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Wenn Sextater Ihre Opfer Ins Gebet Einschlie?en

By Matthias Kamann
Die Welt
January 17, 2013

http://www.welt.de/politik/deutschland/article112849198/Wenn-Sextaeter-ihre-Opfer-ins-Gebet-einschliessen.html

Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, spricht mit Blick auf die schweren Missbrauchsfalle von einer "Spiritualitat des Verbrechens" innerhalb der katholischen Kirche

Es war eine katholische Hotline. Doch obwohl sich die Deutsche Bischofskonferenz damit von Marz 2010 bis Dezember 2012 eigens fur die Erfahrungsberichte von Missbrauchsopfern aus dem kirchlichen Bereich geoffnet hatte, gab es auch zahlreiche Hinweise auf Sexualverbrechen in staatlichen Einrichtungen sowie in Familien.

Von den 1207 Delikten, die den Mitarbeitern der Lebensberatung im Bistum Trier bei dieser bundesweiten Anlaufstelle geschildert wurden, fanden 407 nicht im katholischen Raum statt.

Gut 50 ereigneten sich im Gesundheitswesen, mehr als 300 in Familien oder deren Umfeld. In den Familien scheint die Schwere der Verbrechen am gro?ten zu sein: Der Anteil von Penetrationen bei Minderjahrigen war in den Opferberichten aus dem familiaren Bereich mit rund 70 Prozent deutlich hoher als bei Schilderungen aus kirchlichen Bereichen, wo er je nach Zusammenhang zwischen 30 bis 40 Prozent lag.

Einige Tater wollten Opfer ins Gebet einschlie?en

Doch der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Bischofskonferenz fur die Aufarbeitung der Missbrauchsfalle, war am Donnerstag weit davon entfernt, den katholischen Anteil zu relativieren, als er eine wissenschaftliche Auswertung der Opferberichte vorstellte.

Vielmehr thematisierte Ackermann fast ausschlie?lich Ausma? und Umstande der Sexualverbrechen von katholischen Geistlichen. Dabei sagte er nicht nur, dass er "erschuttert" sei, sondern auch, dass es im katholischen Raum eine regelrechte "Spiritualitat des Verbrechens" gegeben habe.

Tatsachlich berichteten einige der Menschen, die sich telefonisch, brieflich oder per Mail an die Beratungsstelle gewandt hatten, dass Priester nach Missbrauchsdelikten gesagt hatten: "Wir sind jetzt in der Liebe Christi verbunden", oder "Du bist eine auserwahlte Braut Christi". Ja, zuweilen hatten missbrauchende Priester den Opfern sogar angekundigt, diese bei Gottesdiensten besonders ins Gebet einzuschlie?en.

Die Leiden dauern jahrzehntelang

Deutlicher als in fast allen anderen bisherigen Studien zum Thema Missbrauch werden in dieser Auswertung der Hotline-Berichte das Verhalten der Tater und auch die Folgen fur die Opfer.

Was Letztere betrifft, so leiden viele oft noch nach Jahrzehnten unter Depressionen und Partnerschafts- sowie Sexualproblemen oder zeitweiligen Wahrnehmungsstorungen.

Manche Telefonate, bei denen die Opfer sowohl uber ihre Erfahrungen sprechen als auch Hilfsangebote erhalten sollten, wurden abgebrochen, weil die Betroffenen nicht weiter sprechen konnten oder zusammenbrachen.

"Es ging um schwere und schwerste Delikte"

Was die Tater betrifft, so scheint es, als habe diese Auswertung viele bisher noch gar nicht bekannte Verbrechen ein Stuck weit ans Licht gebracht. Es "konnten Einsichten in einen Bereich des 'Dunkelfelds' gewonnen werden", so hei?t es im Abschlussbericht, "die bisher kaum der wissenschaftlichen Diskussion zuganglich waren".

Besonders erschreckend dabei ist, dass eher wenige "leichte oder minderschwere Delikte" berichtet wurden, sondern es "im Regelfall um schwere und schwerste Delikte uber langere Zeit durch enge Vertrauenspersonen" ging.

Allerdings sind die Daten aus dieser Befragung nicht reprasentativ und nicht verifizierbar. Denn ausgewertet werden konnte nur, was Menschen, die sich von sich aus meldeten, anonym und ohne Uberprufungsmoglichkeiten berichteten.

Aus den Zigtausenden von Meldungen bei der Hotline erstellten die Wissenschaftler insgesamt 1824 Datensatze einzelner Falle, bei denen 1059 Menschen von sexueller und/oder korperlicher Gewalt personlich betroffen waren.

Meiste Ubergriffe in Pfarreien

Von den 753 Missbrauchsvergehen im kirchlichen Bereich waren dabei 473 mannliche und 283 weibliche Personen betroffen. Das ist ein weiteres Indiz dafur, dass der Anteil von Mannern unter den Opfern deutlich hoher ist als sonst oft angenommen.

Die meisten Vergehen im kirchlichen Bereich ereigneten sich in Pfarreien (53 Prozent) meist rund um die Erstkommunion und dann spater in Jugendgruppen. Es folgen Ordenseinrichtungen, etwa Internate (28 Prozent) und Diozeseneinrichtungen, wozu Jugendlager gehoren (zehn Prozent).

Die uberwiegende Mehrheit der geschilderten Falle stammt aus den 50er- bis 70er-Jahren, doch auch aus den 90er-Jahren und spater. Teils scheint es bis in die jungste Vergangenheit hinein zu einigen solcher Sexualverbrechen gekommen zu sein.

Weihbischof Jaschke: "Ich schame mich bis heute"

Extrem schlimm mussen die Verhaltnisse in katholischen Heimen der 50er- und 60er-Jahre gewesen sein, wo sich die betreuenden Monche und Nonnen zuweilen planma?ig schwache und ausgegrenzte Kinder ausgesucht hatten, um sie gewaltsam zu missbrauchen.

In Gemeinden wiederum scheint das hohe Ansehen der Priester dafur gesorgt zu haben, dass auch mutige Kinder, die ihren Eltern von Missbrauch erzahlten, kaum eine Chance auf Gehor hatten.

"Ich schame mich bis heute angesichts der Opfer, die Menschen in der Kirche vertraut haben und so bitter enttauscht sind", sagte der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke angesichts der Ergebnisse in der ARD.

Ex-Studienleiter Pfeiffer erneuert seine Kritik

Fur Bischof Ackermann folgt aus dem Bericht, "dass wir uns weiterhin mit gleichbleibender Intensitat und Konsequenz um eine grundliche und transparente Aufarbeitung bemuhen werden".

Dabei deutete Ackermann an, dass sich bei der Kirche bereits mehrere Forschungsinstitute gemeldet hatten, die bereit seien, jenes umfassende Forschungsprojekt zu ubernehmen, uber das sich die Kirche und das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen von Christian Pfeiffer unlangst zerstritten hatten.

Es gebe, so Ackermann, Meldungen und Angebote zu einem Neustart des kriminologischen Projekts. Hingegen erneuerte Pfeiffer in der "Zeit" seine Vorwurfe, dass die Kirche seinen Bericht habe "zensieren" wollen.

 

 

 

 

 




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