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Missbrauchsopfer: "Lassen Sie Keine Verharmlosung Zu"

kathweb
February 26, 2013

http://www.kathpress.at/site/nachrichten/database/52926.html

Wien (KAP) "Lassen Sie keine Verharmlosung zu": Diesen Appell vor dem Hintergrund selbst erlittenen sexuellen Missbrauchs richtete der evangelische Pfarrer Jurgen Ollinger an die Teilnehmer eines Symposions der Unabhangigen Opferschutzkommission ("Klasnic-Kommission") uber Missbrauch im kirchlichen Bereich. Ca. 200 Experten und Personen aus Zivilgesellschaft und Kirche - darunter die Bischofe Klaus Kung und Alois Schwarz sowie Propst Maximilian Furnsinn - waren am Dienstag im Wiener Haus der Industrie anwesend.

Er sei als 11-Jahriger sexuell gedemutigt worden und hatte mit 16 Mordfantasien gegenuber seinen Peinigern, berichtete Ollinger, der 1984 im Stiftsgymnasium Kremsmunster maturierte. Es folgte langes "Vergessen", erst als 40-Jahriger habe er sich dem Erlittenen stellen konnen - auch mittels Gesprachen mit den damaligen Tatern. Der nun in Villach wirkende evangelische Pfarrer sprach vom "Problem der juristischen Verharmlosung", es gebe fast keine verurteilten Tater, da - nicht zuletzt wegen Verjahrung - selten Anklage erhoben werde.

Auch in der Gesellschaft herrsche nach wie vor Verharmlosung etwa im Blick auf Gewalt in der Familie vor, kritisierte Ollinger. Gerade Kirchen sollten bei Missbrauch und Gewalt ein langes Gedachtnis haben, nach dem Vorbild Jesu, der im Matthausevangelium alles andere als verharmlosend gesagt habe: "Wer einem dieser Kleinsten Ubles antut, fur den ist es besser, wenn er einen Muhlstein um den Hals legt und ins Wasser geht."

Bierlein: "Nach wie vor latente Gefahren"

Brigitte Bierlein, Vizeprasidentin des Verfassungsgerichtshofes und Mitglied der Klasnic-Kommission, unterstrich die Schutzpflichten des Staates zur Missbrauchspravention. Diese seien auch durch positive gesellschaftliche Entwicklungen nicht obsolet. Die Starkung der Kinderrechte, der Abbau von Autoritatsstrukturen, die Missbrauchsfalle begunstigten, sexuelle Aufklarung oder die Vernetzung durch moderne Telekommunikationsmittel konnen Missbrauchs- und Gewaltfalle "zwar nie luckenlos verhindern, wohl aber entscheidend minimieren".

Dennoch gelte: Auch wenn der Ausbau von Pravention rechtlich nicht zwingend sei, "ist er zumindest moralisch notig", unterstrich Bierlein. Sie nannte es als Ziel, "der nach wie vor latenten Gefahr von Gewalt und Missbrauch in allen Gesellschaftsschichten ohne Tabu mit geeigneten Mitteln - einschlie?lich der Betreuung moglicher Tater - entgegenzuwirken".

Kommission ist "absolut unabhangig"

Uber die Entstehung, Arbeitsweise und Erfolge der Unabhangigen Opferschutzkommission informierte die Grazer Richterin Caroline List beim Symposion in Wien. Sie wurdigte Kardinal Christoph Schonborn, ohne dessen Initiative es weder diese auf kirchliche Falle ausgerichtete Kommission noch inzwischen eingerichtete Aufarbeitungsgremien in Bund und Landern gegeben hatte. Entscheidend sei die Zusage "absoluter Unabhangigkeit" gewesen. Die mit anerkannten Fachleuten bestuckte Kommission entscheide gema? ihres Gewissens und ihrer Kompetenz.

Die Kirche hat laut List auch zugesagt, dass Verjahrung keine Rolle spielt. Das sei deswegen bedeutend, weil auf gerichtlichem Weg die allermeisten Falle wegen Verjahrung nicht einklagbar gewesen waren, wie List erklarte. Als junge Juristin sei sie immer wieder sehr betroffen daruber gewesen, wie fruher Missbrauchsopfer im Rahmen der Gerichtsbarkeit vernommen wurden. Oft seien Opfer dabei erneut zum Opfer - List nannte das Stichwort "sekundare Viktimisierung" - gemacht worden.

Feichtlbauer: Es gibt Kirchenspecifica

Specifica des Missbrauchs in kirchlichen Institutionen beleuchtete der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer, der ebenfalls der Opferschutzkommission angehort. Diesen Eigentumlichkeiten habe sich auch das kirchliche Missbrauchssymposion in der Gregoriana im Vorjahr in Rom gewidmet, an dem Vertreter von 110 Bischofskonferenzen teilnahmen. Dessen Erkenntnisse so wichtig seien, dass alle Verantwortlichen in der Kirche kennen und befolgen mussen, so Feichtlbauer.

Nach einmaliger Verfehlung durfe kein Priester mehr in der Jugendseelsorge tatig sein. Beichtet ein Tater seinen Ubergriff, "dann ist das noch lange keine Heilung", so Feichtlbauer. "Bei allem Respekt vor dem Weiheamt mussen auch Kinder wissen: Auch Priester konnen sundigen!" Als eigentliche Katastrophe in der Kirche nannte der Publizist Vertuschungsversuche. Wo es moglich ist, musse Anzeige erstattet werden.

