppen gibt: die Aufklarer, die einverstanden waren mit der Aufklarung, und andere Bischofe, die das irgendwie verhindern wollen. Glauben Sie, das ist realistisch?

Katsch: Auch das ist wieder etwas, was man als Au?enstehender, ich denke mal, auch die Mehrzahl der Menschen wird das so sehen, nicht beurteilen kann. So ein bisschen hat das auch so den Eindruck, das ist so eine Auffuhrung, die da stattfindet. Die einen wollen ja, aber konnen nicht, und die anderen outen sich aber nicht als die, die nicht wollen. Das Ergebnis ist klar: Es findet keine Aufarbeitung statt. Und es hat in den letzten drei Jahren au?er der akuten Phase in den ersten Monaten 2010, Fruhjahr, Sommer, keine Aufarbeitung stattgefunden. Und so, wie es jetzt aussieht, haben die eineinhalb Jahre nur daruber verhandelt, wie die Ergebnisse, die man irgendwann mal erheben will, dann veroffentlicht werden sollen.

Das hei?t, zwischen der Ankundigung, wir machen eine Studie, und dem Scheitern lagen eineinhalb Jahre, in denen nichts passiert ist. Das hei?t, wir sind tatsachlich zuruckgeworfen auf den Sommer 2010 und fangen wieder von vorn an. Und was ich sage, ist, es hat sich damit gezeigt, dass die Kirche, wie jede andere Institution vermutlich auch in der Situation, nicht in der Lage ist, sich selber aufzuarbeiten. Ob jetzt mithilfe von Wissenschaftlern oder nicht, das ist kein Vertrauen, was da entstehen kann. Und deswegen glaube ich, dass die Aufarbeitung, die wir dringend brauchen, nur von au?en geschehen kann.

Gessler: Wenn Sie mit anderen Missbrauchsopfern uber den Ausstieg aus dem Vertrag mit Professor Pfeiffer reden, fuhlen die sich dann verraten?

Katsch: Das ist so eine gemischte Stimmungslage. Ich glaube, sehr viele haben uberhaupt kein Vertrauen gehabt in das Vorhaben an sich. Und die sind dann naturlich auch nicht enttauscht, sondern die fuhlen sich nur bestatigt. Diejenigen, die immer eher optimistisch an die Sachen herangehen, so wie ich, die sagen ja tatsachlich, es ist ein Beleg, dass die Kritiker recht gehabt haben, dass es nicht funktioniert, von innen heraus selber sich an die Akten heranzumachen und zu erwarten, dass da dann was an Positivem, an Neuem entstehen oder herauskommen wurde.

Diesen Skeptikern oder Kritikern muss ich recht geben, ja, das ist tatsachlich enttauschend. Im Grunde genommen reiht sich dieses Ereignis jetzt ein in eine Kette der Frustrationen oder Enttauschungen. Es ist ja nicht nur die kirchliche Aufarbeitung, die versagt hat, sondern all das, was am runden Tisch besprochen wurde, was an Hilfsangeboten entwickelt werden sollte, das ist ja auch nicht realisiert worden. Das, was an Gesetzgebungsvorhaben auf der politischen Ebene beschlossen wurde, ist nicht umgesetzt worden. Also da ist schon sehr viel Wut und Enttauschung bei Betroffenen da, ja.

Gessler: Die ganzen gesetzlichen Dinge, die hat naturlich die Kirche nicht in der Hand. Da ist eher der Staat der Verantwortliche.

Katsch: Das ist richtig. Deswegen ist es ja auch gut, dass es jetzt diese offentliche Aufmerksamkeit im Thema Gott sei Dank wieder gibt, und ich hoffe, dass die Diskussion, die jetzt gefuhrt wird, es allen Beteiligten klar macht, dass wir noch mal einen neuen Ansatz brauchen. Dass die Energie, mit der 2010 begonnen wurde, sich dem Thema zuzuwenden, dass wir die nun wieder neu aktivieren mussen. Das betrifft sowohl die Frage der Aufarbeitung als auch die Frage der Hilfe und letztendlich auch die Frage der Entschadigung.

Gessler: Professor Pfeiffer und sein Team wollten ja offenbar auch noch mal mit den Opfern reden uber die Taten, die ihnen angetan wurden. Glauben Sie, dass die meisten Missbrauchsopfer das uberhaupt wollten?

