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Brutale Nonnen Unter Barmherzigen Schwestern

The Stern
January 25, 2013

http://www.stern.de/panorama/katholischer-orden-brutale-nonnen-unter-barmherzigen-schwestern-1960375.html

Jungen und Madchen wurden uber Jahrzehnte in Schweizer Kinderheimen von Nonnen geprugelt, missbraucht und tyrannisiert

Kommissionsprasidenten haben allgemein den Ruf, Fachidioten zu sein, die gefuhlsarm bis gefuhlskalt ihrer Arbeit nachgehen. Nicht so Magnus Kung. Der Schweizer erlaubte es sich kurzlich, offentlich Emotionen zu zeigen. Der Verkundung der Ergebnisse einer zweijahrigen Studie stellte er "etwas ganz Personliches" voran. Er bekannte: "Ich habe beim Lesen manchmal richtig Herzklopfen bekommen und mir eine Trane aus den Augen gewischt. Ich war oft wutend auf die Menschen, welche solches tun konnten und auf die damalige Gesellschaft, auf die Behorden und auf die Kirche, welche alle einfach weggeschaut haben."

Kung, von Beruf Rechtsanwalt, leitete die unabhangige Expertenkommission, die die ungeheuerlichen Vorgange in schweizerischen Kinderheimen durchleuchtete, die unter der Leitung des Ordens der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz standen. Die Untersuchung auf Veranlassung der Nonnen bezog sich auf die Zeit zwischen 1928 und 1970. im Fokus stand die Erziehungsanstalt Rathausen nahe Luzern.

"Der Wahrheit ein Stuck naher gekommen"

Ausloser ist der 2009 erstmals ausgestrahlte Dokumentarfilm "Das Kinderzuchthaus" von Beat Bieri, der das jahrzehntelang tabuisierte Thema offentlich machte. Er schaffte es, dass sechs fruhere Bewohner des Heimes ihr Schweigen brachen und einen Stein ins Rollen brachte, der die Alpenrepublik schwer erschutterte. Sie berichteten in bewegenden Interviews uber sexuellen Missbrauch, Dunkelzellen ohne Bett, prugelnde Nonnen, Schwerstarbeit und sogar Selbstmorde aus Verzweiflung. Nicht alle Aussagen konnte die Kommission verifizieren. Ihr Vorsitzender meint: "Die absolute Wahrheit kann nie erlangt werden, aber wir sind mit diesem Bericht der Wahrheit sicher ein wesentliches Stuck naher gekommen."

Das dunkelste Kapitel der Erziehungsanstalt Rathausen dauerte bis Mitte der funfziger Jahre. Rund 3500 verwaiste, unehelich gezeugte oder in Armut geborene Jungen und Madchen verbrachten in dem Heim von 1883 bis 1989 ihre Kindheit teils oder vollstandig. Wer es verlie?, schwieg. Gefuhrt wurde die Anstalt von einem katholischen Priester, der sich auf "gottliches Recht" berief. Die Klosterschwestern ubernahmen die Erziehung der Kinder. Eine Weisung der Ordensfuhrung von 1926 lautete so: "Korperliche Strafen sollen stets mit gro?er Vorsicht gegeben werden. Das Schlagen auf den Kopf, auf den Mund oder auf den Rucken, Rei?en an den Ohren und Haaren ist fur Ordensschwestern unwurdig." Eine unbekannte Zahl von Nonnen ignorierte die Vorgabe. Sie schikanierten stattdessen ihre Schutzlinge in grausamer Weise.

Zeuge spricht von tagtaglichem Missbrauch

"Die institutionelle Schuld der weltlichen und kirchlichen Behorden ist klar belegt. Es ist aber nicht auszuschlie?en, dass es in den verschiedenen Heimen Tater und Taterinnen gab, welche systematisch den Kindern abscheuliches Leid zufugten", lautet das Fazit der Kommission, die sich darum offenkundig bemuhte, weder zu richten noch zu entschuldigen, sondern zu erklaren. So versuchte das Gremium, auch die Situation der Nonnen zu erkunden und zu gewichten und die Vorgange in den Kontext der Zeit zu setzen. Ihre Ausbildung war mangelhaft, Prugel bis weit in die Nachkriegszeit Bestandteil von Erziehung. "Strafexzesse passierten in der Regel nicht systematisch, (...) sondern vielmehr als Notwehr von buchstablich heillos uberforderten Schwestern." Die Kommission stellt Aussage gegen Aussage. Ein Zeitzeuge sagte: "Wir ehemaligen Kinder wurden allnachtlich durch die diensttuende Nachtschwester sexuell missbraucht." Ein ehemaliger Mitbewohner wiederum erklart: "Das ist alles erlogen, eine reine Schikane." Ein dritter gibt an: "Teilweise habe ich geloscht. Das ist einfach wie weg."