Ein Umdenken forderte er bei der katholischen Sexualmoral: Sexualitat solle nicht als "Ursunde", sondern als "ein Gottesgeschenk mit Risken" gesehen werden. Doch auch wenn die Sexualmoral der Kirche im Missbrauchsbereich "naturlich eine Rolle spielt", greife es zu kurz, den Pflichtzolibat "als Sundenbock" heranzuziehen, meinte Feichtlbauer.

Wie mit den Tatern umgehen?

Vorbeugung sexuellen Kindesmissbrauchs ist nur moglich, wenn auch die Taterseite berucksichtigt wird: Das unterstrich der Vorarlberger Psychiater und Neurologe Reinhard Haller in seinem Statement beim Missbrauchssymposion in Wien. Genauere Kenntnisse uber Motive, Personlichkeitsstruktur und soziales Umfeld der Tater seien erforderlich. Die Politik sehe im Umgang mit Tatern derzeit nur das Modell der Strafverscharfung. Das genugt laut dem Mediziner nicht, weil Taterprofile sehr unterschiedlich seien und Padophilie "ein Faktum und in vielen Menschen vorhanden ist". Padophilie brauche Strafe und Therapie - letzteres geschehe zu selten, erst recht wenn man sich das hohe Ruckfallrisiko vor Augen halte, so Haller.

Der Kirche empfahl er, psychologische Aspekte in die Priesterausbildung einflie?en lassen. Missbrauchspravention musse freilich viel starker ein gesamtgesellschaftliches Anliegen werden, denn: "99,7 Prozent der Tater kommen von au?erhalb der Kirche."

Scholz fur starkere Prophylaxe

Die blo?e Androhung hoherer Strafen fur Missbrauch ist auch nach Uberzeugung von Kurt Scholz kein "Breitbandantibiotikum". Der fruhere Wiener Stadtschulratsprasident forderte von der Politik verstarkte Bemuhungen um Pravention, zu der sich die Bundesregierung ja auch ausdrucklich bekannt habe. Sinnvolle Schritte waren laut Scholz die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die alle Organisationen mit Arbeitsbeziehungen zu den Ministerien einbeziehen solle. Ziel sei Aufklarung, Prophylaxe und die Einrichtung unabhangiger Beratungs- und Beschwerdedienste. Auch "zielgenaue Forderung" von wissenschaftlichen Studien sei notwendig.

Ohne Gruppen und Institutionen vorab stigmatisieren zu wollen, gabe es zahlreiche gesellschaftliche Bereiche mit einem erhohten Missbrauchs- und Gewaltrisiko. Konkret nannte Scholz Gefangenenhauser, Kliniken, den Alten- und Behindertenbereich, Sportvereine, Bildungseinrichtungen und das Militar. Auch brauche es eigens Beratungsstellen fur Personen, die in sich eine Hingeneigtheit zur Padophilie erkennen und Hilfe brauchen ("Padophilen-Vorsorgeambulanz").

Der fruhere Wiener Stadtschulratsprasident erinnerte daran, dass sich die Klasnic-Kommission auch immer fur eine staatliche Kommission ausgesprochen habe, um den Missbrauchsfallen nicht nur im kirchlichen Bereich, sondern in den ganzen Breite der Gesellschaft nachgehen zu konnen. Ein erster notwendiger Schritt sei dabei die Etablierung einer osterreichweiten Praventionsplattform.

Die Politik muss sich mehr als bisher dem Problem von Gewalt und Missbrauch stellen und nicht nur mit Strafverscharfung, sondern auch mit praventiv-prophylaktischen Ma?nahmen reagieren. Das war Grundtenor bei der am Ende des Symposiums stellenweise sehr emotional gefuhrten Debatte.

Dabei wurde von einigen Bedauern und Kritik an der kurzfristigen Absage der Veranstaltung durch Nationalratsprasidentin Barbara Prammer geubt. "Wir hatten das heute vor Politikern sagen sollen konnen", betonte der ehemalige Wiener Stadtschulratsprasident Kurt Scholz, der gleichzeitig eine generelle Reserviertheit seitens der Politik ortete. Nicht wenige seien froh, dass sich nur die Kirche mit der der Missbrauchsthematik beschaftigen musse. Ansonsten seien viele Politiker darauf bedacht, dass man dem Thema "nicht nahekommt".

Pladoyer fur eine "gro?e Konferenz"

Fur eine Fortsetzung dieser Veranstaltung pladierte Waltraud Klasnic in ihrem Schlusswort. Gleichzeitig sprach sie die Einladung an alle Opferorganisationen und Plattformen aus, Vorschlage fur eine gemeinsame "gro?e Konferenz" einzubringen. "Ich komme gerne", sagte Klasnic fur den Fall, dass sie von anderen Organisationen zu einer Veranstaltung im Kampf gegen Missbrauch und Gewalt eingeladen werde.

Die Vorsitzende der Unabhangigen Opferschutzkommission reagierte damit auf einen Vorschlag kirchenkritischer Organisationen nach einer "gro?en Konferenz" zum Thema Missbrauch in der Kirche. Insbesondere die "Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt" und die Initiative "Religion ist Privatsache" hatten offentlich Kritik an den Veranstalter des Symposiums im Haus der Industrie erhoben.

Materialien und Referate uber die nun abgehaltenen Tagung sollen in Kurze auf der Homepage www.opfer-schutz.at abrufbar sein.

 

 

 

 

 




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