Katsch: Das Problem, was ich hier gesehen habe, war, dass es offensichtlich ein Forschungsvorhaben im Auftrag der Kirche war, und ich habe Professor Pfeiffer das auch so gesagt: Ich glaube, dass es fur viele Betroffene aus diesem Grunde schon schwer gewesen ware, an diesen Opferbefragungen teilzunehmen. Wenn wir wirklich die Betroffenen zu Wort kommen lassen wollen, dann brauchen wir ein ganz anderes Setting als das, was die Bischofe und Professor Pfeiffer vorgehabt haben, namlich eines, wo eine unabhangige Instanz die Betroffenen auffordert, sich zu Wort zu melden, und eine unabhangige Instanz sich auf den Weg macht, zu untersuchen, Akten anzuschauen - und nach Lage der Dinge kann diese Instanz nur aus dem Parlament, aus dem Bundestag heraus agieren, weil sonst gibt es auf nationaler Ebene keine andere Instanz, die einer Institution wie der katholischen Kirche gegenubertreten konnte.

Gessler: Mann konnte ja der Kirche zugutehalten, dass die Kirche bisher die einzige gro?e Institution war, die uberhaupt Geld an Opfer gezahlt hat. Uberzeugt Sie diese Sichtweise?

Katsch: Keineswegs, weil zunachst mal muss man ja sich angucken, warum die Kirche Geld an Opfer zahlen soll. Das soll sie ja nicht tun aus Mildtatigkeit heraus, sondern weil sie als Institution massiv Verbrechen begunstigt und verheimlicht und vertuscht hat uber Jahrzehnte hinweg und Verbrechen ermoglicht hat damit. Und das ist der Grund, warum sie in Anspruch genommen wird fur Entschadigungsleistungen. Und wie sie diesem Anspruch gerecht geworden ist, das ist allerdings sehr kritikwurdig, denn sie hat alles getan, um auch in diesem Falle das Verfahren in der Hand zu behalten und von sich aus festzulegen, was es ihr denn wert ist und was sie bereit ist zu zahlen. Sie hat zu keinem Zeitpunkt Bereitschaft signalisiert, mit den Betroffenen daruber zu sprechen oder eine neutrale Instanz, wie das ublich ist bei solchen Streitfallen, entscheiden zu lassen, was angemessen ist und was nicht.

Gessler: Sehnen Sie sich denn manchmal danach nach all diesen Jahren des Kampfes, dass dieser Kampf und dieses Leid, was damit verbunden ist, endlich zu Ende sein konnte?

Katsch: Na ja, ich muss sagen, tatsachlich haben wir 2010 nicht gedacht, dass das so ein Dauerlauf werden wurde, wie es sich jetzt entwickelt hat. Andererseits zeigt das Beispiel in vielen anderen Landern, dass das eben ein langer Weg ist hin zu einer wirklichen Auseinandersetzung, einer wirklichen positiven Losung auch, eines Abschlusses dieser Verwundungen. Und personlich muss ich sagen, es ist auch ein Stuck ein Prozess der Befreiung gewesen uber die letzten Jahre, sodass ich also wohlgemut bin und hoffe, dass wir es schaffen werden, in den nachsten Jahren diesen Aufarbeitungsprozess wirklich jetzt in Gang zu kriegen, weil ich glaube, es gehort zu einer wirklichen Praventionsarbeit, dass man sich der Vergangenheit und den Fehlern, die da gemacht worden sind, offen und ehrlich stellt. Und das ist bisher leider nicht ausreichend geschehen.

Gessler: Die Offentlichkeit schien bis zum Eklat um die Pfeiffer-Studie langsam ja auch das Interesse an diesem Thema zu verlieren. Verbittert Sie das?

Katsch: Nein, neil ich glaube, dass dies einfach zu den Gesetzma?igkeiten der offentlichen Aufmerksamkeit gehort, dass Themen eben nicht beliebig lange im offentlichen Diskurs sein konnen. Ich hatte aber keinen Zweifel, dass das Thema deswegen nicht verschwunden ist, weil nicht mehr so laut und so oft daruber gesprochen wird. Denn es geht einfach viel zu viele Menschen an. Es sind viel zu viele Menschen in Deutschland betroffen. Wir sprechen allein im Bereich der katholischen Kirche, wenn wir mal die Zahlen aus zum Beispiel den Niederlanden auf Deutschland hochrechnen von 40.000 bis 80.000 Betroffenen aus den letzten Jahrzehnten. Die haben Familien, Familienangehorige. Das Thema ist viel zu virulent, als dass es von alleine vergehen oder verschwinden wurde. Naturlich ist es nicht angenehm, wenn man das Gefuhl hat, es wird nicht mehr angemessen daruber nachgedacht, aber ich glaube, wir haben jetzt die Chance, vielleicht auch mit kuhlerem Kopf auch als 2010 einen neuen Anlauf zu machen. Und das mussen wir dann jetzt auch tun.

Gessler: Vielen Dank, Herr Katsch!

Katsch: Ich danke Ihnen!

Au?erungen unserer Gesprachspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Au?erungen seiner Gesprachspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

 

 

 

 

 




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