Das Gutachten beruht auf "55 verwertbaren Stellungnahmen" fruherer Heimkinder, darunter 23 ehemalige Zoglinge aus Rathausen. 23 Schwestern wurden befragt, die nur uber die Situation der Nachkriegszeit Auskunft geben konnten. Sie sagten demnach aus, "dass sie schlimme Strafen fur kindliche Vergehen (...) weder selbst erlebt noch selbst praktiziert haben". Die Kommission spricht von Nonnen, "welche unter misslichsten Verhaltnissen Gutes fur diese Kinder leisteten". Und: "Auf eine Kurzformel gebracht: Es gab unter den Schwestern Wohltaterinnen, Taterinnen und Opfer." Der "padagogische Auftrag" habe zwischen drei Anspruchen gelegen: der religiosen Erziehung, der Qualifizierung fur die Arbeitswelt bzw. den Haushalt sowie der Verwahrung der Kinder. "Das konnte - wie in Rathausen - zu einer padagogisch giftigen Mischung mit krankmachender Uberforderung, Vernachlassigung und Gewaltanwendung geraten." Der Erziehungswissenschaftler Anton Strittmatter sagte in einem "personlichen Schlusswort", er habe Trauer, Wut und Entsetzen uber die Tater empfunden, sehe aber auch das Leiden der Nonnen, ihr Gefangensein in unaufloslichen Zwickmuhlen, Klagen uber Erschopfungszustande, Nervenzusammenbruche und standige Erkrankungen.

"Die Beweislage ist einfach zu durftig"

Fur Suizide aus Verzweiflung fand die Kommission keine Beweise. Im Falle einer Zwolfjahrigen allerdings konnte sie nicht ausschlie?en, dass das Madchen in Folge von Misshandlungen starb. Jedoch: "Die Beweislage ist einfach zu durftig." Unabhangig davon komme der - langst verjahrte - Straftatbestand der unterlassenen Hilfe in Betracht. Statt es sofort zum Anstaltsarzt zu schicken, "wurde das Kind sechs Tage lang bis zu seinem Tod im Heim behalten". Als ausreichend dokumentiert oder zumindest plausibel erklart betrachtet die Kommission, dass Kinder und Jugendliche sexuellen Ubergriffen durch Erwachsene und Mitbewohnern ausgesetzt waren. "Bezuglich Ubergriffe durch Schwestern gibt es keine robusten Beweise weder fur noch gegen die Annahme, dass auch sie sich an Kindern vergriffen haben." Allerdings durften auch nicht alle Zeitzeugenaussagen daruber frei erfunden sein. "Plausibel ist schlie?lich, dass es, namentlich in Fallen von sexuellen Ubergriffen durch Direktoren oder andere Priester, eine Mitwisserschaft, in einzelnen Fallen gar eine erzwungene Gehilfenschaft bei Schwestern gegeben hat."

Das Kloster Ingenbohl - Mutterhaus des Ordens - hatte die Einrichtung der Kommission betrieben mit dem Ziel, "mogliche Wege in Richtung Versohnung und Befriedung zu suchen". Die katholische Einrichtung nannte das Ergebnis ein "bedeutsames Mahnmal" und erklarte: "Wir bitten um Verzeihung fur das Leid, das wir als einzelne Schwester, als Ordensleistung und als Gemeinschaft mit unserem Verhalten verursacht haben."

Stillschweigende Allianz der Tater

Auffallig ist, dass sich der Ingenbohler Schlussbericht in der Harte der Aussagen deutlich von dem Gutachten der Historikerkommission unterscheidet, die die Vorwurfe gegen den Orden im Auftrag der Luzerner Kantonsregierung ebenfalls untersuchte. Sie hatte ihr Ergebnis im Sommer prasentiert. In ihrem Endbericht hei?t es zu Misshandlungen: "Einige der angewendeten Strafpraktiken werden heute als Foltermethoden aufgefuhrt, wie das 'Unterwasserdrucken' (Waterboarding - die Red.) des Kopfes oder das Einsperren in dunkle verliesahnliche Raume." Auch ist darin von harten Arbeitseinsatzen in der Landwirtschaft die Rede. Zum sexuellen Missbrauch wird betont: "Die Ubergriffe wurden durch Frauen und Manner an Knaben wie an Madchen begangen. (...) Die weitgehende Negierung moglicher Ubergriffe lie? Tater und Taterinnen quasi unkontrolliert agieren, ja fuhrte zu stillschweigender Allianzbildung, gegen die die Kinder nicht ankamen."

Doch in der Tendenz sind beide Untersuchungen sehr dicht beieinander. Ehemalige Heimbewohner haben schmerzhafte Wochen, Monate oder gar Jahre in den Anstalten verbracht. Nicht alle wollen das wahrhaben und ignorieren die dramatischen Vorgange weiterhin komplett. Auf der Webseite der Stadt Ebikon hei?t es zu Rathausen: "Mit dem Heimaufenthalt sollten Entwicklungsdefizite in den Bereichen des Zusammenlebens, des Gefuhllebens und der intellektuellen Fahigkeiten aufgeholt werden." Von Missbrauch oder Misshandlungen steht da nichts.

 

 

 

 

 




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